Siegen/Stade.
Von einem „traurigen“ Fall sprachen im Siegener Landgericht beide Parteien und auch die Richter. Ansonsten allerdings wurde vor der 8. Zivilkammer unter Vorsitz von Richter Heribert Eggert, Vizepräsident des Landgerichtes Siegen, gestritten. Anlass war ein tragischer Unfall am 16. Juni 2010, bei dem ein damals 73-jähriger Radfahrer auf dem Biggeradweg in Stade so schwer stürzte, dass er einige Zeit später an den Folgen verstarb (wir berichteten ausführlich). Seine Witwe sieht den Ruhrverband in der Pflicht, der aus ihrer Sicht an der Unfallstelle nicht für ausreichende Sicherheit gesorgt hatte und klagte auf Schadensersatz, eine Rente und mögliche Folgekosten des Vorfalls. Die Kammer wies die Klage ab.
Der Radfahrer aus Rothemühle-Vahlberg kam auf dem leicht abschüssigen Biggerandweg an der unmittelbar nach einer Kurve angebrachten Halbschranke so unglücklich zu Fall, dass er einen Schädelbruch erlitt und ins Koma fiel. Nach Ansicht der Witwe und eines gestern vernommenen Freundes der Familie, der den Unfallort kurz nach dem Vorfall besichtigt hatte, war die Schranke weder ausgeschildert noch entsprach sie den Vorschriften der Verkehrssicherheit. Der Weg sei abschüssig und verführe zum schnelleren Fahren, sagte Horst Held (75).
„Mein Mann kannte den Weg nicht“, ließ die Klägerin später wissen. Sein Freund, so Held, habe den Weg zwischen Poller und Schranke gewählt und müsse mit dem Lenker an der Schranke hängengeblieben sein. Der Abstand zwischen dem mittleren Poller und der Schranke belaufe sich im Normalfall auf 1,05 Meter, der Poller sei aber zur Schranke geneigt gewesen, so dass es nur 95 cm gewesen seien.
Bei einem Ortstermin Helds am 23. Juni 2010 mit einem WP-Redakteur verunglückte vor den Augen der beiden Männer eine Frau an der gleichen Stelle, die ebenfalls den mittleren Weg nahm und an der Schranke hängenblieb. Zu ihrem Glück hatte sie einen Helm getragen. Dass der Verstorbene eben dies unterließ, ließ den Ruhrverband an der Rechtmäßigkeit der Klage zweifeln. Anwalt Dr. Gerhard Driewer beantragte die Abweisung der Klage.
Ein von der Kammer beauftragter Experte hatte die Schrankenanlage als gefährlich eingestuft und festgestellt, nach den Vorschriften müsse der Abstand zwischen Poller und Schranke mindestens 1,30 m betragen. Für den Klägeranwalt Andreas Hesse ist das Gutachten eindeutig. Dr. Driewer hingegen stellte es in Frage. Der bestehende Abstand sei ausreichend gewesen. Der 73-Jährige hätte langsam fahren und notfalls absteigen müssen, trage „durch sein Verhalten eine erhebliche Mitschuld am Geschehen“. Zudem sei der Ruhrverband vor dem Unfall nie über eine bestehende Gefahrenquelle informiert worden: „Da fahren tausende von Menschen vorbei, aber nie wurde ein Vorfall gemeldet.“ Horst Held sprach hingegen von mehreren Passanten, die ihn vor Ort angesprochen und von mehreren Unfällen berichtet hätten. Eine der Personen habe sogar erklärt, früher für „den Verein“ (gemeint war der Ruhrverband) gearbeitet zu haben. Ihre Namen für eine Zeugenaussage hätten die Leute allerdings nicht nennen wollen.
Nach der Verhandlung ließen beide Seiten offen, ein für sie ungünstiges Urteil anzufechten. Einen Vergleich wollte ebenfalls niemand ausschließen.
„Ich möchte den Ausgang des Verfahrens gern noch erleben“, sagte die Witwe des Verunglückten. Natürlich könne er ihre Lage verstehen, versicherte Dr. Driewer. Er wolle noch einmal mit den Verantwortlichen beim Ruhrverband sprechen. An der Höhe einer möglichen Summe war eine Einigung im Vorfeld gescheitert. Die Krankenkasse der Klägerin hat sich bereits gemeldet und rund 67 000 Euro geltend gemacht. Die eigentlichen Kosten seien noch höher gewesen, erklärte die Frau. Ihr Anwalt hat 300 000 Euro eingefordert, dazu weitere Forderungen. „Wir werden die Urteilsbegründung abwarten und dann über Rechtsmittel nachdenken“, erklärte Klägeranwalt Andreas Hesse am Nachmittag, der das Urteil „so nicht unbedingt erwartet hatte“.