Menden. . Gitarren-Legende Ali Claudi jazzt in seiner Heimatstadt Menden vor vollem Haus. Und er hat einige Überraschungen zu bieten.

Der Mendener Ali Claudi gilt als deutscher Pionier der Jazz-Gitarre. In seiner Heimatstadt war der 74-Jährige schon lange nicht mehr. Am Sonntag gab’s ein Wiedersehen im „woanders“, das er selbst und seine Weggefährten noch als „Hölle“ kannten. Um 15 Uhr eröffnete der Jazzer eine neue Veranstaltungsreihe im Herzen der Stadt. Sie beginnt als Konzert und endet beinahe als Session. Als sich der Club um 18 Uhr leerte, sagten etliche Besucher(innen): „Oh, war das schön.“

Ein Mann zieht neue Saiten auf

Rückblende. Als Claudi die Jazz-Gitarre Mitte der 50er am Walram-Gymnasium entdeckt, ist sie gerade zum Solo-Instrument aufgerückt. Musiker wie Django Reinhardt oder Kenny Burrell ziehen buchstäblich neue Saiten auf. Natürlich ist der Modern Jazz jener Jahre längst zum Klassiker der Moderne geworden. Zum Konzertbeginn stellt sich die Frage: Würde Claudi mehr spielen als die üblichen Verdächtigen aus Jazz, Blues und Bossa Nova?

Das „woanders“. Der Saal ist voll. Aber er ist so klein, dass von der ersten Note an intime Wohnzimmer-Atmosphäre herrscht. Sie wirkt wie ein Mix aus Klassentreffen und Familienfeier.

Fünf zum Preis von Dreien

Das Konzept. Die Veranstalter Jozeh Ramazani und Stephan Wiggeshoff haben ein Quintett zum Preis eines Trios gebucht. Allein der Chef der Band steht für zwei Musiker: Claudi singt, und seine coole Halbakustik-Gitarre fängt da an, wo seine rauchig-lässige Stimme aufhört. Sein Co-Bandleader Hans-Günther Adam steht ebenfalls für Zwei. Er lässt seine Finger auf den Tasten fliegen. Mal klingen sie wie ein Flügel, mal glockenhell-perlend wie ein elektrisches Fender-Rhodes-Piano, mal schwummrig eine Hammond-B3-Orgel. Dazu kommt ein Pedalbass zwischen Swing und Funk. Die Gruppe komplettiert Schlagzeuger Christian Schröder, dessen Groove aller Ehren wert ist.

Sensationell jedoch ist das Zusammenspiel von Claudi und Adam. Die beiden ergänzen sich perfekt. Ein ständiger Rollenwechsel zwischen Solist und Begleitung besticht durch beiläufige Selbstverständlichkeit wie bei einem alten Ehepaar.

Prickelnd wie Schampus

Die Musik. Um das Publikum aus der Generation 50+ gar nicht erst in eine meditative Nachmittagsstimmung absacken zu lassen, schlagen Claudi & Co. ein hohes Tempo an. Swing-Klassiker kommen so prickelnd und beschwingt daher wie frisch gefüllte Schampus-Schalen. Die Soli sind so spielerisch wie verspielt. Immer wieder jubeln Claudi und Adam dem Publikum nebenher ein paar Musik-Zitate unter.

Im Vordergrund stehen flinke Finger. Virtuosität will verblüffen und, ja, auch ein bisschen beeindrucken. Am besten gelingt das der Band, als sie den Klassiker „Lullaby of Birdland“ anstimmt, mit improvisiertem Barock-Intermezzo à la Johann Sebastian Bach.

Kann die Band auch Gefühl? Und wie! Claudi und seine Spaßgesellen entführen das Publikum nach Rio, balancieren bei Bossa mit schlafwandlerischer Sicherheit zwischen entspannter Strand-Atmosphäre und leiser Melancholie, die ums Ende glücklicher Momente fürchtet.

Das Repertoire. Überhaupt bieten die im Raum Düsseldorf beheimateten Jazzer weit mehr als eine Zeitreise in die 50er. Im Gegenteil: Der Boss schöpft aus einem schier unerschöpflichen Reservoir an Melodien und Songs. Am schönsten sind Überraschungen – Cover-Versionen, die einen vergleichsweise jungen Hit in ein neues Stück verwandeln. Wie „You Take My Breath Away“ von Queen. Das Trio macht aus der überkandidelten Vorlage ein erdiges Stück zwischen Funk und Blues.

Dass Claudi sich mit Carole Kings „You’ve Got A Friend“ verabschiedet, mag zufällig sein. Es passt wie so perfekt wie Essig und Öl in einer Salatsauce. Claudi hat alte Freunde wiedergesehen und neue gewonnen.

Gewonnen hat auch das „woanders“, das auf dem besten Weg ist, mit einem Kulturprogramm da anzufangen, wo die Stadt aufhört. Mehr davon!