Olpe/Siegen. Nach 22 Jahren wechselt die Spitze der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft auch im Kreis Olpe. Jürgen Weiskirch blickt zurück.

Bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) Südwestfalen hat es einen personellen Wechsel an der Spitze gegeben – zum ersten Mal, seit es die Gewerkschaft in der Region überhaupt gibt. Denn seit der Gründung von „Verdi“ aus fünf einzelnen Gewerkschaften im Jahr 2001 hieß der Chef in den Kreisen Olpe und Siegen-Wittgenstein Jürgen Weiskirch, der bereits seit 1998 Bezirkschef der größten Vorgängergewerkschaft ÖTV gewesen war. 2018 wurde Weiskirch dann Chef von „Verdi“ in ganz Südwestfalen, einschließlich Märkischem Kreis, Hagen und Ennepe-Ruhr-Kreis. Nun hat er sich aufs Altenteil zurückgezogen. Im Interview blickt er zurück auf eine bewegte Zeit unter besonderer Beachtung seiner Arbeit im Kreis Olpe.

Eigentlich sind Sie von Berufs wegen Eisenbahner, und die sind üblicherweise in der EVG, der Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft aktiv. Wie kommt ein Eisenbahner zu „Verdi“?

Das ist in der Tat eine interessante Geschichte. Ich wollte eigentlich, wie ganz viele Jungen, Lokomotivführer werden. Bei meinem Einstellungsgespräch bei der Bundesbahn machte der Ausbildungsberater aber versehentlich ein Kreuzchen an der falschen Stelle, nämlich bei „nichttechnischer Dienst“ statt „technischer Dienst“. Da bin ich dann geblieben, habe in der Ausbildung im Stellwerksdienst, im Fahrkartenverkauf, im Rangierdienst gearbeitet und war in der mittleren beamtentechnischen Laufbahn. Ich war in Weidenau und Siegen tätig, dann nach Hagen versetzt, von dort bin ich zurück nach Siegen, aber nicht mehr zur Bundesbahn, sondern zur damaligen Siegener Kreisbahn, heute Kreisbahn Siegen-Wittgenstein. Und bei den kommunalen Eisenbahnen war die ÖTV zuständig, da bin ich von der damaligen GdED (Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands) zur ÖTV gewechselt. Ich wurde schnell Betriebsratsvorsitzender bei der SKB, 1991 hat mich die ÖTV dann abgeworben und ich wurde hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär.

Ihr Büro war in Siegen, dennoch hatten sie stets auch den Kreis Olpe zu betreuen. Was ist anders an der Gewerkschaftsarbeit dies- und jenseits des Kölschen Hecks?

Zum einen muss ich mich mit großem Dank an die Kollegen in Olpe wenden. Zuerst Georg Keppeler, dann André Arenz von der IG Metall waren immer großartige Kooperationspartner, für die die Gewerkschaftsarbeit nie am Berufsbild endete. Wenn ein „Verdi“-Mitglied bei der IG Metall in Olpe vorgesprochen hat, dann wurde geholfen. Genauso haben wir das umgekehrt gemacht: „Nicht zuständig“ gab es für mich nie. Dann war es aber in der Tat so, dass für mich im Kreis Olpe manches einfacher war als im Siegerland. Wenn ich zum Beispiel an die Gespräche mit den Bürgermeistern über die verkaufsoffenen Sonntage denke, wir haben uns mit allen stets auf Augenhöhe unterhalten und alles ohne Klage hinbekommen. Oder als damals die VWS verkauft wurden: Der Siegener Landrat Paul Breuer empfing uns bei der Unterschriftenüberreichung zum ersten Bürgerbegehren des Kreises mit seinem ganzen Stab – bei Frank Beckehoff in Olpe hieß es „Setzen Sie sich schon mal, da steht der Kaffee, ich komme gleich“. Er kam allein und war bestens im Thema. Das war für mich ein erlebtes Beispiel für den teils deutlichen Unterschied im Kommunikationsverhalten in der Kommunalpolitik in den beiden Kreisen.

Der VWS-Verkauf war auch im Kreis Olpe ein Großeinsatz für „Verdi“ . Erinnern Sie sich an weitere?

Da war allem voran der Verkauf des Attendorner Krankenhauses, der Wechsel von der Stadt zur Rhön Kliniken AG. Da wurde hart gekämpft, mit Streik auf der einen und Aussperrung auf der anderen Seite. In der Sache ging es im Wesentlichen darum, dass „Rhön“ (heute Helios) von der 38,5- auf die 40-Stunden-Woche wechseln wollte. Dann gab es die Sache mit dem Hotel Löwenzahn in Kirchhundem, das der Kolping-Verband auflöste. Da hatte ich erstmals Kontakt mit Christoph Becker, damals noch bei Kolping, der dann Caritas-Chef im Kreis Olpe wurde und bei dem ich sehr schätze, dass wir auch hier Konflikte nicht direkt beim Arbeitsgericht ausgetragen, sondern meist im Gespräch geklärt haben. Ich glaube, das ist vielleicht eine katholische Besonderheit: Man nimmt das Telefon und spricht, um eine Schlichtung hinzubekommen, anstatt dasselbe bei Gericht zu versuchen, das ja letztlich auch nur versucht, eine gütliche Einigung zu erreichen.

Gibt es auch Besonderheiten im Kreis Olpe, die Ihnen weniger gefallen?

Das ist vor allem die fehlende Tarifbindung im Einzelhandel. Da gibt es jede Menge betriebsratslose Märkte, für mich immer ein Grund, die Allgemeinverbindlichkeit des Einzelhandelstarifs zu verlangen. Und das müsste auch für den Online-Handel gelten, das hat mit Chancengleichheit zu tun. Letztlich hat es zwar der Kunde in der Hand, aber ich finde, hier ist schon lange die Politik gefordert, die Wettbewerbsverzerrung zu regulieren.

Von ÖTV zu „Verdi“, von Siegen/Olpe zu Südwestfalen – die Struktur Ihrer Gewerkschaft hat sich verändert. Auch die Arbeit?

Und wie. Anfangs wurden die Mitglieder in einer „Zettelwirtschaft“ analog verwaltet, heute ist alles hochprofessionell digital geführt. Aber es ist auch ein Stück unpersönlicher geworden. Dadurch sind wir aber auch schlagkräftiger geworden: Hatten früher die Gewerkschaftssekretäre alles zu erledigen, kümmert sich heute bei rechtlichen Fragen das entsprechende Team, und das Mitglied hat praktisch schon am nächsten Tag eine Rückmeldung. Wenn fünf Gewerkschaften, die zusammen 1000 Berufe umfassen, sich zusammentun, ist es normal, dass sich da auch Strukturen und Abläufe verändern müssen. Nach wie vor sehr schwer ist es, neue Betriebe zu erschließen. Bei zum Beispiel den Verwaltungsleuten ist es ein sehr mühsames Überzeugen und bei den Erzieherinnen und Erziehern noch viel mehr, zumindest im Kreis Olpe, wo die Kindergärten ja fast sämtlich in kirchlicher Hand sind, anders als im Siegerland, wo es doch ein paar kommunale Kindergärten gibt.

„Verdi“-Bezirksgeschäftsführer ist alles, aber kein 35-Stunden-Job. Was machen Sie mit Ihrer neugewonnenen Freizeit?

Ich nutze sie, um noch mehr als sonst Fahrrad zu fahren – analog, ohne Motor. Und ich reise: Nächstes Jahr geht es wieder ins Berner Oberland, Eisenbahnen gucken. Ich habe ein Deutschland-Ticket, das ich nutze, um samt Fahrrad andere Gegenden zu erkunden. Weiterhin singe ich im Männergesangverein. Und ich habe das Dachgeschoss meines Hauses ausgebaut für meine Modellbahnanlage.

Also doch Lokomotivführer geworden?

Ja, und zwar so, dass manche es verrückt nennen. Ich besitze etliche Triebfahrzeuge, zig Personen- und Güterwagen. Die noch im Aufbau befindliche Anlage hat eine Grundfläche von 8,20 mal 5,60 Meter, und eine komplette Befahrung dauert sieben Minuten.

Jürgen Weiskirch, 64 Jahre alt, geboren in Siegen, lebt in Eiserfeld, ist verheiratet und Vater eines Sohnes. Der gelernte Eisenbahner wurde hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär und ist nun Rentner. Seine Nachfolge bei „Verdi“ in Siegen hat Michael Schnippering angetreten.

Zug oder Flugzeug?
Zug.

Fußball oder Handball?
Handball – ich habe lange selbst gespielt und war dann Schiedsrichter bis 2009, da hat mir dann meine Frau die gelb-rote Karte gezeigt, weil sie mich irgendwann auch mal zu Hause haben wollte.

Bier oder Wein?
Bier.

Krombacher oder Erzquell?
Erzquell.

Radfahren oder Wandern?
Radfahren.