Lahrfeld. . Die Katholische Kirche muss sich verändern. Das sieht auch Alwin Linnenbrink – und das obwohl er eigentlich schon seit zehn Jahren in Rente ist.
„Bei uns wird das mit dem Ruhestand nicht so ernst genommen“, sagt Alwin Linnenbrink. Er sitzt an seinem dunklen, verschnörkeltem Esstisch, hat die Hände vor sich gefaltet. Ein Lächeln huscht ihm übers Gesicht. Eigentlich ist der 80-Jährige Priester seit zehn Jahren in Rente. Doch Linnenbrink hält noch immer Messen, ist als Subsidiar fester Bestandteil des Pastoralverbundes Menden. Ende 2019 will auch er vollständig in Rente gehen. Die Kirche sieht er auf einem schwierigen Weg. Denn wie nie zuvor muss sich die Katholische Kirche verändern und einen Weg in die Zukunft finden, um auch jüngere Menschen wieder zu erreichen.
Die Standuhr in der Ecke seines hellen Wohnzimmers tickt. Wie ein Metronom. Unaufhörlich und beruhigend zugleich. Eigentlich müsste er keine Messen mehr halten. Aber der 80-Jährige tut es. Aus Überzeugung. Und gerade zur St.-Paulus-Gemeinde Lahrfeld hat er noch immer eine besondere Beziehung. Dort war er von 1969 bis 1982 aktiv.
Die Kritik
Derzeit liest Alwin Linnenbrink, randlose Brille und das olivfarbene Hemd zurechtgerückt, das Buch eines Wiener Theologen. Auch er beschäftigt sich im eigentlichen Ruhestand noch mit der Zukunft seiner Kirche. „Die Kirche ist nicht in einer Krise, sondern vielmehr im Umbruch“, sagt er bedächtig. Denn sie entspreche nicht mehr den heutigen Anforderungen, die die Gesellschaft stellt – in diesem Punkt sieht er es wie der Wiener Theologe. „Viele Dinge sind früher schon einmal umgebaut worden, das ist nichts unnatürliches“, erklärt Linnenbrink. Und doch scheint ihm der Zustand der Katholischen Kirche Kopfzerbrechen zu bereiten. Gleichwohl geht er kritisch mit seiner Kirche ins Gericht. Über die Jahre habe sich viel verändert. Das Vereinswesen, die Jugendarbeit, die Katholische Arbeitnehmerbewegung. „Das ist offensichtlich veraltet. Es muss etwas Neues kommen“, ist sich Linnenbrink sicher. Doch was?
Die Lösungsansätze
Das ist auch seiner Meinung nach die große Frage. Aus seiner Sicht sollten sich die Gemeinden von festen Vereinsstrukturen lösen; feste Mitgliedschaften sind immer auch Verpflichtungen. Und die wollten heutzutage immer weniger Menschen eingehen. Als Beispiel für notwendige Veränderungen nennt er die kfd. Die Frauen treffen sich in der Regel nachmittags. Das berge gerade für berufstätige, jüngere Frauen ein Problem. Am späten Nachmittag gebe es eher eine Schnittmenge, um jüngere Frauen für die Mitarbeit zu begeistern. Doch das passe nicht in den Tagesablauf älterer Mitglieder. Ein Teufelskreis. Sein Blick schweift über eine geschnitzte Eulenfigur.
Sieben Diakone für 13 Gemeinden
Die insgesamt 13 Gemeinden der Hönnestadt sind im Pastoralverbund Menden zusammengeschlossen.
Pfarrer Jürgen Senkbeil ist Leiter des Pastoralverbundes. Ihm zur Seite stehen drei Priester im Amt, Alwin Linnenbrink als Subsidiar, sieben Gemeindereferenten, ein Kirchenmusiker und gleich sieben Ständige Diakone.
Dass Linnenbrink auch ein Jahrzehnt nach seinem eigentlichen Ruhestand noch immer Messen hält, ist nicht selbstverständlich – aber notwendig. Der Nachwuchs fehlt. Dass sei in Menden nicht anders als in anderen Gemeinden der Bundesrepublik. Er übt seinen Beruf aber mit Hingabe aus, springt im Urlaub seiner hauptamtlichen Kollegen mehrmals pro Woche ein. Erst vor wenigen Tagen hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx für ein Umdenken beim Zölibat geworben. Für Linnenbrink hat „Priester zu sein, etwas mit Glauben“ zu tun. Das gelte sowohl persönlich als auch beruflich. Ganz am Zölibat rütteln wolle er daher nicht. Priester ist man aus Überzeugung. „Auch in der Evangelischen Kirche wird der Nachwuchs weniger“, sagt der 80-Jährige. Das habe mit dem Zölibat nichts zu tun.
Die Zukunft
Gleichwohl ist „die christliche Luft dünner geworden“. Aus seiner Sicht wachse die Zahl der Skeptiker am christlichen Glauben. Das hänge sicher zum einen mit der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Aufklärung zusammen. Die Kirche sei nicht mehr auf Höhe der jungen Menschen. Er nimmt einen Schluck aus einem Glas Wasser. Daher habe das Erzbistum Paderborn vor wenigen Jahren ein sogenanntes Zukunftsbild herausgegeben. Es ist die Bestandsanalyse des Erzbistums. Die Priester sind angehalten auszuprobieren. Neue Wege gehen, alte Strukturen aufbrechen. Die eine Lösung gibt es nicht.
Er will noch rund ein Jahr an seine Tätigkeit als Subsidiar dranhängen. „Wahrscheinlich werde ich die amtliche Beauftragung nicht verlängern“, sagt Linnenbrink. Das hänge auch vom Gesundheitszustand ab. Wehmut liegt in seiner Stimme. „Ich hoffe, dass ich sagen kann: ,Jetzt ist Schluss’.“ Die Standuhr gibt den Takt vor. Tick, tack – tick, tack. Die Zeit verrinnt.