Olpe/Iserlohn/Hagen. . Nicht alle Bahnhöfe oder Busse sind im Sieger- und Sauerland barrierefrei. Rollstuhlfahrer oder Gehbehinderte haben es schwer. Die Deutsche Bahn will in den nächsten Jahren 500 Millionen investieren, um den Altbestand zu modernisieren. Aber zu erst sind die Bahnhöfe dran, an denen die meisten Fahrgäste einsteigen.
Der Frust ist vorprogrammiert. Andre Hoberg ist auf dem Weg zur Bahn. Die Strecke von Attendorn nach Olpe fährt er regelmäßig – zum Einkaufen. Er sitzt im Rollstuhl und spricht von einer „Prozedur“, wenn er an die Zugfahrt denkt. Der 28-Jährige musste schon vieles mitmachen, um die rund 20 Kilometer zurückzulegen.
Die Bahn kommt, aber nicht immer für ihn. Schon oft ließen ihn Zugfahrer stehen. Sie sahen sich nicht in der Lage, den Rollstuhl in das Abteil zu befördern. Anstatt die für solche Fälle vorgesehene Rampe zu holen, bekommt er Ausreden zu hören: „Ich komme mit der Rampe nicht durch den Zug, weil er zu voll ist, und ich habe eh schon Verspätung“, sagte ihm ein Zugführer einmal. Als Andre Hoberg sich beschwerte, schickte ihm die Deutsche Bahn ein Entschuldigungsschreiben.
Auch der Weg zum Gleis ist beschwerlich. Es passierte schon, dass Andre Hoberg im Kiesbett hängen geblieben ist, durch das die Gleise am Attendorner Bahnhof verlaufen, wenn er in den Zug in Richtung Hagen einsteigen wollte. Nur so ist er erreichbar. Die kleinen Räder blieben im groben Splitt stecken. „Vor und zurück wippen musste ich, um frei zu kommen“, klagt er. Gibt es Unterführungen, die zu den Gleisen führen wie in Finnentrop oder Arnsberg , dann gibt es kein Weiterkommen. „Das schaffe ich nicht ohne Hilfe“, sagt der Rollstuhlfahrer.
Die Bahn investiert 500 Millionen in die Barrierefreiheit
Im Bus hat er mit ähnlichen Hindernissen zu kämpfen. Noch längst sind nicht alle alten Fahrzeuge durch Niederflurbusse mit Rampen ersetzt worden, in die Rollstuhlfahrer mühelos einsteigen können. Bei den Verkehrsbetrieben Westfalen-Süd, die Andre Hoberg nutzt, sind es 84 Prozent. „Das ist immer ein Risiko, ob ich überhaupt einsteigen kann“, sagt er. So sieht es bei den meisten Unternehmen aus, die noch immer dabei sind, auf die neueren Fahrzeugtypen umzustellen. Die Behindertenbeauftragten und Verkehrsexperten der Gemeinden gehen aber davon aus, dass sich das Problem mit der Zeit erledigt. „Wenn neue Fahrzeuge angeschafft werden, dann sind es Niederflurbusse“, erklärt Jürgen Tannenfels, Zuständiger für den Öffentlichen Personennahverkehr beim Ennepe-Ruhr-Kreis.
Es ist aber auch nicht so, dass die Bahn untätig ist. Der Bahnhof in Attendorn soll 2014 barrierefrei umgebaut werden. Im selben Jahr ist auch geplant, die in Arnsberg und Wickede zu modernisieren. Schon im nächsten Jahr ist Olpe an der Reihe. Auch Finnentrop (2015), Meschede (2015) und Wickede (2014) sollen in absehbarer Zeit auf den neuesten Stand gebracht werden. Einige Beispiele, aber sie zeigen, dass sich etwas ändert. Die Bahn beabsichtigt, in den nächsten Jahren mit über 500 Mio. Euro mehr als 100 weitere Bahnhöfe umzubauen. Von den 692 in NRW sind zurzeit bereits 476 stufenfrei. Das Problem in Südwestfalen ist allerdings, dass weniger Menschen die Züge nutzen, als in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet. „Die Sanierungsmaßnahmen hängen schlichtweg von der Frequentierung ab“, sagt Rainer Damerius, Behindertenbeauftragter der Stadt Siegen. Wo viele Menschen unterwegs sind, da handelt die Bahn zuerst. Das bestätigt auch das Unternehmen.
Rollstuhlfahrerin machte den Führerschein
Für Elisabeth Nebeling aus Olpe müsste die Bahn gar nichts mehr tun. Sie hat genug von Zugfahrten, seitdem sie von der Deutschen Bahn versetzt wurde. Sie wollte in Hagen in die Bahn einsteigen und hatte deswegen einige Tage vorher den „Mobilitätsservice“ angerufen. Er wollte Mitarbeiter schicken, die ihr in den Zug helfen. Schlussendlich mussten mehrere Freunde die 46-Jährige samt Rollstuhl hinein tragen. „Die Leute von der Deutschen Bahn kamen, da fuhrt der Zug schon los“, sagt sie.
Die Bahn sieht das anders „In NRW haben wir mehr als 50 000 dokumentierte Hilfeleistungen pro Jahr in den Bahnhöfen. Die Ablehnquote liegt unter einem Prozent“, sagt ein Bahnsprecher.
Elisabeth Nebeling ist das egal. Sie fährt jetzt Auto. Das kann und will sich aber nicht jeder Rollstuhlfahrer leisten. Führerschein und Auto haben sie weit über 60 000 Euro und sechs Jahre gekostet.