Meggen. Gutes Theater gibt Anstoß zum Nachdenken, verändert bisweilen die Sicht auf die Dinge. „Verrücktes Blut“ war bestes Theater, hielt den Zuschauern im PZ den Spiegel vor; denn wer kann von sich behaupten, er sei frei von jeglicher Art des Klischee-Denkens?
Gutes Theater gibt Anstoß zum Nachdenken, verändert bisweilen die Sicht auf die Dinge. „Verrücktes Blut“ war bestes Theater, hielt den Zuschauern im PZ den Spiegel vor; denn wer kann von sich behaupten, er sei frei von jeglicher Art des Klischee-Denkens?
Oftmals werden Menschen mit Migrationshintergrund für weniger bildungsfähig gehalten – ein Trugschluss; trotzdem verhalten sich etliche den deutschen Erwartungen entsprechend. Wie die fünf Schüler und zwei Schülerinnen auf der Bühne des PZ, die nur primitives Pöbeln im Sinn zu haben schienen; bis sie von ihrer Lehrerin mittels Pistole dazu gezwungen wurden, sich mit der Aussage in Schillers Dramen auseinanderzusetzen. Karolina Thorwarth verkörperte einmalig diese zunächst wehrlos erscheinende Frau, die am ganzen Körper bebend, mit blitzenden Augen und bisweilen verzerrter Mimik den Revolver in der Hand hielt, die mit gezielt abgegebenen Schüssen die Aufmerksamkeit der Schüler erzwang, die im weiterem Verlauf immer selbstsicherer wurde. Ebenso wie die Jugendlichen, die plötzlich vor ihr schlotterten, deren Aggressionen dennoch immer wieder hervorbrachen, und die es nur mittels drohend vorgehaltener Pistole schafften, im Rahmen von Schillers Theaterspiel aufeinander zuzugehen, einander zu berühren. Dabei war doch der andere auch ein Mensch, wenn auch vielleicht anderer Nationalität. Marius Gavrilis, Daniele Veterale, Florian Lüdtke, Serkan Durmus und Moses Leo gingen voll in ihrer Rolle auf. Ebenso wie Sara-Hiruth Zewde als burschikose Latifa und Taneshia Abt, die sich vom zurückhaltenden, Kopftuch tragenden Mädchen zu einer selbstbewusst handelnden jungen Frau entwickelte.
Gerade, als die jungen Leute verstanden hatten, was für ein Leben in Freiheit wichtig ist und wie zeitnah Schillers Gedanken sind, rastete die Lehrerin plötzlich aus, brach es aus ihr heraus, dass auch sie Türkin ist. Ihrer Karriere zuliebe hatte sie sich völlig verbogen, ihr Anderssein verborgen. Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, hatte sie es geschafft, das Selbstbild ihrer Schüler zu stärken.
Was bedeutet es denn, deutsch zu sein?
Dank ergänzender Vor- und Nachlese des Stückes mit Regisseurin Tina Geissinger versuchten Zuschauer wie Akteure sich dieser Frage zu nähern. „Es gibt immer noch Deutsch und Deutsch“, kommentierte Marius Gavrilis seine Erfahrungen.
Dieses vor sozialem Sprengstoff berstende Stück war, einmal abgesehen von der theatralisch eingesetzten Schusswaffe, erschütternd authentisch gespielt, bisweilen auch urkomisch. Geradezu grotesk und doch beruhigend wirkten die zwischenzeitlich einstimmig vorgetragenen deutschtümelnden Volkslieder. „Verrücktes Blut“ war verrückt, könnte gerade hierdurch die Gedanken und Gefühle der Zuschauer verrücken.