Angesehener Mediziner kam über Umwege zum Beruf und nach Menden
Menden. Das war vor wenigen Wochen. Die Männer waren erregt, ja wütend über immer neue Nachrichten von Anschlägen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Sie standen auf dem Gehweg vor Dieler an der Haltestelle Unnaer Straße. Plötzlich zeigte einer auf einen schlanken Mann auf dem Gehweg der anderen Straßenseite: „Wenn einer die Religion Islam wirklich verkörpert, dann ist er das.“ Er, das war Dr. Nabil Malhas (Jahrg. 1936).
Ich bekam das durch Zufall mit, kannte die Männer nicht, kannte aber den Arzt, der wie kein zweiter in mehr als 50 Jahren in Menden die friedlichen Spuren des Islam geprägt hat.
Friedliche Spurendes Islam in Menden
Staunend darf ich heute feststellen: „Es geht“. Christentum und Islam können miteinander. Ein Moslem als Arzt unter einem Dach mit katholischen Nonnen als Krankenschwestern. So geschehen von 1963 bis 2002 im Katholischen Krankenhaus St. Vincenz in Menden. Der Moslem ist der bis heute beliebte Arzt Dr. Nabil Malhas aus Jordanien, dem seine Patienten zwar das Rentnerdasein von Herzen gönnen, die ihn aber noch zu gern als behandelnden Arzt hätten.
Es ist faszinierend, diesen inzwischen 81-jährigen Mediziner in der Stadt zu sehen. Ungeschoren kommt er nicht davon. Zu viele Menschen eilen freudig auf ihn zu, zeigen ihm z.B. einen Arm und sagen: Da haben Sie mich damals gerettet. „Ich bin auf der Straße Ansprechpartner für ganz Menden“, lacht er und ist offenbar immer noch bereit, Ratschläge zu geben.
„Das sind Terroristen, aber keine Moslems“
Aber er ist auch bereit, Stellung zu beziehen: „Das sind keine Moslems, das sind Terroristen. Sie sind falsch unterrichtet, verstehen die arabische Sprache nicht, sind in falsche Hände gekommen.“ Vom falschen Zungenschlag mancher Imame spricht er. Als ich ihn in seiner Wohnung am Pellenberg besuchte, stand auf dem Tisch ein Pult mit dem aufgeschlagenen Koran. Was mir Nabil Malhas sagte, machte mich Staunen. „Ich bin Moslem, ein gläubiger Mensch. Ich glaube, dass die Menschen von oben geführt werden. Wenn man gläubig ist, lässt man dem anderen seinen Gauben. Und“, fügt er an, „wenn du einen Menschen tötest, ist es, als tötest du die ganze Menschheit.“
Als ich Dr. Malhas in den 1960er Jahren bei gemeinsamen Schachabenden im 24er Vereinslokal Rehbein kennenlernte, waren Islam und Christentum nie ein Thema. Auch im katholischen Krankenhaus St. Vincenz musste er nicht über seinen Glauben diskutieren, musste sich nicht verteidigen. „Ich hatte keine Schwierigkeiten“, bekannte er. Die Nonnen hätten ihm später mal gesagt: „Du hast uns beigebracht, was Liebe ist“. Das hatte auch zu tun mit seiner Bereitschaft, zu jeder Zeit zu operieren. „Ich habe nie gesagt, wir warten noch mit einer Operation, wenn es sofort sein konnte, auch nachts. Warum sollte der Patient unnötig leiden!“
Mit dem König die Schulbank gedrückt
Dabei war es dem aus Amman stammenden Nabil Malhas zwar in die Wiege gelegt, mal Mediziner zu werden. Aber er wollte das eigentlich gar nicht, obwohl es in seiner Familie von Ärzten nur so wimmelt. Dreißig allein zählt er in seiner Verwandtschaft. Ein Onkel hat in der jordanischen Hauptstadt sogar das erste Krankenhaus des Landes gebaut. Nabil aber wollte Ingenieur werden, wollte Flugzeuge bauen. Aber es kam anders.
Das hatte weniger zu tun mit König Hussein, etwa gleich alt wie er. Mit dem damaligen Prinzen Hussein (1935-1999) drückte er in einem islamischen College in Amman in der 7. Klasse die Schulbank. Der Kontakt auch zum König ist geblieben. Nabils Sohn Samy, ebenfalls Chirurg geworden, starb 2013 in Deutschland an den Spätfolgen eines Unfalls. Samys Sohn besuchte mit dem aktuellen jordanischen König Abdullah II (Jahrg. 1962) in den 1960er Jahren den Kindergarten. Die Familie Malhas war also angesehen.
Freunde zwangen ihnins Medizinstudium
Es liest sich wie ein Märchen: An der amerikanischen Uni in Beirut hatte Nabil Malhas mit 20 Jahren seinen Bachelor of Sciences bestanden und war daraufhin von Freunden nach Bonn eingeladen worden. Ab ins Flugzeug, aus Amman mal eben in die deutsche Hauptstadt. Nur zu Besuch, wie er glaubte. Das war im Oktober 1957.
Doch seine Freunde hatten mehr mit ihm vor, hatten ihn bereits an der medizinischen Fakultät in Bonn angemeldet. Dabei wollte Malhas gar nicht in Deutschland bleiben. Nachvollziehbar, denn er sprach zu jenem Zeitpunkt noch kein einziges Wort deutsch.
Die deutsche Sprache eignete er sich als Autodidakt selbst an, bestand nach nur drei Semestern das Physikum, 1961 folgte das Staatsexamen. Nabil Malhas heiratete. Aus der Verbindung, die später scheiterte, entstammten vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter.
1963 in Menden: „Wirbrauchen Leute wie Dich.“
Sein erstes Jahr als Assistenzarzt führte ihn ins Knappschaftskrankenhaus Dortmund in die Chirurgie, wo er sich gut aufgenommen fühlte. Auf eine Annonce des Vincenz-Krankenhauses Menden, in der Dr. Lötz, Chefarzt der Inneren, Verstärkung suchte, bewarb sich Nabil Malhas und wurde in das kleine Team des Krankenhauses aufgenommen. Das war 1963. Von da an ging es Schlag auf Schlag.
Dr. Malhas durchlief die ganze Bandbreite, die ein Krankenhaus zu bieten hat: Innere Abteilung, Gynäkologie und Chirurgie. Und da blieb er. Dr. Volkhard Schnurbus erkannte die Begabung dieses Mannes, sagte zu ihm: „Bleib doch, wir brauchen Leute wie Dich.“ 1969 wurde Malhas 1. Oberarzt der chirurgischen Abteilung. „Dr. Schnurbus hat mich in der Unfallchirurgie alles machen lassen, er hat mir viel beigebracht. Ich konnte alles operieren.“ Dr. Malhas bekennt, „dass ich fanatisch bin mit der Medizin“.
„Krankenhaus-Nonnenmeine besten Freunde“
Mit seinem ausgeglichenen Wesen, seiner freundlichen Art und seinem Können gewann er nicht nur die Herzen der Patienten, auch die der Nonnen, die, so Malhas, „als Krankenschwestern meine besten Freunde waren. Besser kann man es als Mitarbeiter nicht haben. Sie haben mich gut aufgenommen und mir immer geholfen.“
Seit 27 Jahren ist Christa Schulte seine Lebensgefährtin, eine Christin. „Sie ist mein Leben. Ohne sie“, so bekennt er, „wäre ich nicht mehr in Deutschland, obwohl Deutschland auch ohne Medizin schön ist.“ Die verschiedenen Religionen haben sie nie getrennt.
Sport treiben kann Dr. Malhas nicht mehr. Der Rücken ist kaputt. Durch die besonders angestrengte Haltung beim Operieren und dadurch, dass er sehr viel operiert hat, hat sich die Wirbelsäule verändert: „Ich kann nicht mehr Fahrradfahren wegen der Schmerzen. Ich liebe die Natur und wandere gern, doch nur ebene Strecken, kann nichts mehr tragen.“
Beim Weihnachtsessenstaunte Pfarrer Brinker
Unvergessen ist Dr. Malhas seine Begegnung mit dem St.-Vincenz-Pfarrer Ernst Brinker bei einem Weihnachtsessen im Krankenhaus. Brinker, Pfarrer in St. Vincenz von 1953 bis 1968, glaubte allen Ernstes, in Dr. Malhas einen Christen vor sich zu haben, weil der so viel wusste über die Bibel. „Ich bin in Palästina geboren“, lachte Malhas damals, „habe die jordanische Staatsangehörigkeit. Wir haben Jesus exportiert. Vieles von dem, was in der Bibel steht, steht auch im Koran. Auch über Jesus und Maria.“