Menden. . Blinde und sehbehinderte Menschen können sich Nachrichten aus ihrer Zeitung vorlesen lassen. Es gibt zwei verschiedene Angebote.

Was passiert in meiner Stadt? Blinde und sehbehinderte Menschen können sich Nachrichten aus ihrer Zeitung vorlesen lassen – nicht nur vom Ehepartner oder der Familie, sondern auch mit weiterer Unterstützung. In Menden gibt es zwei Varianten: Blinde können sich entweder die komplette Zeitung vorlesen lassen (siehe Zweittext auf dieser Seite) oder Auszüge.

Highlight der Woche

Hermann-Josef Schnell kümmert sich mit Iris Schulte und Adele Rohe darum, die interessantesten Zeitungsartikel auf Cassette vorzulesen. Seit fast 20 Jahren liest Hermann-Josef Schnell vor. Vor mehr als einem Vierteljahrhundert wurde das Angebot von der Behindertenhilfe Menden aus der Taufe gehoben. „Dann fiel irgendwann ein Vorleser aus und ich bin eingesprungen“, erinnert sich Hermann-Josef Schnell. Seither wertet er abwechselnd mit seinen beiden Mitstreiterinnen die Tageszeitungsausgaben – für Menden vorwiegend die Westfalenpost – aus, liest die Artikel vor, während er sie auf Cassette aufnimmt. Für so manchen Blinden oder Sehbehinderten sei die Cassetten-Lesung „das Highlight der Woche“, weiß Hermann-Josef Schnell. „Viele leben alleine.“

Die Cassetten werden in einem Schuber per Post befördert.
Die Cassetten werden in einem Schuber per Post befördert. © Corinna Schutzeichel

Launige Kommentare

Jede Woche produziert Hermann-Josef Schnell eine neue Cassette. In 90 Minuten fasst er das Lokalgeschehen zusammen. Oft versehen mit launigen Kommentaren. Als etwa ein Klavierspieler namens Geiger in einem Artikel erwähnt wurde, konnte sich Hermann-Josef Schnell den Kommentar nicht verkneifen: „Mein Gott, das ist ja blöd. Der spielt Klavier und heißt Geiger.“ Die Themenauswahl – was ist wichtig, was kann weggelassen werden – ist subjektiv, und so sagt Hermann-Josef Schnell: „Ich lese keine Berichte über Schützenfeste, weil ich was gegen Uniformen und Gewehre habe.“

Ein Hörer oder ein Kaffeekränzchen

Wenn Hermann-Josef Schnell die beiden Cassettenseiten besprochen hat, erstellt er 42 Kopien. Diese tütet er in kleine Schuber ein, die mit Adress-Etiketten versehen sind. Da es sich um Blindensendungen handelt, werden diese von der Post europaweit kostenlos befördert.

Die meisten Adressaten wohnen in Menden und in Fröndenberg. „Einige sind auch zu ihren Kindern weiter weg gezogen und lassen sich die Blindenzeitung an ihren neuen Wohnort schicken.“ Dabei lauscht oftmals nicht nur ein Hörer, sondern ein ganzes Kaffeekränzchen.

Auswahl und Aufnahme

Ist die Cassette gehört, kann der Adress-Zettel, der sich unter einer Folie befindet, umgedreht werden. Dort aufgedruckt ist die Adresse der Behindertenhilfe Menden. Auf diesem Weg landen die Cassetten dann per Post bei der Behindertenhilfe, wo Hermann-Josef Schnell sie wieder einsammelt. Und damit beginnt die Auswahl der Texte und die Aufnahme erneut.

Eine Pause gibt es nicht. Auch als Hermann-Josef Schnell mal sehr stark erkältet war, krächzte er die Nachrichten ins Aufnahmegerät. Folge: An einer der Cassetten, die er eine Woche später zurückerhielt, befand sich – befestigt mit einem Gummiband – ein Hustenbonbon mit dem auf einem Zettel notierten Wunsch „Gute Besserung“.

16 bis 18 Stunden im Ehrenamt

Hermann-Josef Schnell selbst ist vor vielen, vielen Jahren durch seine Tochter Astrid, die das Down-Syndrom hat, in Kontakt mit der Behindertenhilfe Menden gekommen. Für ihn war es damals selbstverständlich, bei der Blindenzeitung einzuspringen, als Ersatz gesucht wurde: „Das ist doch klar, dass man so was dann macht. Man hat doch eine soziale Ader.“

Etwa 16 bis 18 Stunden investiert Hermann-Josef Schnell wöchentlich in seine ehrenamtliche Arbeit. Für das Engagement des dreiköpfigen Teams hat Sabine Loosen, Geschäftsführerin der Behindertenhilfe Menden, größtes Lob: „Das ist ausgezeichnet. Ohne die Drei gäbe es die Hörzeitung nicht.“

>> BEITRÄGE IMMER AUF CASSETTE AUFGENOMMEN

Seit jeher nimmt Hermann-Josef Schnell die Beiträge auf Cassette auf. Eigentlich ein aussterbendes Medium. Woher bekommt der Mendener heutzutage noch neue Cassetten? „Ich habe neulich einen ganzen Stapel bei einem Versandhandel in Dresden bestellt“, berichtet er.
Auf ein anderes Medium – CD oder Smartphone – zu wechseln, kommt für Hermann-Josef Schnell nicht in Frage. Für blinde Menschen sei es bei Cassetten viel einfacher, nach einer Pause ab einer bestimmten Stelle weiterzuhören: „Bei einer CD wäre das viel schwieriger.“ Zudem würden CDs nicht in die Hüllen passen, mit denen die Blindenzeitung per Post verschickt wird: „Wir müssten dann 6,95 Euro pro neuer Schatulle bezahlen.“

>> DIE KOMPLETTE WP AUF KNOPFDRUCK

Wer sich nicht nur einen Ausschnitt aus der Tageszeitung vorlesen lassen möchte, kann auch die komplette Zeitung zum Hören bestellen. Die Westfalenpost bietet hierfür ein Audio-Abo an.

Hier können sich Blinde oder Sehbehinderte die Zeitung über eine spezielles Gerät vorlesen lassen. Die Kosten für diesen „Universal-Reader“ werden in der Regel von den Krankenkassen übernommen, wie Anne Kochanek von der Firma Papenmeier, die sich um die technische Umsetzung der Hörzeitung kümmert, weiß. „Blinde oder Sehbehinderte nutzen dieses Gerät auch, um sich beispielsweise einen Medikamentenbeipackzettel, ein Kochrezept oder einen Brief vorlesen zu lassen.“

Per Tastendruck wird Schrift in Sprache umgewandelt. Für die Zeitungsfunktion entstehen einmalige Kosten in Höhe von 300 Euro. „Der Kunde drückt eine Taste und die Zeitung wird automatisch ins Vorlesegerät übertragen“, erläutert Anne Kochanek. Der Kunde kann per Tastenkreuz durch die komplette Zeitung navigieren und sich nach persönlichem Interesse Texte vorlesen lassen.

Es gibt verschiedene Abo-Varianten. Entweder abonnieren Kunden ausschließlich die Hör-Zeitung. Hierfür entstehen die gleichen monatlichen Kosten wie in Höhe der gedruckten Tageszeitung. Wer – etwa für seinen Partner – weiterhin die gedruckte Zeitung behalten möchte und zusätzlich die Hör-Variante abonnieren möchte, zahlt zusätzlich zum regulären Abo-Preis für die gedruckte Zeitung noch 7,20 Euro.

Weitere Infos beim WP-Leserservice unter 0800-6060740 oder bei der Firma Papenmeier unter 0800-7273663.