Lenhausen. Stolpersteine erinnern an das Schicksal der jüdischen Familie Jacob. Ihre Geschichte stand im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung in Lenhausen.

Vor dem Feuerwehrhaus in der Fretterbachstraße erinnern sieben Stolpersteine an die Ermordeten und Überlebenden der jüdischen Familie Jacob, die wie Millionen Leidensgenossen von den Nationalsozialisten ausgegrenzt, verfolgt und in die Konzentrationslager geschickt worden sind. Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat die sieben Messingplatten am 6. Februar 2014 verlegt. Hier standen das Wohnhaus und die Metzgerei der Familie.

Das Schicksal der Jacobs, die bis 1938 seit Generationen in Lenhausen und im Sauerland zu Hause waren, stand im Mittelpunkt der Veranstaltung „Gemeinsam gegen das Vergessen – gegen jede Form von Antisemitismus und Hass“, zu der der CDU-Bundestagsabgeordnete Florian Müller in den schmucken Dorfraum der Schützenhalle eingeladen hatte. Zuvor legten Müller, Landrat Theo Melcher, Finnentrops Bürgermeister Achim Henkel und der CDU-Landtagsabgeordnete Jochen Ritter im Beisein von Angehörigen der Familie Jacob Blumen am Standort der Stolpersteine ab. „Wir wollen das Leid nicht vergessen und an unsere Verantwortung erinnern“, betonte Florian Müller einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag, an dem an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedacht wird.

Ortsheimatpfleger Matthias Baumeister zeigt das Buch
Ortsheimatpfleger Matthias Baumeister zeigt das Buch "Werner Jacob: Ich trage die Nummer 104953", aus dem er einige Passagen vorgelesen hat. © Martin Droste | Martin Droste

„Die Shoa fand nicht nur in Auschwitz statt und hat auch hier begonnen“, machte Dr. Johannes Christian Koecke von der Konrad-Adenauer-Stiftung deutlich, dass die industriell-organisierte Judenverfolgung auch nicht vor dem vermeintlich beschaulichen Sauerland Halt gemacht hat. Das erfuhr die alteingesessene und in den örtlichen Vereinen aktive Familie Jacob spätestens nach der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 am eigenen Leib. Es blieb nicht bei der Schutzhaft, in die Vater Meier Max Jacob und Sohn Werner am 11. November 1938 in Einzelzellen des Amtsgerichts Grevenbrück gesteckt wurden. Für mehrere Angehörige der Familie endete das Leben in den Vernichtungslagern im Osten.

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Im vollbesetzten Dorfraum der Schützenhalle zeichnete Ortsheimatpfleger Matthias Baumeister das bittere Schicksal der Jacobs nach. Mucksmäuschenstill wurde es, als Baumeister eine Tonaufnahme von der Zeugenvernehmung Werner Jacobs im sogenannten Auschwitzprozess vorspielte. Seine Ehefrau Irmgard sah der Lenhauser Jacob zum letzten Mal bei der Ankunft im KZ Auschwitz-Birkenau, wo Irmgard auf der Rampe als „arbeitsunfähig“ selektiert und in der Gaskammer ermordet wurde. „Ich musste auf die rechte Seite, meine Frau auf die linke Seite“, berichtete Werner Jacob bei seiner Aussage vor Gericht.

Werner Jacob durchlitt und überlebte wie durch ein Wunder bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges mehrere Konzentrationslager. Am 23. April 1945 kehrte er nach einer abenteuerlichen Flucht wieder nach Lenhausen zurück. Der 1952 in zweiter Ehe verheiratete gelernte Metzger hinterließ neben seiner katholischen Ehefrau drei Kinder. „Werner Jacob starb am 9.11.1992 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Hagen-Elpe begraben. Er war der einzige jüdische Bürger, der nach den Unrechtsjahren der NS-Diktatur in seinen Heimatort zurückgekehrt ist (...)“, schrieben die Heimatforscher Doris und Volker Kennemann anlässlich der Verlegung der Stolpersteine 2014.

Neben Angehörigen der Familie Jacob und Vertretern der Politik sind auch viele Lenhauser in den Dorfraum der Schützenhalle gekommen.
Neben Angehörigen der Familie Jacob und Vertretern der Politik sind auch viele Lenhauser in den Dorfraum der Schützenhalle gekommen. © Martin Droste | Martin Droste

Über das bemerkenswerte Leben des sportbegeisterten Werner Jacob berichtet auch Helmut Witte in der Jubiläums-Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des TuS Lenhausen. Darin heißt es: „Nur Werner Jacob ist nach einer erschütternden Odyssee durch sieben Konzentrationslager und einer abenteuerlichen Flucht beim Transport zum KZ Dachau wieder nach Lenhausen zurückgekehrt. Am 23. April 1945, noch vor der Kapitulation des Deutschen Reiches, stand der junge Mann, mit geschorenem Haar und in zerlumpten Kleidern, vor dem Haus von Bäckermeister Fritz Becker, viele Jahre 1. Vorsitzender des TuS Lenhausen.“

„Wir zwei haben uns in den Armen gelegen, und da wusste die Frau Becker erst, wer ich war. Ich habe da dann erst noch gesessen und was gegessen, und dann ist der Fritz Becker nachts um halb zwölf mit mir ins Unterdorf rein und hat überall an die Tür geklopft – die Leute waren schon alle am schlafen – und er hat gerufen: Der Werner ist wieder hier, der Werner ist wieder hier! So war ich dann wieder in Lenhausen.“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Florian Müller begrüßt viele Interessierte zur Veranstaltung „Gemeinsam gegen das Vergessen“ im schmucken Dorfraum der Schützenhalle Lenhausen.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Florian Müller begrüßt viele Interessierte zur Veranstaltung „Gemeinsam gegen das Vergessen“ im schmucken Dorfraum der Schützenhalle Lenhausen. © Martin Droste | Martin Droste

So schildert Werner Jacob seine Rückkehr in einem bewegenden Interview mit dem Schmallenberger Oberstudiendirektor Norbert Otto. Drei Jahre vor dessen Tod am 9. November 1992 hat Otto Werner Jacob interviewt. Der Bericht ist 1997 im Band I „Jüdisches Leben im Kreis Olpe“ unter dem Titel „Werner Jacob: Ich trage die Nummer 104953“ erschienen. Diese Nummer wurde ihm in Auschwitz auf den Arm tätowiert.

Fast wäre Werner Jacob 1951 seinen beiden in die USA ausgewanderten Schwestern gefolgt. In Bremerhaven musste er vor der Überfahrt nach Amerika in Quarantäne. „Und dann kam ich in so einen großen Saal mit einfachen Feldbetten. Das war furchtbar … Das hat mich so wieder an das KZ erinnert, diese Betten! Ich habe meine Koffer gepackt und bin schnurstracks nach Lenhausen zurückgefahren! Meine Schwestern haben geschimpft und geschimpft.“ Damit war das Kapitel USA für Jacob „erledigt“, antwortet er in den Gesprächen mit Norbert Otto.

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„Es ist unerträglich, dass Juden in Deutschland wieder Angst um ihre Sicherheit haben müssen. Unsere Verantwortung für unsere jüdischen Mitbürger endet nie und darf nie enden“, betonte Florian Müller am Ende der Gedenkveranstaltung im Dorfraum der Schützenhalle und bedankte sich für das „kraftvolle und eindrucksvolle Signal“ der vielen Teilnehmer an diesem nachdenklichen Abend. Dazu gehörten auch die vier leisen Musikstücke von Claudia Preiser-Jung und Martin Jung, Lehrkräfte der Musikschule Lennetal, am Klavier und an der Flöte.