In ihren letzten Tagen wurde die Disco KM zuerst eine Go-Kart-Bahn, später dann an Autohaus verkauft.
Menden. Was in der Nacht zum Pfingstsonntag 1993 um 3 Uhr in der Diskothek „KM“ passierte, war mehr als eine Räuberpistole, über die man im Nachhinein vielleicht nur den Kopf geschüttelt hätte. Diesmal aber standen Menschenleben auf dem Spiel.
Im Vorraum der Diskothek hatte es einen Streit zwischen einem Mann und einer Frau gegeben. Ein unbeteiligter 36 Jahre alter Lendringser hatte das zufällig beobachtet, schlug daraufhin den Mann zu Boden und wurde deshalb sofort der Diskothek verwiesen.
Zwei Kugeln lösten sich nicht aus Waffe
Kurz darauf aber kam er wieder in die Disco, zog einen Trommelrevolver aus der Tasche, schoss den Türsteher, der ihn rausgeworfen hatte, in den Bauch, verletzte mit einem Streifschuss einen Gast an der Stirn und zielte auch auf weitere herbei eilende Bedienstete des KM. Doch zwei Kugeln lösten sich nicht aus der Waffe. Der Täter wurde mit einem Baseball-Schläger niedergestreckt und überwältigt. Das Schwurgericht Arnsberg verurteilte den Disco-Schützen Ende März 1994 wegen versuchten zweifachen Totschlags zu sechs Jahren Haft.
Das Publikumsverhalten hatte sich offenbar geändert. Das „KM“ war zwar weiterhin bestens besucht, aber es gab zusehends mehr Gewalt. Sprays und Messer waren gängige Waffen. Günter Kühl-Müller beobachtete auch bei den Sonntagnachmittagsveranstaltungen eine zunehmende Aggressivität. Eine Erkenntnis, die aber nicht allein zu dem Entschluss führte, Anfang 1996 den Disco-Betrieb des „KM“ einzustellen. Er hatte gespürt, dass die Menschen ihre Freizeit anders gestalteten, dass es sie mehr in die Großstädte zog. Zudem saß das Geld nicht mehr so locker bei 10 Prozent Arbeitslosigkeit. Er sah anders als manche seiner Branchen-Kollegen voraus, dass sich die Freizeitszene ins Gigantische entwickeln würde, aber dafür sei Menden zu klein gewesen.
„Als hätte ich einen Schornstein gefegt“
Das „KM“ war plötzlich nicht mehr Musiktempel. In seinen Mauern roch es jetzt nach Gummi und dröhnten Motoren. Kühl-Müller hatte Anfang 1996 aus dem „KM“ für eineinhalb Jahre eine Go-Kart-Bahn gemacht. Er hatte 30 Fahrzeuge angeschafft, darunter zehn für Kinder. Ein Rennsport, der von den Mendenern offenbar gut angenommen worden ist.
Aber auch die Go-Kart-Bahn war nur eine Zwischenlösung im „Schicksal“ des „KM“. Freimütig bekannte Kühl-Müller, wie es ihm damals ging: „Die Go-Kart-Bahn ist zwar gut gelaufen, doch wer da 8 bis 9 Stunden am Tag und abends in diesem Lärm steht, weiß hinterher, was er seinen Ohren angetan hat. Morgens wurde ich wach und fühlte mich vom Reifenabrieb schmutzig, als hätte ich gerade einen Schornstein gefegt“.
„Last Dance“-Party mit 2000 Besuchern
Der Entschluss, das „KM“ und seine Anbauten mit 2600 qm unter Dach und mit den Freiflächen zu verkaufen, stand fest. Verhandlungen liefen bereits. Interessiert war eine Mönchengladbacher Vermögensverwaltung, die das Gebäude der ehemaligen Großdisco unterteilen wollte. Dort sollten vier Handwerksbetriebe angesiedelt werden. Doch dieser Plan klappte nicht, weil der potentielle Käufer dafür das Geld nicht zusammenbekam. Letztlich verkaufte Kühl-Müller das gesamte Areal dann an ein Peugeot-Autohaus. Der Autohandel befindet sich heute noch dort.
Der Musiktempel war weg. Doch die früheren Gäste des „KM“ nutzten die Chance, Abschied zu nehmen von lieb gewonnenen Räumen. Am 20. Dezember 1997 stieg eine gigantische „Last Dance“-Party mit 2000 Besuchern. Die Go-Kart-Bahn war abgebaut. Die Mendener LAM-Showtechnik hatte eingeladen und mit einer großartigen Licht- und Tonanlage noch einmal das Feeling der KM-Disco hervorgeholt. Mitsamt weihnachtlicher Stimmung. Doch auch diesmal ging es nicht ohne Schlägerei ab zwischen einer deutschen und einer türkischen Gruppe. In deren Verlauf zog ein Türke eine Gaspistole und schoss. Eine Person wurde verletzt. Als die Polizei kam, waren die Beteiligten schon verschwunden.
Statt fetziger Disco-Musik heute Meeres-Rauschen
17 Jahre war Günter Kühl-Müller in Menden in der „Mendener Mühle“ und im „KM“ tätig. Als er am 19. August 1983 das neue Bistro Mendener Mühle als erster Gastronom übernahm, holte er sofort Scharen von Gästen in das Lokal, u.a. mit Musikabenden, wie es sie in der Hönnestadt vorher kaum gegeben hatte. Kühl-Müller steckte stets voller Pläne. Am Bräukerweg, dort, wo 1998 das neue Autohaus Peugeot eingezogen ist, baute er 1988/89 seine „KM“-Diskothek, die wiederum das Besondere sein sollte und auch wurde.
Seit 2001, seit 16 Jahren bereits lebt er mit seiner Frau Stefanie geb. May im ehemaligen Künstlerdorf Ahrenshoop an der Ostsee. 561 km von Menden entfernt. Und dennoch ist der Kontakt in die Hönnestadt intensiv geblieben, denn die Eltern seiner Frau, Alfred und Renate May, wohnen in Menden.
50 Betten-Hotel im Seebad Ahrenshoop
Günter Kühl-Müller ist wieder in der Gastronomie tätig, „denn das habe ich gelernt“. Im Ostseebad Ahrenshoop erlebt er ein Kontrastprogramm zu seiner Zeit in Menden: Nicht mehr der Sound fetziger Musik, nicht mehr das Röhren aufgedrehter Motoren, diesmal überwiegend das Rauschen der Meeres-Wellen.
Der Zufall hat ihn in die Abgeschiedenheit von Sand, Grün und Wellen verschlagen an diesen Ort rund 35 km hinter Rostock und nur eineinhalb Stunden von Berlin entfernt. In Ahrenshoop gehört ihm und seiner Frau Stefanie das 50-Betten-Hotel „Haus am Meer“. Stefanie ist Hoteldirektorin, Günter, der eigentlich in den (Un-)Ruhestand getreten ist, bezeichnet sich lächelnd als „beschäftigter Rentner“. Bevor sie das „Haus am Meer“ übernahmen, war „GKM“ im Strandhotel Fischland in Dierhagen für ein 450-Betten-Haus im Management und im Marketing tätig, während seine Frau Stefanie parallell die Leitung im „Haus am Meer“ innehatte.
In Menden kannte er im gastronomischen Aufgabenbereich kein sprichwörtliches „Sommerloch“, da war immer Programm. Ob in „Mendener Mühle“ oder in der „KM“-Großdisco. In Ahrenshoop hingegen dauert die Haupt-Saison nur von Mai bis Oktober, da hat er anschließend das „Winterloch“.
Auch Tommy Tut ein Ahrenshoop
Aber wie kamen die Kühl-Müllers an die Ostsee? Im „KM“ in Menden arbeitete 1989/90 Freund Thomas Glaß, den aber die Mendener nur unter Tommy Tute kennen. Der machte sich nach dem Fall der Mauer auf zur Ostsee, baute an der Dorfstraße in Ahrenshoop ein 60-Betten-Hotel und eröffnete es im August 1998 als „Der Fischländer“. Mit Bar „Tute“ im Untergeschoss. Wegen der Bar suchte er Günter Kühl-Müllers Hilfe. Alles weitere entwickelte sich daraus. „Haus am Meer“ und „Der Fischländer“ liegen nur 800 m auseinander und deren Chefs sind weiterhin beste Freunde.
Die 17 Jahre in Menden bezeichnet Kühl-Müller als sehr schön. „Die Zeit in der Hönnestadt hat mich geprägt.“ Einsam fühlt er sich an der Ostsee nicht. „Hier ist es anders, ruhiger. Unser Schritt war richtig,“ unterstreicht Kühl-Müller den Weggang von Menden ans große Wasser.
Die 17 Jahre in Menden bezeichnet Kühl-Müller als sehr schön. „Die Zeit in der Hönnestadt hat mich geprägt.“ Einsam fühlt er sich an der Ostsee nicht. „Hier ist es anders, ruhiger. Unser Schritt war richtig,“ unterstreicht Kühl-Müller den Weggang ans große Wasser.
Und wer in Menden noch die Kinder der beiden kennt und wieder von ihnen hören möchte: Sohn Tim ist inzwischen 25 Jahre alt, ist bekanntlich noch von Pastor Theune getauft worden und lebt jetzt in Berlin. Tochter Jenny ist 22 Jahre alt, studiert in Leipzig Veterinärmedizin.
Das Seebad Ahrenshoop in der Region Fischland an der deutschen Ostseeküste der Mecklenburger Bucht liegt auf der Verbindung der Halbinsel Darß zum Festland. Ahrenshoop befindet sich an Ostsee- und Boddenküste (Saaler Bodden) und hat dadurch Wasser auf zwei Seiten. Nächstgrößere Mittelzentren sind Barth (über die Meiningenbrücke) und Ribnitz-Damgarten, die nächstliegende Großstadt ist Rostock.
„Die Anlieger kann ich heute besser verstehen“
So wie Günter und Stefanie immer noch Menden besuchen, so kommen auch Gäste aus Menden zu ihnen an die Ostsee. Es ist wie eine Friedenshand, die Günter Kühl-Müller den einst genervten Anliegern seiner Diskothek entgegenstreckt, wenn er sagt: „Heute kann ich sie besser verstehen. Es war für sie wohl eine massive Belastung. Mit dem Lärm ist es schwierig. Ich habe all das gar nicht so richtig mitgekriegt, so beschäftigt war ich. Es war ja wohl auch alles zugeparkt. Ich habe aber gehört, dass Nachbarn meinen Parkwächtern, die nachts das wilde Parken verhindern sollten, Kaffee gegeben haben. Das fand ich damals sehr nett. Ich hätte die Diskothek besser ein Stück weiter Richtung Sümmern bauen sollen. Mich würde der Verkehr nachts auch stören.“