Frauenbildung wurde im 19. Jahrhundert immer wichtiger. 1875 wurde in Menden eine Schule für „Höhere Töchter“ gegründet.
- Menden-Historiker Claus-Peter Levermann erzählt die Geschichte der Frauenbildung
- Der evangelischen Kirche in Menden war sie wichtig
- 1875 enrschlossen sich die Protestanten zur Gründung einer Schule für „Höhere Töchter“
Menden. Eine Nachricht, die aufhorchen ließ: „In der evangelischen Schulvorstandssitzung vom 2.3.1875 wurde die Gründung einer Höheren Töchterschule beschlossen.“
Eine irritierende Bezeichnung. Im ganzen Land waren ab 1820 solch „Höhere Töchterschulen“ entstanden, die alle privater Natur waren und die sich nur Frauen aus gehobenen Gesellschaftsschichten leisten konnten. Das war in Menden nicht anders, aber angesichts schlechter Bildungschancen für Frauen zu jener Zeit wohl die einzige Möglichkeit, mehr zu lernen als in den Elementarschulen geboten wurde. Die „Evangelische Höhere Töchterschule“ in Menden sollte diesen Auftrag erfüllen. Diese private Schule war hervorgegangen aus der Mitte der Bürger und galt auch als „priv. ev. Familientöchterschule“. Untergebracht war sie in der ev. Schule an (heutiger) Post- und/Papenhausenstraße, aber auch im damaligen Küsterhaus neben der 1864 gebauten ev. Heilig-Geist-Kirche.
Mädchenschulean zwei Standorten
1918 übernahm die evangelische Gemeinde die bis dahin private Familientöchterschule und machte daraus offiziell die „Evangelische Höhere Mädchenschule in Menden i. Westf.“. Sie umfasste die Klassen Sexta bis Untersekunda. Die Stadt bezahlte die Kosten für bis zu sechs Lehrpersonen, entsprechend dem Wachsen der Schülerinnenzahl. Es wurden aber weitere Jahre mit zwei Schulstandorten, zwischen denen die „Höheren Mädchen“ und ihre Lehrkräfte pendeln mussten. Nur selten, so bedauerte die damalige Schulleiterin Büttner die Nachteile eines Schulbetriebs in zwei getrennten Häusern, gab es das Gefühl einer Gemeinschaft.
Das änderte sich 1930, als die ev. Gemeinde am Heimkerweg ihr Maria-Martha-Haus als neue Heimat der Höheren Mädchenschule einweihte. Die Chronisten schrieben vom „Geist, der Kunde gab von der großen Freude am vollendeten Werk, von dem Willen zur Tat, in Menden eine Kultur- und Bildungsstätte zu eröffnen für ein neues kommendes Geschlecht von sittlicher Stärke und gestählter Kraft“.
Maria-Martha-Haus – der „Stolz der Minderheit“
Der ev. Pfarrer Weichert freute sich: „Unsere Kinder sollen jetzt darin eine neue Heimat haben, denn Deutschlands Zukunft liegt in den Kindern. Denen wir eine ausgezeichnete gute Bildung geben.“
Offenbar war das Verhältnis in Menden zwischen der Mehrheit der Katholiken und der Minderheit der Protestanten weitgehend ungetrübt. Der katholische Pfarrer Göke zur mit Freude erfüllten Festversammlung: „Ich vermag mich in Ihre Stimmung zu versetzen. Es ist ein großer Unterschied, ob eine konfessionelle Mehrheit oder Minderheit einen solchen Erfolg hat. So ist die Dankbarkeit umso größer.“
Die Freude der ev. Kirchengemeinde über ihre Vorzeigeschule am Heimkerweg währte nicht lange. 1939 wurde sie von den Nazis geschlossen, die Schule aufgelöst.
Erst der General,dann „OT“ und die Italiener
Nicht viel besser erging es der ev. Volksschule an Post- und Papenhausenstraße unter ihrem Rektor Emil Pollitz. Die Nazis stülpten der Schule 1937 den Namen „Hindenburg-Schule“ über. 1943 besuchte der Mendener General und Ritterkreuzträger Erich Bärenfänger die Kinder und Lehrer der Schule, doch schon ein Jahr später, 1944, zog die Organisation Todt (OT) in das Gebäude. Die Kinder mussten auf andere Schulen im Stadtgebiet verteilt werden. Die inzwischen zur Gemeinschaftsschule gewordene Hindenburgschule wurde als Arbeitslager genutzt.
Es muss danach schlimm ausgesehen haben. Chronist Walter Götsch: „In dieser Zeit wohnten – nein hausten – Italiener in unserer Schule. Sie demolierten alles, was nicht niet- und nagelfest war. Sie verbrannten neben Einrichtungsgegenständen auch Lehr- und Lernmittel sowie amtliche Unterlagen. Die angeblich sehr ausführliche Schulchronik ging so verloren“.
93,3 Prozent der Elternfür Konfessionsschulen
Bei der nach Ende des Krieges behördlich angeordneten Elternbefragung zur Wiedereinführung der Konfessionsschulen stimmten Mendens Eltern zu 93,3 Prozent für die Konfessionsschulen. Seit Sommer 1946 hieß die Hindenburgschule nun „Evangelische Volksschule Menden“, ohne weiteren Namenszusatz
Der Andrang war angesichts der Flüchtlingsströme so groß, dass bereits über 700 evangelische Kinder die beengte Schule besuchten und von 14 Lehrkräften unterrichtet wurden. Es gab Schichtunterricht. Ein großer Um- und Erweiterungsbau der Schule war unumgänglich und erfolgte 1954/55. Von der alten kasernenhaften Schule von 1906, so berichtet Walter Götsch, blieb nur wenig übrig. Ein geplantes Schwimmbecken gab es zwar nicht dafür aber 10 sonnendurchflutete Klassenräume, Schulmittelzimmer, Werkraum, Küche mit Vorratskammer, sogar eine Aula und vor allem eine vorbildliche Toilettenanlage.
In das Gebäude der ev. (Hindenburg-) Schule zogen von 1989 bis 1994 die Erich-Kästnerschule und von 1994 bis 2009 die Regenbogenschule, zwei Schulen für behinderte Kinder. 2012 wurde das Gebäude abgerissen.
Das Maria-Martha-Haus gibt es auch nicht mehr. Nach Schließung der „Höheren Mädchenschule“ nutzen die Nazis das Gebäude für andere schulische Zwecke: Nach dem Krieg wurde dort Katechumenen- und Konfirmanden-Unterricht gehalten, befanden sich dort auch Friedhofsverwaltung und Kirchenkasse. Später zogen einige Klassen der Realschule ein. 1974 verkaufte die ev. Gemeinde das Haus an die Stadt Menden, die es u.a. ab 1994 als Übergangsheim nutzte und 2002 abreißen ließ.
1927 Erinnerungsfotovor der Reichsbank
Es gibt heute noch bemerkenswerte „Relikte“ der „Höheren Mädchenschule“, damals noch in der Volksschule untergebracht. Friedhelm Reimer (Jahrgang 1943) hat sie von seiner Mutter Elfriede geb. Benninghaus (1911-1973). Sie hat diese Schule bis 1927 besucht. Auf dem Abschlusszeugnis gibt es gute bis sehr gute Noten. Klassenlehrerin Hedwig Fischer hat es unterschrieben. Unterrichtet wurden u.a. die Fächer Religion, Deutsch, Französisch. Englisch, Mathematik, Naturkunde, aber auch Schreiben, Zeichnen, Singen und Turnen.
Als die 16 Jahre alten Mädchen dieser Klasse sich zum Erinnerungsfoto aufstellten, begaben sie sich auf die andere Seite der (heutigen) Papenhausenstraße, zu den Treppen der gegenüber liegenden, noch frei stehenden Reichsbank, denn die ev. Schule hatte zu jener Zeit noch keine Aula, war eher spartanisch ausgerichtet. Die Reichsbank wurde später Landes-Zentralbank, das Gebäude gehört heute zur Märkischen Bank.
Ein „Höheres Mädchen“die erste gewählte Ratsfrau
Das Foto der Abschlussklasse von 1927 mit Elfriede Benninghaus weckt Erinnerungen, denn dieses blutjunge Mädchen, das später den Louis heiratete und Frau Reimer wurde, ist nicht nur die Mutter von Friedhelm Reimer, sie wurde, und das ist einzigartig, 1961 bei den Stadtratswahlen in Menden die erste direkt gewählte Ratsdame der Hönnestadt (Bürgermeister Josef Beierle). Dieses Kunststück für die CDU schaffte sie 1965 noch einmal. Wieder war sie die einzige Frau im Parlament, wieder wurde sie direkt gewählt (Bürgermeister Max Schmitz). Sie gehörte im Rat dem Jugendwohlfahrtsausschuss und dem Unterstützungsausschuss an. Eigentlich kein Wunder, dass Elfriede Reimer auch 10 Jahre Presbyterin der ev. Kirchengemeinde Menden war. Die „Höhere Mädchenschule“ mit „Folgen“.