Olpe. Dr. Hans-Bodo Thieme hat ein weitgehend unberührtes Kapitel nationalsozialistischer Geschichte des Kreises Olpe aufgeschlagen.
Wilhelm Fischer, 1906 in Albaum geboren, von 1932 bis 1943 Kreisleiter und im Bewusstsein der Bevölkerung brutaler und rücksichtsloser Nazi- Funktionär und Verfolger Andersdenkender.
Die Quellen sind spärlich
In der lokalen Geschichtsschreibung bisher noch nicht abgehandelt, hat Thieme sich auf Fischers Spuren begeben und gibt im neuen Jahrbuch „Olpe in Geschichte und Gegenwart“ des örtlichen Heimatvereins (wir berichteten) auf rund 120 Seiten Einblick in Fischers Leben und Wirken. Die Quellen sind spärlich, beziehen sich auf Archivsplitter sowie die Entnazifizierungsakten der Spruchkammer.
Herausgekommen ist das Bild eines Menschen, der, ausgestattet mit Durchsetzungskraft, Begeisterungsfähigkeit, Hingebungsbereitschaft und Loyalität, aus idealistischen Motiven an der neu erstarkenden politischen Kraft zum Ende der Weimarer Republik Interesse fand. „Er war national und sozialistisch, suchte nach sinngebenden Strukturen, hat nicht bewusst und absichtlich einen Pakt mit dem System abgeschlossen“, so ein Fazit Thiemes, der jetzt im Rahmen der Mitgliederversammlung des Heimatvereins zum Thema referierte, über Fischers Beweggründe.
Gleichwohl erwies sich Kreisleiter Fischer als Antisemit übelster Sorte, der jüdischen Mitbürgern das Leben so schwer wie möglich zu machen versuchte, und jene drangsalierte, die Verbindungen zu jüdischen Familien pflegten. So hatte er keine Scheu, den Olper Fabrikanten Paul Pape wegen seiner Kontakte zur Familie Lenneberg öffentlich zu beschimpfen. Einen Förderer und Mentor fand Fischer im NSDAP-Gauleiter von Westfalen-Süd, Josef Wagner.
Zusammen mit dem aus Grevenbrück gebürtigen NS-Landrat Dr. Evers, einem alten Parteigenossen und Kampfgefährten, versuchte er, machtbesessen und keinerlei Konkurrenz duldend, den schwarzen Kreis Olpe braun einzufärben. Wagner wie Evers waren 1934 Trauzeugen bei Fischers Eheschließung mit Maria Kellermann durch den Oberhundemer Pfarrer Rempe, dem einzigen Nazi-Pfarrer im Kreis Olpe. Auf einer Aufnahme Fischers als Albaumer Schützenkönig im Jahr 1933 finden sich unter den Gästen viele NS-Uniformierte, darunter der Albaumer Lehrer Heinrich Besken, späterer Ortsgruppenleiter in Olpe.
Fischers Kampf galt auch dem politischen Katholizismus. Gegen die Kirche als kultische Einrichtung hatte er nichts einzuwenden. Im Gegenteil - mit Hitlers Kampagne zur Entkonfessionalisierung hatte Fischer wohl seine Probleme. Er war der letzte Kreisleiter im Gau Westfalen-Süd, der aus der Kirche austrat. Das war im Jahr 1942. Zu der Zeit begann der Stern Fischers schon zu sinken. Sein Gönner Josef Wagner war von Hitler entmachtet worden und infolgedessen alle Gefolgsleute kaltgestellt.
Am 14. Mai 1945 stellte Fischer sich den Amerikanern. Die 8. Kammer des Spruchgerichts Recklinghausen verurteilte ihn am 11. November 1947 zu drei Jahren Gefängnis. Nach seiner Haftentlassung lebte er bis zu seinem Tod 1965 in Islerlohn. Fischer heiratete im Übrigen ein zweites Mal. Seine Witwe, geboren 1919, lebt heute noch. Indes bleiben viele Fragen offen. So brutal und diktatorisch Fischer als Kreisleiter auch war, so wollte er jedoch kein Blut an den Händen haben.
„Er war gradlinig, hatte seine katholische Erziehung und die 10 Gebote nicht vergessen. Intrigen lagen ihm nicht“, so Thieme. Fischer hat die Exekution zweier Polen verhindert und auch Denunzierungen und politische Widersetzlichkeiten nicht weiter gemeldet. Vor der Spruchkammer bestritt Fischer ein Wissen von der Endlösung.
Wie Fischer sich mit seiner antisemitischen Haltung innerlich auseinandergesetzte, darüber bleibt zu mutmaßen. In die Kirche ist er nicht wieder eingetreten und auch seine Sterbeurkunde ist ohne Religionsvermerk. „Ein außergewöhnliches und vielschichtiges Leben mit beträchtlichen Schuldverstrickungen“, so Thieme. „Fischer konnte nicht vom fahrenden Zug springen. Die Tragik ergibt sich aus der Frage, ob er springen wollte“.