Lendringsen. . Mendens stille Helden – einer von ihnen ist Daniel Homberg, ohne den es die Bieberschlümpfe nicht geben würde. Er starb mit 35 Jahren.
Manche Mendener stehen regelmäßig in der Öffentlichkeit und sind vielen Bürgern bekannt. Andere hingegen kennt kaum jemand – und dennoch hinterlassen sie eindrucksvolle Spuren. Weit über ihren Tod hinaus. Es sind diese stillen Helden, die eine Stadt nachhaltig prägen. Die die Welt ein kleines Stückchen besser machen. Einer von ihnen ist Daniel Homberg.
Dass Daniel der Grund dafür sein würde, dass die Bieberschlümpfe aus der Taufe gehoben wurden, ahnte bei seiner Geburt niemand. Seiner Mutter Petra Homberg fiel in Daniels ersten Lebensmonaten auf, dass ihr Sohn langsamer in seiner Entwicklung war als Gleichaltrige. Der Kinderarzt hörte ein Herzgeräusch, überwies Daniel zur Uniklinik Münster.
Die Ursache für Daniels Anderssein blieb dennoch viele Monate im Ungewissen. Endlich, als Daniel zwei Jahre alt war, folgte die Diagnose Williams-Beuren-Syndrom. „Damals waren weltweit nur 350 Fälle bekannt“, erinnert sich Petra Homberg. „Zehn Jahre später entdeckten Ärzte, dass ein Chromosomendefekt die Ursache ist.“
Kognitive Behinderung, Wachstumsverzögerung, Hör- und Schlafstörungen, ein relativ kleiner Kopf, eine ungewöhnliche Gesichtsform – Menschen, die das Williams-Beuren-Syndrom haben, können viele Symptome bekommen.
Nicht alle Betroffenen weisen alle Merkmale auf. „Daniel hat alles mitbekommen, was auftreten kann“, erinnert sich Petra Homberg.“ Andere Betroffene konnten irgendwann sprechen, Daniel nicht. Einige Worte flossen, nie komplette Sätze. Aber er hatte ein gutes Namens- und Gesichtergedächtnis.
Karneval in der Garage gefeiert
Für Petra Homberg (59) und ihren Mann Michael (61) stand von Anfang an fest, dass Daniel möglichst normal aufwachsen sollte. In der Nachbarschaft lebten andere Kinder mit Behinderung, erinnert sich Petra Homberg. Karneval feierten Mädchen und Jungen mit und ohne Behinderung gemeinsam in der kurzerhand ausgeräumten Garage der Familie. Daraus entstanden die Bieberschlümpfe, die sich zunächst im Wohnzimmer der Hombergs trafen. „Ohne Daniel hätten wir die Bieberschlümpfe nie gegründet“, sagt seine Mutter. Bis heute ist die Gruppe in Menden aktiv, „dieses Miteinander hat uns sehr gestärkt.“
Keine Ausgrenzung, keine Einsamkeit. Daniel war immer mittendrin. Mit seinem ansteckenden Lachen. „Er war ein so fröhliches Kind“, blickt Petra Homberg zurück und lächelt bei der Erinnerung. Ein Junge mit Humor – und mit großem Appetit. Petra Homberg erinnert sich an eine Situation, als Daniel gerade ausgiebig gefrühstückt hatte und in der Küche auf die leckeren Amerikaner schielte, die allerdings für den Nachmittagskaffee gedacht waren.
Als ihm klar war, dass er von den süßen Gebäckteilchen keines stibitzen konnte, ohne aufzufallen, schlenderte er in die Küche, anschließend wieder hinaus, zeigte seiner Mutter dabei demonstrativ seine leeren Hände. Den Schoko-Amerikaner hatte er auf sein lockiges dunkles Haar gepackt. „Ich habe gelacht, und er durfte den Amerikaner natürlich essen“, erzählt Petra Homberg.
Die Angst ließ Daniels Eltern nie los
Daniel war auch ein Mensch mit einem besonderen Gespür. Nie weinte er. Nur einmal, da kam sein jüngerer Bruder zu den Eltern gelaufen, weil Daniel – damals 21 Jahre alt – in Tränen aufgelöst war. „Fünf Minuten später kam der Anruf, dass seine Omi gestorben war, an der er so gehangen hat“, erinnert sich Petra Homberg. „Das hat er wohl gespürt.“
Daniel besuchte die Carl-Sonnenschein-Schule, arbeitete später in den Iserlohner Werkstätten. Bei allem Bemühen um ein Gefühl von Alltag – die Angst ließ Daniels Eltern sein Leben lang nie los. Als Daniel ein halbes Jahr alt war, „da wusste kein Arzt, was genau er hat, aber uns wurde gesagt: ,Wenn Sie Glück haben, wird Ihr Sohn 15.’“ Ein Satz, der Petra Homberg bis heute fassungslos macht.
Jedes Jahr, das Daniel nach seinem 15. Geburtstag schaffte, ein kleiner Triumph über die ärztliche Prognose. „Ich habe jedes Jahr zu Daniel gesagt: „Siehst Du, schon wieder ein Jahr geschafft.“ Geschenkte Zeit.
Inklusion als gelebter Alltag
Im vergangenen Jahr bekam Daniel Durchfälle, nahm 30 Kilo ab, sein Darm war entzündet. Er war kraftlos, der sonst so genießerische Esser verspürte keinen Appetit mehr. Im Krankenhaus bekam er nach einem Darmverschluss einen künstlichen Darmausgang: „Das ging Daniel an die Substanz“, sagt Petra Homberg nachdenklich.
Der künstliche Ausgang bereitete Probleme, Daniel wurde erneut operiert. „Die OP ist eigentlich gut verlaufen.“ Zwei Tage später, am 9. Juni dieses Jahres, sollten Daniels Eltern ins Krankenhaus kommen, um eine Einwilligung zu unterschreiben. „Er sollte an die künstliche Beatmung. Weil Daniel auch Asthma hatte, haben wir uns nicht viel dabei gedacht.“
„Nach Hause gehen“
Der Moment, als Petra Homberg und ihr Mann in Daniels Krankenzimmer traten, hat sich in ihrem Herzen für immer eingebrannt: Daniel verdrehte die Augen, ergriff jeweils eine Hand seiner Mutter und seines Vaters, zog sich aus dem Bett hoch. „,Nach Hause gehen’ hat er dann gesagt“, erinnert sich Petra Homberg mit Tränen in den Augen. „Dann sollten wir rausgehen.“
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Während die Eltern in der Kapelle eine Kerze für ihren Sohn anzündeten und der festen Überzeugung waren, dass es ihm gleich besser gehen würde, wurde Daniel drei Mal wiederbelebt. Als sie zurückkamen, war ihr Junge tot. „Er hat sich auf den Weg nach oben gemacht, als er sich an uns festgehalten und aufgesetzt hat“, ist Petra Homberg überzeugt. „Er konnte nicht mehr, er wollte seinen Frieden haben.“
Inklusion als gelebter Alltag
Wenn das eigene Kind stirbt, ist das wohl das Schlimmste, was Eltern widerfahren kann. Trotz aller Tränen, trotz aller Trauer, Petra Homberg sagt: „Daniel hatte 35 schöne Jahre. Wir sind so dankbar, dass wir ihn hatten.“
Sie habe immer „das Gefühl gehabt, der da oben sagt mir, mach’ was“, erinnert sie sich an die ersten Jahre nach Daniels Geburt. Woher sie die Energie nahm? „Wenn ich weiß, es geht anderen gut und ich kann anderen eine Freude machen, dann gibt mir das Kraft.“
Nie hat Petra Homberg mit ihrem Schicksal gehadert: „Ich wollte immer dafür sorgen, dass Behinderte einen Platz in unserer Gesellschaft haben.“ Inklusion als gelebter Alltag. Ihr Herzenswunsch: Dass andere Menschen mit Behinderung leichter ihren Platz in der Gesellschaft finden. So, wie Daniel ihn gefunden hatte.
>> BIEBERSCHLÜMPFE TREFFEN SICH FREITAGS
Die Bieberschlümpfe treffen sich freitags zwischen 16 und 18 Uhr in der Josefschule Lendringsen. Weitere Informationen bei Petra Homberg, Telefon 02373-82508.