Die Nazis krempelten das Schulwesen um. Schulen wurden umbenannt. Die Regeln waren rigide, die Standards spartanisch.

Menden. Das wollten die Nazis: den radikalen Schulzwang. Sie allein wollten die Jugend kontrollieren. Im Reichsschulpflichtgesetz von 1938 und 1941 war festgelegt, dass Schüler mit der Polizei in den Unterricht gezwungen werden durften und dass Erziehungsberechtigte mit Geld- und Gefängnisstrafen belegt werden konnten, wenn sie die Schulpflicht bei ihren Kindern nicht durchsetzten.

Auch Schülerinnen mussten ab 1937 an den angeordneten Luftschutzübungen mit Gasmasken teilnehmen. Ein gespenstisches Bild.
Auch Schülerinnen mussten ab 1937 an den angeordneten Luftschutzübungen mit Gasmasken teilnehmen. Ein gespenstisches Bild. © Schularchiv

Im „Sprachbuch für Westfalen und Lippe“ an der „Horst-Wessel-Schule“ erfuhr die Mendener Jugend gleich, wie sie zu sein hatte:

„Deutsche Jungen und Mädchen härten sich ab. Sie waschen sich im kalten Wasser. Sie ziehen sich nicht zu dick an. Sie marschieren bei Sonnenschein und Regen. Sie essen alles, was auf den Tisch kommt. Sie beißen die Zähne zusammen und klagen nicht. Sie hassen die Feigen, aber helfen ihren Kameraden. Sie lieben Adolf Hitler und Deutschland.“

„Zäh wie Lederund flink wie die Wiesel“

„Pimpfe sind stark und mutig. Feige Knaben und zimperliche Mädchen mögen sie nicht leiden. Ängstliche Gesichter kennen sie nicht. Frisch und fröhlich marschieren sie los. Zäh wie Leder, flink wie die Wiesel, hart wie Stahl, so will Adolf Hitler sie haben.“

Sammeln, sammeln, sammeln, auch Metall (Bild). Anordnung der Nazis an allen Schulen. Die Schüler wurden im Krieg überall eingespannt: bei der Beerensammlung, der Altpapiersammlung, bei der Ährenauflese oder bei der Kartoffelkäfersuche.
Sammeln, sammeln, sammeln, auch Metall (Bild). Anordnung der Nazis an allen Schulen. Die Schüler wurden im Krieg überall eingespannt: bei der Beerensammlung, der Altpapiersammlung, bei der Ährenauflese oder bei der Kartoffelkäfersuche. © Schularchiv

Das sind nur einige Auszüge aus dem Lesebuch, das an den Schulen in Menden eingeführt war. Am 15. Januar 1938 wurde die Westschule umbenannt in Horst-Wessel-Schule. Der Krieg brach 1939 aus, Unterricht war ab da an der Horst-Wessel-Schule wie an allen anderen Schulen in Menden beeinträchtigt, weil die Kinder unentwegt herangezogen wurden, um in der Landwirtschaft zu helfen. Ob bei der Kartoffelkäfer-Suche oder bei der Ernte. Ab 1940 kamen weitere Sammlungen dazu. Wer war dieser Horst Wessel, der der „Schule im Loch“ seinen Namen überstülpen durfte?

Horst Wessel (1907-1930) war Held der Nationalsozialisten, Sturmführer der SA, getötet von KPD-Mitgliedern. Die NS-Propaganda stilisierte ihn hoch zum „Märtyrer der Bewegung“. Das „Horst-Wessel-Lied“ ist noch bekannt: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen…“ Das singen die Braunen heute noch gern.

„Kind bringt die Notmit in die Schule“

Sportunterricht für ausgelassene Wilhelmschüler in den späten 1930er Jahren auf dem Waldturnplatz am Hünenköpfchen, der willkommene Ersatz für eine fehlende Turnhalle.
Sportunterricht für ausgelassene Wilhelmschüler in den späten 1930er Jahren auf dem Waldturnplatz am Hünenköpfchen, der willkommene Ersatz für eine fehlende Turnhalle. © Schularchiv

Der Boden für die „Braunen“ war bereitet. Das Elend in der Mendener Bevölkerung greifbar. Lehrer Syre von der Westschule wird in einem Protokoll vom 30. Mai 1932 zitiert: „Die größte Not bringt das Kind mit in die Schule. Durch jahrelange Arbeitslosigkeit des Vaters ist das Kind unterernährt, mangelhaft gekleidet. Es fehlen ihm die notwendigen Lebensmittel. Es ist geistig nicht aufnahmefähig. Es hört zu Hause nur Klagen und Nöte der Zeit, sieht nur Unzufriedenheit und Missmut. Wie kann es da noch Lust und Liebe zum Lernen in die Schule mitbringen? Wir Lehrer des Volkes müssen diese Not sehen in all ihrer Schwere und Dunkelheit und müssen neben sie die Kraft stellen, die größer ist als diese.“

Das Umtaufen der Schulen griff um sich. Der „Josef“ wurde von einem „Kind des Waldes“ verdrängt, die Josefschule wird 1939 „Widukind-Schule“. Widukind (auch Wittekind), von dem das wahrscheinliche Todesjahr mit 807 angegeben, das Geburtsjahr nicht bekannt ist, war Herzog der heidnischen Sachsen und hat sich 30 Jahre gegen die Christianisierung durch Karl den Großen gewehrt, bis ihm die Verluste seiner Landsleute zu groß wurden.

Bunker unter derJosef-Schule zu feucht

Wenn der Keller es hergäbe, könnte die Josef-Schule heute ein Relikt aus der Kriegszeit nutzen. Aber es geht nicht. Der einzige Keller unter dem Gebäude ist so feucht, dass er zu nichts anderem nutze ist als zum Lagern von Möbeln, sagt Hausmeister Jörg Hagedorn. Früher war dieser Keller mal Luftschutzraum, weniger gedacht für die Schulkinder als für die Nachbarn. Hagedorns Vorgänger Wolfgang Morali, der 35 Jahre Dienst an der Schule tat, schließt aber selbst Möbellagerung aus. Der Raum sei so feucht, dass Tische und Stühle nach einer gewissen Zeit einen Belag von weißem Schimmelpilz trügen. Kein Wunder, dass die schwere Eisentür hinab ins „Verlies“ immer verschlossen ist. Morali wusste aber auch, dass im Krieg holländische und belgische Strafgefangene bei Luftangriffen dort untergebracht waren. Vor einiger Zeit, so sagte er mir, kam ein älterer Holländer zu Besuch nach Menden, um seinem Sohn zu zeigen, wo er mal gesessen habe. Der Raum unter der Hausmeister-Wohnung ist kein zweiter Keller, sondern Heizungsraum.

Auf Disziplin achtenund Heil-Hitler-Gruß

Auch die dritte große Elementarschule in Menden wurde umgetauft: die Wilhelmschule. Auch dazu gibt die Chronik einiges her: „Heute, am 18. Januar 1938, haben wir in einer Feierstunde unserer Schule voller Freude und Stolz den Namen Schlageter-Schule gegeben.“ Einige Monate später, im November 1938, wurde die Schlager-Schule „entgittert“, wie es damals offiziell hieß. Begrenzungsmauer und Gitter, hinter der die Schule wie ein Palast wirkte, wurden abgebaut.

Menden - Bunker unter der Josefschule Menden Foto: Martina Dinslage
Menden - Bunker unter der Josefschule Menden Foto: Martina Dinslage © Martina Dinslage

Albert Leo Schlageter (1894 -1923) war Soldat im Ersten Weltkrieg und Mitglied der NSDAP-Tarnorganisation Großdeutsche Arbeiterpartei. Während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung war er militanter Aktivist und wurde wegen Spionage und mehrerer Sprengstoffanschläge von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet (Wikipedia).

Die Chronik vom Mai 1939 verrät, was überall in der Stadt und im Lande angestrebt wurde: „In der Schule soll alles vermieden werden, was an früher erinnern könnte. Die Lehrer waren angehalten, auf Disziplin und den Gruß ,Heil Hitler’ zu achten, auch außerhalb des Schulbereichs. Religionsgespräche hatten zu unterbleiben. Der Luftschutzgedanke musste in den Stoffverteilungsplan der Schulen eingebaut werden. Die Büchereien wurden von unzeitgemäßen Büchern gesäubert.

Schüler spähtennach feindlichen Flugzeugen

All das passierte nicht nur an einer einzigen Schule, sondern an allen. Sparmaßnahmen, Einschränkungen überall. Nachvollziehbar war, dass Tabakrauchen an der Schule verboten war. Aber was hatte dieses Verbot im Amtlichen Schulblatt verloren? Sparmaßnahmen, die heute staunen lassen: Briefumschläge mussten noch einmal verwendet werden, weil Papier immer knapper geworden war. Dann sollten Schreib- und Nähmaschinen in der Schule abgegeben werden.

Willi Gerold war 1943 mit anderen Schülern der Widukind-(Josef-)Schule zur Schlageter-(Wilhelm-)Schule gekommen und hatte dort Unterricht unterm Dach und einen Nebenjob. Er musste mit anderen nach feindlichen Flugzeugen Ausschau halten und Alarm schlagen. Auch das war in allen Schulen so.

Auch Magdalene Terbeck gehörte zu den Schülern, die 1943 von der Josef- zur Wilhelmschule wechseln mussten. 70 bis 80 Schüler in einer Klasse, in ihrer waren es sogar 86 Mädchen. Vorteil des Umzugs: Die Wilhelmschule hatte einen Luftschutzkeller, der offenbar groß genug war für Kinder und Lehrer. Sie berichtete: „Manchmal war am Tag bis zu fünf Mal Fliegeralarm.“

Luftschutz gehörtezum Unterrichtsstoff

Zur Ausbildung von Schülern wie Erwachsenen gehörte die Unterweisung im Gebrauch der Atemschutzmaske, auch kurz Gasmaske genannt. Ein Heft mit rotem Umschlag stellte die Frage: „Was tue ich im Ernstfall?“ Die Antwort u. a.: „Ganz Deutschland ist luftbedrohtes Gebiet. Aber: Das gewohnte Leben geht weiter.“ Dieses Heft lag überall aus, auch in den Schulen. Die Schüler mussten den Umgang mit Gasmasken üben. Hinweis im Heft: „Gasmasken stets griffbereit halten und auf der Straße mitführen, Luftschutzgepäck bereithalten (Gasmaske, warme Kleidung, Decken, Kissen, Taschenlampe, Lebensmittel für Kinder und Kranke, Getränke, Kinderspielzeug und wichtige Papiere).

Klusendick-Mahlzeitgegen Schülerhunger

Mit Ende des Krieges verschwanden die Schulnamen der Nazis wieder. Mit ihnen auch die Landkarten mit den Grenzen von 1937. In Schulbüchern mussten Nazi-Inhalte geschwärzt werden. Josefschulkinder zogen wieder zurück in ihre Schule, Schulmessen zwei Mal während der Woche wurden zu Pflichtaufgaben.

Umschlagblatt der Luftschutz-Broschüre, nach der auch Mendens Schüler üben mussten.
Umschlagblatt der Luftschutz-Broschüre, nach der auch Mendens Schüler üben mussten. © Archiv Klaus Kimna

Unterernährte Kinder durften sich freuen über eine Spende des in Schweden lebenden Mendener Fabrikanten Klusendick, der dafür sorgte, dass acht Monate lang viele Mendener Schulkinder täglich eine warme Mahlzeit erhielten. Bekanntlich wurde Klusendick zum Ehrenbürger von Menden ernannt.

Was sich im Nazi-Reich an den Schulen der Stadt Menden abspielte, war auch im Amt Menden keine Ausnahme. Das zeigte schon der Umgang mit der Schule Lürbke (s. Teil III). Dazu mehr in Teil VI.