Mendens Heilwesen und seine ersten Krankenhäuser (Teil I).
Menden. Unsere Vorfahren waren nicht zu beneiden. Zumindest nicht, was ihre Versorgung bei Krankheit anging. Im zeitlich weit gesteckten Mittelalter vom 5. bis 16. Jahrhundert versorgten studierte Ärzte – und viele gab es da noch nicht – nur Vermögende. Die Armen waren auf Henker oder Kräuterfrauen angewiesen, vertrauten Wanderheilern, verließen sich auf Wundermedizin aus Krötenschleim, Rosmarinöl oder Petroleum.
Die Wende zur Neuzeit beginnt angeblich im 16. Jahrhundert. Ein Jahrhundert später beginnen auch die Aufzeichnungen des Dr. Gisbert Kranz, der sich in einem Aufsatz ausgelassen hat über das Heilwesen in Menden und über Heilpersonen. Er schreibt von Kurpfuschern, Operateuren, Marktschreiern, die die roten Scharlach-Mäntel, die Standeskleidung der Ärzte, tragen und das staunende Volk mit Heilmittelchen betrügen. Jetzt verstehen wir den von „Scharlach“ abgeleiteten Ausdruck Scharlatan (Vortäuscher falscher Tatsachen). Und staunend vernehmen wir, dass in der Person des Mathias Claus noch in der Neuzeit um 1683 ein Scharfrichter als Heilperson auftritt. „Medicus der Stadt“ nennt er sich, begehrt von eben dieser Stadt für seine Heilkunst von der Steuer befreit zu werden. Und die Stadt willigt ein.
Scharfrichter sezierten Körper ihrer Toten
Was macht Henker und Scharfrichter, die doch hauptsächlich ins Jenseits befördern sollen, zu Heilern? Und warum werden ausgerechnet die von Kranken aufgesucht, die sonst wie die Pest gemieden wurden, die sich in Gaststätten abseits setzen mussten und in der Stadt nur ganz am Rand wohnen durften, die als unehrlich galten?
Des Rätsels Lösung ist verblüffend. Viele Henker hatten Ahnung, waren mit der menschlichen Anatomie vertrauter als Ärzte, für die anatomische Studien entweder nicht erlaubt oder noch verpönt waren. Die Scharfrichter hingegen sezierten da längst die Körper von Toten und lernten die Organe der Menschen kennen.
Das war für sie unbedingt nötig, wenn sie nicht selbst härteste Konsequenzen tragen wollten. Präzises Enthaupten, das zeigt schon die Hinrichtungspraxis in der Mendener Hexenzeit (siehe „Mendener Geschichten“ Band 3) wollte vorher an Kohlköpfen geprobt sein, wenn später kein Gemetzel entstehen sollte. Henker kannten sich aus mit Muskeln und Sehnen, mit einzelnen Gliedmaßen. Offenbar war das notwendig, wenn das Abhacken von Händen und Füßen oder das Abschneiden von Nasen und das Schlitzen von Ohren vom Richter angeordnet waren. Die Henker mussten ihre Opfer später auch verbinden. Sie kannten also ihr Fach. Und wenn Ärzte nicht weiter wussten, dann überwanden die Kranken ihre bisherige Abscheu vor den Unreinen und Unehrlichen und begaben sich in die Hände der Henker, denn die galten als hervorragende Heiler.
Vor 1384 gab es nur ein Siechenhaus
Es fällt mir schwer, mir das kleine Haus am Vincenz-Kirchplatz als Krankenhaus vorzustellen. Es war aber eines. Zwar nicht so, wie wir uns heute eines wünschen, wohl aber dem Namen nach. Heimatforscher Wolfgang Kissmer, der die Entwicklung des St.-Vincenz-Krankenhauses Menden in den Kirchen-Archiven untersucht hat, spricht von einem Heilig-Geist-Hospital schon vor 1384. Seinen Erkenntnissen nach ist es auch als Armen- und Siechenhaus genutzt worden. Später sei es Entbindungsstation gewesen und in Elisabeth-Heim umbenannt worden.
Eine Fröndenberger Nonne hat 1411 sogar einen „Altar zu Ehren der heiligen Jungfrau und des heiligen Jodokus“ gestiftet. Ich erinnere mich noch, wie in den 1980er Jahren zu Zeiten von Stadtdirektor Mäurer dieses „Alte Hospiz“, wie die Mendener sagen, die Musikschule beherbergte.
In der Bergstraße stand das erste Krankenhaus
Die „Geburt“ eines Städtischen Krankenhauses erfolgte 1852 im Haus an der Bergstraße 4. Direkt auf der anderen Gassenseite der Gaststätte Oberkampf. Willy Stehmann hat beim Durchwühlen des Lagerbuchs von Bürgermeister Papenhausen aus dem Jahr 1872 bemerkenswerte Sätze gefunden, die fast schon darauf schließen lassen, dass er eigentlich ein Krankenhaus für überflüssig hielt. Wörtlich schreibt Papenhausen, Mendens erster Ehrenbürger: „Erst in dem Jahre 1852 sah die Stadt ein Krankenhaus erstehen. Es hatte sich bis dahin ein dringendes Bedürfnis zur Gründung eines so unentbehrlichen Wohltätigkeits-Instituts nicht so sehr fühlbar gemacht, zumal die Stadt mit heftig epidemischen Krankheiten lange Jahre hindurch verschont geblieben war. Durch die Zunahme der Bevölkerung aber mussten Vorkehrungen getroffen werden, um insbesondere arme und obdachlose Kranke unterzubringen.“
In dem kleinen Krankenhaus standen fünf Räume und eine Küche zur Verfügung. In einer benachbarten Scheune war die Leichenhalle untergebracht. Das Krankenhaus wurde durch freiwillige Spenden unterhalten, die der Frauenverein sammelte. Mitglieder des Vereins übernahmen die Pflege der Kranken. Ärzte wiesen ihre Patienten, die zu Hause nicht ausreichend betreut werden konnten, ein und behandelten sie unentgeltlich weiter. Wenn man so will, war das ein Beleg-Krankenhaus. Es bestand von 1852 bis 1862. Ärzte in Menden zu jener Zeit waren u.a. Dr. Theodor Amecke (1810-1870) und Dr. Friedrich Bering (1817-1898).
Vincenz-Hospital 1862 an der Hauptstraße
Der Mendener Stadtrat hatte zwar 1860 beschlossen, ein größeres städtisches Krankenhaus zu bauen, doch ließ er der katholischen St.-Vincenz-Gemeinde den Vortritt. Sie hatte parallel laufende Pläne.
Die St.-Vincenz-Gemeinde hatte 1861 an der Hauptstraße das Dahlmannsche Besitztum gekauft, das vorher dem Advokaten Bering gehört hatte. Es wurde eines mit wechselvoller Geschichte: Krankenhaus – Waisenhaus – Altenheim. Jeder in Menden kennt den Standort.
1862 wurde dieses Anwesen in ein Krankenhaus der katholischen Kirche umgewandelt, geleitet von den Barmherzigen Schwestern des Hl. Vincenz von Paul. Weihbischof Dr. Josef Freusberg aus Paderborn weihte das Krankenhaus. Die Barmherzigen Schwestern Nicodema und Remigia waren die ersten, die die Pflege der Kranken übernahmen. 1863 und 1864 kamen zwei weitere Schwestern dazu. Bis zur Jahrhundertwende versahen sogar 13 Schwestern Dienst im Vincenz-Hospital an der Hauptstraße.
Neubau am „Hang des Kapellenberges“
Eine erste Bewährungsprobe musste das neue Hospital bereits 1867, kurz nach seiner Gründung, bestehen, als in Menden eine Pockenepidemie ausbrach. Die Barmherzigen Schwestern versorgten die Patienten aufopferungsvoll.
Menden wurde größer, einhergehend damit die Zahl der Kranken, die stationär aufgenommen werden mussten. Die beiden Erweiterungsbauten 1888 und 1894 reichten nicht aus. Die Kirchengemeinde St. Vincenz hegte Neubaupläne „am Hang des Kapellenberges“ (Wolfgang Kissmer).
1909 geplant, im März 1910 genehmigt. Der erste Spatenstich erfolgte unmittelbar darauf am 30. April 1910, Dechant Joseph Boeddicker legte am Sonntag, 23. Oktober 1910, den Grundstein. Im November 1911 nach nur eineinhalb-jähriger Bauzeit wurde der schön anzusehende Prachtbau St. Vincenz-Hospital hoch über der Stadt eingeweiht und Patienten und Ärzten übergeben. Menden zählte da bereits 12 000 Einwohner.
Wie es 1911 weiterging in Teil II.