Menden. . Vor zwei Jahren kam Jonte auf die Welt, am nächsten Tag starb er. An seinem Geburtstag will seine Familie nicht trauern, sondern das Leben feiern
Die Rakete am Fenster neben der Haustür begrüßt den Besucher. Im Haus findet sich das Motiv immer wieder. Es ist das Symbol für Jonte, der vor zwei Jahren starb und sinnbildlich wie ein Astronaut in den Himmel flog. Nicht einmal 29 Stunden durfte der kleine Junge leben. Für seine Eltern und Geschwister ist das Sternenkind bis heute ein fester Teil der Familie.
Die Schwangerschaft
Eigentlich hatte niemand mit Jonte gerechnet. Die Familie Karthaus-Schelte hatte drei Kinder, drei (frühe) Fehlgeburten lagen hinter Anisha Karthaus, als die junge Mendenerin erneut schwanger wurde: „Das war nicht geplant, aber wir haben uns trotzdem riesig gefreut.“
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In der 27. Schwangerschaftswoche hatte Anisha Karthaus einen Blasensprung, musste nach Dortmund ins Krankenhaus: „Die haben dort eine spezielle Station für Frühchen.“
Die Geburt
Das Baby sollte so lange wie möglich im Bauch bleiben. Nach knapp drei Wochen verschlechterten sich plötzlich die Entzündungswerte des Kleinen, Anisha Karthaus bekam Kopfschmerzen, Fieber, das CTG war auffällig. In der 30. Schwangerschaftswoche, am 16. Oktober, kam Jonte um 3.25 Uhr per Notkaiserschnitt auf die Welt.
Zunächst sah alles gut aus. „Ich durfte ihn kurz sehen“, erinnert sich die heute 32-Jährige. Der Kinderarzt habe ihr einige Stunden später gesagt, dass alles in Ordnung sei: „Ich war so erleichtert.“
Das Sterben
Das Gefühl sollte nur wenige Stunden dauern. Wenige Stunden später hatte Jonte einen beidseitigen Pneumothorax, eine Sepsis, seine Entzündungswerte stiegen ins Unermessliche: „Die waren so hoch, dass das Labor sie nicht mehr messen konnte.“ Für Anisha Karthaus war in dem Moment klar, „wo die Reise hingeht“. Sie ist dankbar, dass der Arzt offen über Jontes Überlebenschancen sprach: „Wir wissen nicht, ob er es schafft.“
In der Zwischenzeit kehrte Anisha Karthaus’ Ehemann Daniel Schelte aus dem Urlaub zurück, in dem er sich mit den drei Kindern und den Großeltern befand. Am späten Abend konnte er Jonte sehen. „Wir durften ihn zwar nicht auf den Arm nehmen, aber anfassen und streicheln“, erinnert sich Anisha Karthaus.
Am nächsten Morgen, gegen sechs Uhr, sollten die Eltern so schnell wie möglich zu Jonte kommen: „Mir war klar, das war’s jetzt“, erzählt Anisha Karthaus. Die Organe des Säuglings versagten nach und nach, medizinisch konnte nichts mehr für ihn getan werden. Seinen Eltern war eine Nottaufe wichtig. „Jonte hat bis zur Taufe gekämpft“, erzählt Anisha Karthaus. „Keine fünf Minuten später sah man auf dem Monitor, wie Herzfrequenz und Sättigung runtergingen.“ Es war 8.23 Uhr, als Jonte in den Armen seiner Mutter starb.
Der Abschied
Anisha Karthaus war es wichtig, von Jonte Abschied nehmen zu können: „Wir hatten dafür alle Zeit der Welt.“ Auch ihre drei Kinder – zu dem Zeitpunkt zweieinhalb, fünf und acht Jahre alt – sollten sich verabschieden dürfen. „Ich wusste, wie wichtig das für Kinder ist, damit sie wortwörtlich ,begreifen’ können, wenn jemand gestorben ist“, sagt die gelernte Heilerziehungspflegerin. Familie Karthaus-Schelte erhielt verschiedene Erinnerungsstücke, die sie mit nach Hause nehmen durfte.
Die Trauer
Die Trauer um ihr Baby kommt in Wellen, spürt Anisha Karthaus: „Die Wellen werden dann im Laufe der Zeit immer ein bisschen flacher und schwächer. Komplett verschwinden wird diese Trauer nie.“ Für jede Seele auf dieser Welt gibt es einen Plan, „in dem auch vorbestimmt ist, wie alt jemand wird“, ist Anisha Karthaus überzeugt. „Wenn ich das nicht glauben würde, dann würde ich das alles nicht so wegstecken können.“ Dieser Gedanke gebe ihr Hoffnung „und den Mut weiterzuleben“.
Die Zukunft
Im Rückblick ist Anisha Karthaus überzeugt, dass Jonte hätte eher auf die Welt geholt werden müssen: „Wäre diese Sepsis nicht gewesen, dann hätte er wohl bessere Chancen gehabt.“ Aber Gedankenspiele à la „Was wäre wenn“ sind ihr fremd: „Es würde uns Jonte nicht zurückbringen.“ Wunden würden immer wieder aufgerissen, die anfangen zu heilen.
„Jonte ist immer dabei“, sagt Anisha Karthaus. Er ist Bestandteil der Familie, „wir sprechen auch ab und zu über ihn“. An der Wand im Wohnzimmer hängt ein Foto von Jonte – genauso wie von den drei anderen Kindern: „Er ist immer bei uns, weil wir ihn in unseren Herzen tragen.“ Und irgendwann, davon ist Anisha Karthaus überzeugt, werden sie sich alle wiedersehen.
„Danke, dass es dich gab“, ist ein Gedanke, der Anisha Karthaus ab und an durch den Kopf geht, wenn sie an Jonte denkt. So auch sicherlich am nächsten Dienstag. Dann feiert die ganze Familie Jontes Geburtstag. Derzeit bereitet Anisha Karthaus alles vor. Die Rakete zieht sich auch hier als Motiv durch. Am 16. Oktober, wenn Jonte zwei Jahre alt geworden wäre, will seine Familie am späten Nachmittag auf dem Friedhof Papier-Raketen aufsteigen lassen. Dazu werden an Luftballons kleine Raketen-Bildchen befestigt, die auf den Weg zu Jonte geschickt werden. „Da wird es ähnlich sein wie bei Jontes Trauerfeier“, sagt Anisha Karthaus. „Wir wollen nicht den Tod betrauern, sondern das Leben feiern.“
>> STERNENKINDER IN LIEBE GEHÜLLT
- Anisha Karthaus engagiert sich seit zwei Jahren für Eltern von Sternenkindern. In den Krankenhäusern in Iserlohn und Neheim bekommen Betroffene zum Beispiel Kleidung für ihr Baby in besonders kleinen Größen sowie Erinnerungsstücke wie Handschmeichler und Kerzen. Anisha Karthaus ist aktiv im Verein „In Liebe gehüllt – Hand in Hand für Sternenkinder und Frühstarter“ (www.facebook.com/Inliebegehuellt)
Der Monat Oktober, berichtet Anisha Karthaus, ist der offizielle Gedenkmonat für Sternenkinder – also Kinder, die kurz vor, während oder nach der Geburt verstorben sind. Darüber hinaus gibt es weltweit als Gedenktag den zweiten Sonntag im Dezember. Beim so genannten „Worldwide Candle Lighting“ gedenken Eltern, Freunde und Familienangehörige der verstorbenen Kinder.