Menden. Selten dürfte ein Gebäude auf einem Viereck von vielleicht rund 500 qm so oft von einer Ecke in die nächste „geschubst“ worden sein, wie „Mommers Büdeken“. Und es gibt wohl auch keinen vergleichbaren Fall, dass ein stinknormaler, wenn auch ansehnlicher Kiosk plötzlich unter Denkmalschutz gestellt wird. Genau das ist im November 2013 passiert. Denn dieses „Holz-Büdeken“ ist den Mendenern lieb und wert, und gehört untrennbar zum Stadtbild von Menden.
Aus der Anfangszeit ist nur wenig überliefert.
Robert Mommer muss einen Ausweis der Stadt für das Reisegewerbe gehabt haben. Anders sind Zeitungsmeldungen nicht zu deuten. Demnach hat der Gründer von „Mommers Büdeken“ 1934 seine Zeitungen und Zeitschriften für die ersten 15 Jahre aus einem kleinen fahrbaren Kiosk zum Verkauf angeboten, der abends nach Feierabend an die Seite geschoben werden musste und am nächsten Tag - ein wenig versetzt - wieder eingerichtet wurde. Wäre er auch nachts an seinem Verkaufsort geblieben, und hätte er ständig denselben Platz eingenommen, hätte Robert Mommer ein stehendes Gewerbe anmelden müssen.
Erst ab 1949 stabiles„Mommers Büdeken“
So recht vorstellen kann ich mir das Gefährt nicht. Bilder habe ich nicht gefunden aus damaliger Zeit. Ute Mommer, seine Enkelin, hat jedenfalls keine, ihre Mutter Karin auch nicht. Wohl aber gibt es die Beschreibung, dass ein Mann gerade mal so eben in den Stand passte. Aus dieser „beengten Kiste“ heraus verkaufte Robert Mommer (1892-1972) die gedruckten Erzeugnisse mit den Nachrichten aus aller Welt. Die erste Tageseinnahme soll 1,87 Mark gewesen sein. Das hört sich nach hartem Brot an. Die ersten Jahre waren demnach nur mit viel Arbeit zu überstehen. Mommers „Reisendes Gewerbe“, das sich schon von Anfang an stets in der Nähe des Rathauses (heute Altes Rathaus) bewegt haben dürfte, wurde erst durch den Klamauk und den Unfug dummer Jungenstreiche zum stehenden Gewerbe. Denn kaum abends an die Seite geschoben, kippten Rowdies den leichten Stand in der Nacht um. Ein mehrmals vorgekommenes Ärgernis, bei dem wie heute Alkohol mit ihm Spiel gewesen sein dürfte. Erst 1949 wurde quasi als Notwehr ein stabiler, stattlicher Pavillon gebaut, fest verankert mit dem Bürgersteig: „Mommers Büdeken“, wie wir es heute kennen. Standort natürlich an Mendens Lebensader, an der Hauptstraße/Ecke Bahnhofstraße, anfangs gegenüber dem Rathaus von 1912.
Endlich Heizungund mehr Platz
„Schwere Anfangsjahre“ überschrieben passend dazu die Gazetten damals zum 25-jährigen Bestehen des Kiosks die Gründungszeit. Aber irgendwie war die Laufbahn von Robert Mommer vorgezeichnet. Die Idee zum eigenen Kiosk kam aus dem Elternhaus. Ein vertrauter Gedanke. Robert war in Iserlohn geboren. Die Eltern unterhielten die Bahnhofs-Buchhandlungen, die dortigen Zeitungs- und Zeitschriftenhandlungen, in Menden, Iserlohn und Altena. Die Selbstständigkeit lag nahe, die Daten sind bekannt: Beginn des mobilen Kiosk am 28. März 1934, Einrichtung des fest stehenden und verankerten Pavillons am 7. Dezember 1949.
Besondere Erleichterung für Robert Mommer und seine Frau Maria (1901-2000): „Schluss war mit mangelnder Heizung und explodierenden Petroleumleuchten“. So jedenfalls schilderte Robert 1959 zum Silbernen Jubiläum das neue Leben im Kiosk. Und von da an „blühte und gedieh das Geschäft“. Jahre später auch auf dem Dach, denn zur Verschönerung der Stadt schmückte Robert Mommer im Sommer den Kiosk mit üppiger Blumenpracht.
Dach-Werbungfür den „Mittag“
In den ersten Jahren noch nicht. Da nutzte er das Dach seines neuen Kiosks für kostenlose Werbung, pries in großen Lettern den „Mittag“ an. Das war eine in Düsseldorf erscheinende Tageszeitung für Rhein und Ruhr, die ab 1920 täglich erst zur Mittagszeit ausgeliefert wurde. Nach Unterbrechung im 2. Weltkrieg erschien sie wieder 1949, gerade als der Kiosk gebaut worden war. 1967 wurde der „Mittag“ eingestellt. Die Dach-Werbung machte Platz für die Dach-Blumen.
Als Robert Mommer drei Jahre alt war, zogen seine Eltern von Iserlohn nach Menden. Vater nahm eine Stelle in der Buchdruckerei Riedel an und ermutigte Sohn Robert, gedruckte Erzeugnisse an den Leser zu bringen. Oft half ihm später sein heranwachsender Sohn Gerd dabei, der ab 1969 den Kiosk selbst übernahm, später aber verpachtete. Für ihn stand aber fest: Das Büdeken bleibt für immer in Familienbesitz. Seine Tochter Ute beteuerte mir jetzt, dabei werde es auch bleiben. Ihr Vater Gerd Mommer (Jahrg. 1932) starb im Januar 2013.
„Büdeken“ überstehtkeinen weiteren Umzug
Es konnte niemand damit rechnen, dass aus „Mommers Büdeken“ mal ein „Mobiles Denkmal“ werden würde. Besondere Freude hat das bei der Familie Ronzon im Lahrfeld ausgelöst, die eine besondere Nähe zum Kiosk hat. Mein Kollege Heinz-Jürgen Czerwinski hat mal beschrieben, warum die Ronzons und „Mommers Büdeken“ untrennbar verbunden sind: Konstrukteur und Erbauer des Pavillons war Schreinermeister Stephan Ronzon. Mehr als 65 Jahre ist das jetzt her. So kann sich Christian Ronzon noch gut daran erinnern, „wie mein Vater ans Werk gegangen ist.“ Zunächst hat er Konstruktionszeichnungen erstellt, dann die Pläne handwerklich umgesetzt, schließlich den Kiosk auf einen Tieflader gesetzt und in die Stadtmitte transportiert. Leider gibt es davon keine Fotos, auch die Konstruktionspläne sind unauffindbar.
Die Verschiebe-Odyssee in den folgenden Jahrzehnten, hat offensichtlich dem Büdeken zugesetzt. Josef Gierse, früher als Schreiner bei der Stadt, verriet, dass beim Umsetzen stets Millimeterarbeit nötig gewesen sei. Ständig musste bei den Transporten vorsichtig ausgependelt werden. Experten gehen davon aus, dass die Bude einen weiteren Umzug nicht übersteht. Zurzeit steht Mommers Büdeken an der Hauptstraße direkt im Schatten des Alten Rathauses.
Eine Bude unterwegs. Mindestens fünf Mal, so hat Heinz-Jürgen Czerwinski ausgemacht, ist der Kiosk umgehoben worden. Mal musste er dem Hausmann-Brunnen weichen, dann stand er jenseits der Hauptstraße beim ABC-Schuhladen, mal sogar weit abseits vor der Gaststätte Stertmann, nicht weit von der Kupferburg, jetzt am Alten Rathaus. Eine Verschieberei je nach Zwangslage.
Vor Stertmannkomplett im Abseits
Ute Lischka vom Bauamt der Stadt Menden ist für Denkmal geschützte Bauten zuständig. Meist, so verrieten ihre Aktenunterlagen, ging es um verkehrsverbessernde Straßenführung im Einmündungsbereich Bahnhofstraße in die Hauptstraße, um die nötige Freifläche für die Anlegung eines Brunnens (Hausmann-), oder um Auflagen des Landesstraßenbauamtes. Bestimmte Entfernungen zum Fahrbahnrand mussten eingehalten werden, als es noch keine Fußgängerzone gab. Ganz weit abgeschnitten war die Bude wohl am Standort vor Stertmann. Der Käuferstrom wälzte sich woanders. „Mommers Büdeken“ hat auch diese Durststrecke überlebt. Trotz wachsender Konkurrenz der Verbrauchermärkte und Tankstellen, die bis abends spät ihr Sortiment anbieten. Sich vorzustellen, dass „Mommers Büdeken“ mal nicht mehr sein könnte, das möchte sich wohl kein Mendener.
Warum solch ein Kiosk im Herzen der Stadt so wichtig ist, erklärte Anneliese Koll, die mehr als 10 Jahre lang Pächterin war: Für die vielen Stammkunden waren sie und ihre Mitarbeiterin Heidi Kramer auch Seelentrösterin und Treffpunkt. Das blieb auch so, als eine Nachfolge-Pächterin unter dem Bruch von Tradition aus dem Kiosk heraus für kurze Zeit „Hot-Dogs“ verkaufte. Eine von der Stadt genehmigte Episode.
„Büdekes“ als Ersatzfür „Tante-Emma-Läden“
Im 19. Jahrhundert wurde ein Kiosk in deutschen Landen mit einem Verkaufsstand gleichgesetzt, an dem Tabakwaren, Süßigkeiten, Getränke, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch Zeitungen verkauft wurden (Wikipedia). Im Ruhrgebiet hießen sie auch Trinkhallen, wie zum Beispiel der frühere Kiosk Werny I an Battenfelds Brücke (WP berichtete). Egal wie man sie nennt, die „Büdekes“ können heute die so schmerzlich vermissten „Tante Emma-Läden“ sein. Ihnen trauern viele noch heute nach. Dort gab es den gerühmten Austausch von Nachrichten, von denen aus der Nachbarschaft.