Menden. . Der Bestseller-Autor ist ein Tausendsassa, Arzt, Psychiater, Theologe, Autor und Kabarettist. In Menden präsentiert er seinen Anti-Glücksratgeber. Ein Gespräch.
Manfred Lütz, Psychiater, Arzt, Theologe, Kabarettist, Tausendsassa. Jetzt gibt der Rheinländer den Lesern seines aktuellen Bestsellers Tipps, „wie Sie unvermeidlich glücklich werden“ (Titel). Nächsten Dienstag gastiert er um 19 Uhr in der Wilhelmshöhe. Jürgen Overkott sprach vorab mit ihm.
Auf welchem unvermeidlichen Weg sind Sie glücklich geworden?
Manfred Lütz: Wann ich zuletzt glücklich war? Ich überlege nicht dauernd, ob ich gerade glücklich bin. Möglicherweise zu Beginn des Interviews – weil Sie einen netten Eindruck machen.
Die Blumen reiche ich sofort zurück.
Für jemanden, der wirklich glücklich ist, ist Glück gar kein Thema. Mein Buch ist ein Anti-Ratgeber. Viele Glücksbücher sind Anleitungen zum Unglücklichsein. Da beschreibt dann ein Autor, wie er glücklich wurde, und lässt den Leser traurig zurück, weil der nun mal nicht der Autor ist.
Der Untertitel Ihres Buches verspricht eine „Psychologie des Gelingens“, aber Sie selbst haben als Arzt und Therapeut viel mit dem Scheitern zu tun.
Ich habe vor mehr als 30 Jahren eine Gruppe von behinderten und nicht-behinderten Jugendlichen gegründet. Und da habe ich erlebt, dass Behinderung auch eine Fähigkeit sein kann. Tatsächlich hat manch geistig Behinderter mehr echte humane Herzlichkeit als all diese selbsternannten Glücksexperten. Wie ein Leben gerade mit Behinderungen, also mit unvermeidlichen Begrenzungen gelingen kann, weil man so intensiver, bewusster lebt – das habe ich von meinen behinderten Freunden gelernt.
Gelingen ist ein sehr relativer Begriff. Was haben Sie in Ihrem Leben zum ersten Mal bewusst erlebt, da ist mir etwas gelungen?
(denkt nach) Darüber mache ich mir normalerweise keine Gedanken (lacht). Wenn man dauernd über Glück, Gelingen, Liebe nachdenkt, wenn man das im Griff haben, definieren will, dann wird man unglücklich. Gleich am Anfang meines Buches erzähle ich, wie man Liebe kaputt machen kann, wenn man sie definiert. Heute wird viel zu viel über Erfolg geredet und nicht über ein gelingendes Leben. Bei einem Fest anlässlich des Endes der Pubertät meiner Töchter – wir haben das gefeiert, denn die Pubertät war wirklich ziemlich anstrengend – habe ich eine kleine Ansprache gehalten und gesagt, wie sehr wir uns über unsere Töchter freuen und ihnen viel Glück im Leben gewünscht, aber keinen Erfolg. Erfolg brauche man im Leben nicht zu haben, auch keine guten Schulnoten. Da waren die Freunde natürlich begeistert. Ich habe unseren Töchtern gewünscht, dass sie die Fähigkeiten, die sie mitbekommen haben, fleißig einsetzen und ob man dann damit Erfolg hat, das hängt von so vielen Zufällen ab, das ist nicht wirklich wichtig für ein gelingendes Leben.
Manchmal ist Gelingen erst im Nachhinein erkennbar.
Vincent van Gogh war sicher der erfolgloseste Maler aller Zeiten, seine Bilder waren unverkäuflich. Aber niemand wird doch bezweifeln, dass dieses künstlerische Genie, das Bleibendes für die Menschheit geschaffen hat, ein gelingendes Leben gelebt hat. Umgekehrt: Josef Stalin war der erfolgreichste russische Herrscher aller Zeiten; er hat Russlands Einflussbereich bis weit nach Mitteleuropa ausgedehnt. Aber niemand wird doch behaupten wollen, dieser Massenmörder hätte ein gelungenes Leben geführt.
Gelingen ist etwas anderes als Erfolg.
Diese Erfolgsbücher, Erfolgsseminare und Erfolgstrainer machen unglücklich. Die allgemein herrschende Casting-Mentalität führt darüber hinaus dazu, dass man sich dauernd mit anderen Menschen, die andere Fähigkeiten haben, vergleicht. Auch das macht unzufrieden.
Ich höre als Rat heraus: Denkt darüber nach, welche Fähigkeiten Ihr wirklich habt.
Nein, ich rate überhaupt nichts. Mein Buch begegnet dem Leser auf Augenhöhe, wie Sokrates einst. Es ist eine kleine Geschichte der Philosophie des Glücks und beschreibt die ganz unterschiedlichen Ideen, die die gescheitesten Menschen der Welt zum Glück gehabt haben, dann kann jeder Leser selbst entscheiden, was für ihn passt. Ich habe es lesen lassen von einem Philosophen und von meinem Friseur...
Friseure sind eigentlich die größten Philosophen.
Vor allem sind sie gescheit und geerdet. Ich finde, dass man die wichtigen Dinge im Leben verständlich sagen kann.
Wenn wir von Friseuren wieder zurück zu Sokrates kommen, müssen wir feststellen: Der Schlaufuchs hat keine Antworten gegeben, sondern Fragen gestellt.
Aber die entscheidenden Fragen -- und das ist der ernste Kern meines Buches. Der Philosoph Karl Jaspers hat gesagt: Die Grenzsituationen menschlicher Existenz, also Leid, Schuld, Kampf und Tod sind unvermeidlich. Wenn man also zeigen könnte, wie man in diesen unvermeidlichen Situationen glücklich sein kann, dann kann man unvermeidlich glücklich werden, das ist ja logisch. Tatsächlich kann man nur glücklich sein, wenn man gewiss ist, dass man auch in Krisensituationen seines Lebens nicht ins Nichts fällt.
Leid ist derzeit ein großes Thema.
Aber wie man Leid begegnet, daran liegt ganz wesentlich, ob man glücklich wird. Unser Dorf ist glücklicher, seit wir Flüchtlinge haben, denn viele Menschen, die sonst nur für sich alleine gelebt haben, geben jetzt Deutschkurse, betreuen Kinder, sammeln Kleider und das erleben sie als in sich sinnvoll. Glück, das sind nicht bloß Glücksgefühle, wie die unsäglichen Ratgeber glauben machen wollen. Glücksgefühle bekommt man am sichersten mit Heroin – allerdings mit unangenehmen Nebenwirkungen – oder indem man sich eine Elektrode ins Hirn pflanzt und sich auf eine Intensivstation legt. Doch ich habe noch niemand getroffen, der so etwas will. In Wirklichkeit ist Glück nämlich kein Egotrip. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Menschen in Not zu helfen, kann glücklich machen.
Was dürfen die Mendener von Ihnen erwarten?
Keine Lesung. Lesen und Schreiben können die Leute ja selbst. Ich werde einen kabarettistischen Vortrag halten – das ist unterhaltsamer.