Fröndenberg. . Altenpfleger Wolfgang Kembügler (54) hat sich bei einer Nachtschicht über die Schulter schauen lassen. Bewohner können bis spät nachts aufbleiben.
Das Funktelefon piept in der Gürteltasche an der weißen Hose von Wolfgang Kembügler. Er greift danach. Mit der anderen Hand stützt der 54-Jährige gerade den Arm eines älteren Herren im Schlafanzug. Das Duo steuert auf dem halbbeleuchteten Flur im Wohnbereich 10 die Toilette an.
Jetzt braucht auch noch eine Kollegin in einem anderen Wohnbereich Unterstützung. Er hilft dem Senior, flitzt danach das Treppenhaus runter, nimmt immer zwei Stufen auf einmal.
Die Nachtschicht im Schmallenbach-Haus auf dem Hirschberg ist im vollen Gange, es riecht nach Kernseife und Desinfektionsmittel. Der Altenpfleger sagt: „Heute ist es vergleichsweise ruhig.“
Im Nachtcafé singen bis Mitternacht
Wolfgang Kembügler wacht diese Nacht im Schmallenbach-Haus zusammen mit einer weiteren Pflegerin im Wohnbereich 8, 9 und 10 über etwa 60 Bewohner. Tagsüber sind mehr Kollegen im Dienst. Aber auch nachts muss jemand nach dem Rechten sehen.
Die Kollegin wartet vor dem hell erleuchteten Dienstzimmer. Eine Bewohnerin schreit immer wieder laut und weckt die anderen, Kembügler macht im Doppelzimmer das Licht an. Die Mitbewohnerin der lauten Dame ist ohnehin schon wach.
„Guten Tag, was ist denn das Problem“, fragt er freundlich und begrüßt sie lächelnd. „Ich komme nicht aus dem Bett raus“, sagt die Seniorin. Er fragt, wohin sie möchte. „In die Stadt, wir kaufen ein“, sagt sie. „Es ist mitten in der Nacht“ sagt er. „Bitte?“, kreischt die Dame.
Der 54-Jährige redet mit ihr. Danach wartet er noch vor der Tür, horcht. Die Frau ist wieder eingeschlafen. Nach ein paar Sekunden wird die Stille von Wolfgang Kembüglers Telefon unterbrochen. Ab zum nächsten Bewohner.
Bereich für verhaltensauffällige Bewohner mit Demenz
Die Senioren wohnen hier in einem speziellen Gerontopsychiatrischen Bereich für verhaltensauffällige Bewohner mit Demenzerkrankungen. Wer denkt, dass deswegen die Gitter hochgezogen und alle Zimmertüren verschlossen sind, der irrt sich. Im Gegenteil.
Im Wohnbereich 10 bietet das Altenheim das „Nachtcafé“ an – 365 Tage im Jahr. Bis Mitternacht können die Senioren in dem Gemeinschaftsraum vor dem Dienstzimmer zusammensitzen.
Dann schauen sie fern oder singen zusammen. „Wir müssen berücksichtigen, dass die Bewohner früher vielleicht auch nicht um 20 Uhr schlafen gegangen sind“, sagt Kembügler.
Start vor etwa sechs Jahren
Das Projekt „Nachtcafé“ hat er vor etwa sechs Jahren gestartet. Mittlerweile unterstützt ihn eine Betreuungskraft dabei. Heute ist das Veronika Miglanz.
Die kleine Frau mit dem großen Lächeln sitzt neben einer älteren Frau auf der Sofa-Lehne. Die Senioren tragen ihren Pyjama und sitzen in Decken eingemummelt auf Sofas und in Ohrensesseln, die im Kreis zueinander stehen. Tischlampen sorgen für indirektes Licht.
Neben der Tür zum Dienstzimmer steht ein Rollwagen mit Chips, Schokolade und Getränken. Jeder Bewohner hat einen Schnellhefter mit Liedtexten in der Hand, Veronika Miglanz fängt an zu singen.
Eine Bewohnerin stimmt kraftvoll ein, ein paar ziehen mit, andere hören einfach nur zu. Einer steht auf, geht ein paar Schritte nach vorne, guckt auf den Boden. „Sie wollen uns doch nicht schon verlassen?“, fragt Miglanz. Bereitwillig lässt sich der Bewohner wieder zu einem Sessel zurückführen, das geht noch ein paar Mal so.
Ihre Arbeit gefalle ihr, sagt Miglanz. „Ich motiviere die Bewohner, sich auszupowern, dann wird das Licht gedimmt und ich nehme mir die Zeit, sie ein bisschen zu betüddeln.“
Heute habe das ziemlich gut geklappt, aber es gibt auch Tage, am denen die Bewohner nicht mitmachen wollen. „Wenn sie mal grummelig sind, haben sie meist irgendwas.“ Die meisten, die hier wohnen, können das aber nicht mehr äußern – sie haben vergessen wie.
Stattdessen laufen sie los und wehren sich auch schon mal, wenn sie daran gehindert werden – darin liegt die Herausforderung in diesem Wohnbereich. Aber singen, das gehe immer, sagt Miglanz. „Singen und Gefühle werden nicht dement.“
Alles dokumentieren und das Computer-System „füttern“
Während die Kollegin sich mit den wachen Bewohnern beschäftigt, dreht Wolfgang Kembügler eine seiner Runden. Bei den leeren Betten schüttelt er Kissen auf und schlägt Decken zurück.
Bewohnern, die schon im Bett liegen, bietet er Trinken und Essen an oder wechselt die Einlage geschickt mit wenigen Handgriffen. Nach jedem Gang muss er alles im Computer-Programm festhalten.
Schmerzmittel und Psychopharmaka
Diese Informationen, die im System von jedem Bewohner gesammelt werden, wird er um 6 Uhr an den Frühdienst weitergeben. So eine Übergabe hat er auch mit der Spätschicht um 21 Uhr. Seine Kollegin ist bei der dritten Bewohnerin: „Sie hat den ganzen Tag schlecht geschlafen, das hat sie geschlaucht.“
Im Dienstzimmer öffnet der Fachpfleger die Türen eines Schranks und viele weiße Pappschachteln mit Medikamenten sind zu sehen – von Schmerzmittel bis zu Psychopharmaka. Kembügler zerstampft Tabletten und streut das Pulver auf einen Schokopudding, um den Bewohnern ihre Medizin zu geben. „Das ist mein Trick.“
Gegen zwölf Uhr fasst er die Männer und Frauen an der Hand und bringt sie nach und nach ins Bett. „Wenn jemand dann wieder aufsteht und nicht mehr schlafen kann, kann ich das nicht ändern“, erklärt er.
Es piept, Kembügler wirft einen Blick auf ein Display im Gemeinschaftsraum, das eine Zimmernummer anzeigt. Ein Bewohner ist auf eine der Sensormatten getreten, die vor den Betten liegen und hat den Alarm ausgelöst – solche technischen Neuerungen verändern die Pflege. Auf dem Flur leuchtet an dem entsprechenden Zimmer eine rote Lampe. „Das beugt Stürzen vor“, sagt der Pfleger.
Er schaut nach dem Rechten. Trotzdem kann es sein, dass derjenige fällt, bevor Kembügler im Zimmer ankommt. So geschieht es auch diese Nacht. „Ich hebe den Bewohner auf und frage nach Schmerzen.“ Er überprüft den Gang, schaut auf die Haut – und dokumentiert den Vorfall im System.
Sieben Tage Nachtdienst am Stück sind kein Problem
Kembügler arbeitet meist im Nachtdienst oft sieben Tage am Stück. Danach hat er vier bis fünf Tage frei. Dazwischen ist auch mal tagsüber Dienst: „Ich komme sehr gut damit klar“, sagt er.
Nach der Schicht lege er sich dann morgens um acht ins Bett und schlafe bis siebzehn Uhr. Dann fängt bald die nächste Nachtschicht an. Das piepsende Telefon wird wieder sein Begleiter sein.
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