Olpe/Betzdorf. Benjamin Geldsetzer bewegt sich zwischen Klassenraum und Rathaus. Der lehrende Bürgermeister der Stadt Betzdorf verbindet Bildung und Politik.
In Olpe arbeiten zwei Bürgermeister. Die Verortung des einen fällt leicht: Peter Weber (55) hat sein Büro im Rathaus und führt dort die Geschäfte der Verwaltung und leitet die Stadtverordnetenversammlung. Der zweite indes ist ganz anders aufgestellt und hat seinen Hauptberuf als Lehrer an der St.-Franziskus-Schule. Benjamin Geldsetzer (38) ist Grenzgänger: Vor und nach dem Unterricht bzw. den Klausurkorrekturen ist er Stadtbürgermeister von Betzdorf im Nachbarkreis Altenkirchen. Politik ist für ihn doppelt wichtig: als Unterrichtsfach und Ehrenamt. Im Interview erklärt er, was ihn daran so fasziniert.
Frage: Bürgermeister im Ehrenamt – das kennen Olperinnen und Olper, die nach 1997 geboren sind, nur noch aus Erzählungen, weil die kommunale Doppelspitze in Nordrhein-Westfalen abgeschafft wurde. Wie oft ernten Sie in der Schule erstaunte Blicke, wenn Ihre Schülerinnen und Schüler erfahren, dass Sie nicht nur Lehrer, sondern auch Bürgermeister sind?
Benjamin Geldsetzer: Das gibt es tatsächlich nicht selten. Fast alle Schülerinnen und Schüler der Franziskusschule kommen ja aus Nordrhein-Westfalen, nur wenige wie ich aus Rheinland-Pfalz, und daher ist es für viele durchaus irritierend, dass es möglich ist, eine Stadt wie Betzdorf mit über 10.000 Einwohnern und einer kleinen Verwaltung, Bauhof, Stadthalle und drei eigenen Kindergärten mit insgesamt 85 Beschäftigten als Dienstherr ehrenamtlich zu führen. Das liegt am grundlegend unterschiedlichen Aufbau der Kommunalverwaltungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Bei uns gibt es ja außer dem Kreis und den Ortsgemeinden auch noch die Stufe der Verbandsgemeinden und eben ehrenamtliche Bürgermeister. Ich betone dann gern, dass wir in Rheinland-Pfalz stolz auf unser Ehrenamt sind.
Seit wann fahren Sie so gesehen doppelgleisig?
Seit 2019, als ich zum ersten Mal die Wahl in Betzdorf gewonnen habe. Kommunalpolitik betreibe ich aber schon wesentlich länger und bin außerdem Mitglied des Kreistags in Altenkirchen und dem Verbandsgemeinderat von Betzdorf-Gebhardshain.
Wie lässt sich das alles unter einen Hut bringen?
Durch die Tatsache, dass ich zu 50 Prozent freigestellt bin. Ich habe an der Schule also exakt eine halbe Stelle. Das ist für mich derzeit auch tatsächlich die ideale Lösung. Ich bin ja nicht umsonst Lehrer geworden, sondern habe mir diesen Beruf aus voller Überzeugung ausgesucht. Und Kommunalpolitik betreibe ich ebenso aus voller Überzeugung und mit großer Freude, sodass ich das gern fortsetzen würde. Daher trete ich auch zur rheinland-pfälzischen Kommunalwahl am 9. Juni wieder als Bürgermeisterkandidat an und bin von meiner Partei auch einstimmig dafür nominiert worden.
Hat Ihr kommunalpolitischer Einsatz Auswirkungen auf den Unterricht?
Durchaus. Ich lege großen Wert darauf, den Schülerinnen und Schülern klarzumachen, wie viele Anknüpfungspunkte sie mit Kommunalpolitik haben. Wenn ich frage, womit ein Schüler den Tag beginnt und er antwortet: Zähneputzen, sind wir schon bei der Wasserversorgung und damit einem kommunalpolitischen Thema. Als aktiver Kommunalpolitiker fällt es mir natürlich leicht, den Schülerinnen und Schülern etwas über das Thema zu berichten. Ich fände es wichtig, wenn das Thema in der Schule eine größere Rolle spielen würde. Im Curriculum für die Sozialwissenschaften in der Oberstufe ist Kommunalpolitik beispielsweise gar nicht enthalten und dabei doch so wichtig.
Was fehlt Ihnen noch im Lehrplan?
Ganz klar die Themen Finanzen und Wirtschaft. NRW hat ja immerhin das Fach Politik zu „Wirtschaft/Politik“ erweitert, das ist ein guter Ansatz, aber ich finde, das reicht noch nicht. Dieser Gedanke „Über Geld spricht man nicht“ ist komplett falsch. Ich fände es extrem wichtig, wenn Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn auch gelernt haben, was Investieren heißt und wie man sich finanziell aufs Alter vorbereitet.
Kurz und knapp
Kaffee oder Tee? Kaffee.
Wandern oder Radfahren? Wandern.
Bier oder Wein? Das ist eine Frage der Reihenfolge.
Kino oder Theater? Das Theater in der Politik genügt mir vollends.
Buch oder Film? Buch.
Werben Sie für aktives Mittun in der Kommunalpolitik?
Ich motiviere dazu, sich innerhalb der Demokratie zu partizipieren. Das Allerwichtigste ist dabei, wählen zu gehen. Dafür werbe ich.
Olpe und Betzdorf waren viele Jahre über die Eisenbahn unmittelbar verbunden. Auch derzeit gibt es quasi eine Verbindung: In beiden Städten werden Bahnbrachen zu neuen Stadtzentren weiterentwickelt. Betzdorf ist dabei aber weitaus schneller und erfolgreicher als Olpe. Haben Sie Tipps?
Zum einen gilt für mich die Devise, dass ich nicht spiele, um nicht zu verlieren, sondern um zu gewinnen. Unser Projekt „WERKstadt“ umfasst die Umnutzung des riesigen Areals des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerks mitten in der Stadt. Es ist das größte Bauprojekt im ganzen Landkreis Altenkirchen und wird dazu beitragen, unsere Stadt, die nicht nur durch Sieg und Heller, sondern auch durch die Bahnlinie geteilt wird, wieder zu schließen. Da werden 500 Arbeitsplätze entstehen, wir hatten gerade den ersten Spatenstich, und wenn man in den 10.000 Quadratmeter großen Hallen aus dem Jahr 1862 steht, die einen Kathedralencharakter haben, dann ahnt man, was daraus entstehen wird. Wenn ich daran denke, dass vom Kauf des gesamten Areals durch die Stadt bis zum Verkauf an den Investor und den Baubeginn nur drei Jahre vergangen sind, dann glaube ich, dass unser Weg mit einer Ausschreibung der richtige war. Dort wird ein Gesundheits- und Pflegezentrum mit betreutem Wohnen, ein Wohnquartier und ein Dienstleistungszentrum entstehen, und das mit dem Erhalt der denkmalgeschützten Hallen, die die Eisenbahngeschichte der Stadt lebendig halten. Selber machen wäre da nicht gegangen, wir haben einen Investor gefunden, der das bereits erfolgreich in Limburg umgesetzt hat.
Welche Bedeutung hat Ihre Parteizugehörigkeit für Ihre Arbeit?
Als Lehrer bin ich selbstverständlich parteipolitisch neutral. Durch mein Ehrenamt weiß natürlich jeder, dass ich in der SPD bin, und dazu stehe ich. Aber auch als Bürgermeister halte ich mich aus Partei-Bashing und Kampagnen heraus. Ich habe auch keinerlei Berührungsängste mit anderen Demokraten. Gerade haben wir zum Beispiel wieder Dr. Peter Liese (CDU, die Red.) an unsere Schule eingeladen, und der ist als überzeugter Europäer jemand, den ich gern mit Schülern in Kontakt bringe.
Zur Person
Benjamin Geldsetzer ist 38 Jahre alt und verheiratet. Er wurde in Siegen geboren und wuchs in Betzdorf auf. Nach der Grundschule in Betzdorf und dem Abitur am Peter-Paul-Rubens-Gymnasium in Siegen leistete er Zivildienst im Altenzentrum St. Josef in Betzdorf, studierte in Siegen Lehramt für Politikwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Soziologie, absolvierte das Referendariat am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Neunkirchen und trat 2015 seine erste feste Stelle dort an, wo er heute noch unterrichtet: an der St.-Franziskus-Schule in Olpe, damals ein reines Gymnasium, heute eine Bündelschule mit Realschul- und Gymnasialzweig in Trägerschaft der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (GFO). Zwei Jahre später erwarb er zusätzlich die Lehrbefähigung für das Fach Musik.
Lässt Ihnen diese Kombination aus Beruf und Ehren- oder Nebenamt denn noch Zeit für Hobbys?
Nicht viel. Hinzu kommt, dass meine Frau Ärztin an der Kinderklinik in Siegen ist, und da kommt es je nach ihrer Schicht vor, dass wir uns den ganzen Tag nicht sehen. Wenn wir Zeit finden, dann kochen wir gern gemeinsam, wandern eine Runde und einmal in der Woche setze ich mich, wenn es irgendwie gelingt, mit guten Freunden auf ein Bier zusammen. Die Musik, die für mich auch eine ganz große Rolle spielt, muss derzeit pausieren. Vielleicht kommt eine Zeit, in der ich das wieder aktiviere. Aber derzeit geht das nicht.