Altenhundem. Gespendete Drahtesel werden im Keller des ehemaligen Textilhauses Tobüren fitgemacht und an Bedürftige abgegeben. Drei Männer machen es möglich.

Kahle Wände, nackter Beton, ein Hintereingang, der nur durch eine Art Schleichweg zu erreichen ist – nein, ein schicker Fahrradladen sieht anders aus. Der Andrang aber, den Franz Bender, Helmut Meyer und Andreas Schulte in der Öffnungszeit ihrer „Fahrradwerkstatt“ erleben, den würde sich mancher Händler sicher wünschen. Quasi im Minutentakt melden sich Interessenten, die eines der rund 40 Fahrräder erwerben möchten, die im Keller des einstigen Modehauses Tobüren in Altenhundem aufgereiht stehen. Kein Wunder: Die Preise sind niedrig – mal wandern fünf, mal 30 Euro in die Kasse der drei gestandenen Männer. Ganz häufig gehen die Räder auch kostenlos weg. Helmut Meyer: „Wir sind übereingekommen, dass Kriegsflüchtlinge nichts bezahlen müssen.“ Grundsätzlich haben nur Menschen Anspruch auf die Räder, die ihre Bedürftigkeit nachweisen können. Arbeitslose und Flüchtlinge beispielsweise. Aber auch ganze Wohngruppen von Sozialeinrichtungen wurden schon von der „Fahrradwerkstatt“ mit Zweirädern ausgestattet.

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Das alles lässt sich nur realisieren, weil die drei technisch begabten Ruheständler für Gotteslohn arbeiten. Ihre „Fahrradwerkstatt“ ist Teil der Ehrenamts-Initiative in Lennestadt, die unter der Abkürzung „EiL“ zahlreiche Projekte betreut.

Ape als Fahrradtransporter

Gegründet wurde die „Fahrradwerkstatt“ im Jahr 2015. Vom ersten Tag an mit dabei: Franz Bender. Er ist auch „Spediteur“ der Initiative. Denn das Material, das die drei Schrauber herrichten, verkehrstauglich machen und reparieren, sind ausschließlich gebrauchte Fahrräder, die den Ehrenamtlern kostenlos überlassen werden. Und wenn die Eigentümer keine andere Möglichkeit haben, ihre ausgedienten, ungenutzten oder überflüssig gewordenen „Drahtesel“ ins Tobüren-Haus zu bringen, dann wirft Franz Bender seine Ape an – ein feuerrotes italienisches Dreirad, das mit klöterndem Zweitaktmotor vielen Italien-Urlaubern als Pizza-Taxi oder universelles Transportmittel italienischer Handwerker bekannt ist und dank Kastenaufbau viel Platz für Fahrradtransporte bietet. Die geschenkten Räder werden aufgearbeitet und verkehrssicher hergerichtet. Damit das möglich ist, brauchen die drei Ersatzteile. „Ganz oft bekommen wir Räder, die jahrelang im Keller gestanden haben. Die Rahmen sind wie neu, aber die Technik muss überarbeitet werden. Und die Reifen altern einfach, auch wenn sie nicht benutzt werden, die müssen dann erneuert werden“, berichtet Helmut Meyer. Repariert werden in der Werkstatt aber nur die Räder, die als Spenden in den Verkauf gehen bzw. die gespendet werden. „Wir reparieren nicht in Konkurrenz zum Fachhandel“, macht Helmut Meyer klar.

Viele Flüchtlinge aus der Ukraine gehören zu den Kunden der „Fahrradwerkstatt“. Die drei Männer freuen sich über die Wirkung, die sie mit ihrer Arbeit erzielen: „Gerade die Kinder freuen sich riesig, wenn sie ein passendes Rad finden. Wir haben hier mehrfach die Woche Weihnachten“, umschreibt es Helmut Meyer. Auch wenn insbesondere Kinder häufig unverrichteter Dinge wieder gehen müssen: „Wir könnten viel mehr Räder loswerden als wir haben“, erklärt Andreas Schulte. Insbesondere bei Kinder- und Jugendrädern sei das Angebot knapp. Fahrradspenden sind daher jederzeit willkommen. „Wir nehmen alles“, fasst Helmut Meyer zusammen. Auch wenn nicht alle Räder in Altenhundem in die Abgabe wandern. „Wir hatten neulich einen beträchtlichen Posten von 30 Jahre alten, eigentlich werksneuen Kinderrädern ohne Gangschaltung“, erinnert sich Franz Bender. Die Räder wurden aufgearbeitet und via Berlin mit einem Spendentransport nach Syrien gebracht. „Die wurden mit riesiger Dankbarkeit angenommen. Sie sind in eine Gegen gekommen, in der man auch ohne Gangschaltung radfahren kann. Die Räder werden dort den Kindern als Belohnung beispielsweise für gute schulische Leistungen übergeben“, so Bender.

Mithelfer gesucht

Was außer Rädern noch gesucht wird: Helferinnnen oder Helfer. Ein Spätaussiedler aus Kirgistan schaut regelmäßig vorbei und packt mit an, aber ansonsten sind die drei Werkstatt-Profis unter sich. Sie würden sich freuen, weitere Verstärkung zu bekommen. Denn außer dem Annehmen der Räder und dem Aufarbeiten und Reparieren nehmen sie sich Zeit, ihren Kunden bei der Auswahl zu helfen. „Gerade bei Kindern und Jugendlichen muss das Rad passen“, so Helmut Meyer. Nach der Sitzprobe und dem eventuellen Wechsel des Sattels gegen ein passenderes Exemplar ist eine kurze Probefahrt obligatorisch – und am Ende ein Foto von Rad und neuem Besitzer, um den Besitzerwechsel zu dokumentieren.

2020 gingen 65 Räder weg, die Zahlen steigen ständig. In diesem Jahr waren es bisher schon 245 Räder. Gelegentlich werden der „Fahrradwerkstatt“ auch Exemplare gespendet, die nicht in den Verkauf gehen. Da war beispielsweise ein echter Oldtimer: ein Rad, so alt, dass es vorn noch über eine sogenannte Stempelbremse verfügte: Ein Hebel drückt ein Lederkissen von oben auf die Lauffläche des Rades. Dieses Rad steht heute in einem Museum in Norddeutschland. Ein anderes Mal spendete ein älteres Ehepaar zwei wertvolle, auf ihre Körpergröße handgefertigte italienische Rennräder. „Die haben wir nach Absprache mit den Spendern über Kleinanzeigen verkauft, die sind heute in Sammlerhand und für das Geld konnten wir jede Menge Ersatzteile anschaffen“, so Franz Bender. „Eigentlich nehmen wir alles – außer E-Bikes.“ Denn mit der Elektrotechnik wollen sich die Ehrenamtler nicht befassen, auch ist bei älteren Modellen fast immer der Akku hinüber, was eine Aufarbeitung wirtschaftlich unmöglich macht.

Geöffnet ist die „Fahrradwerkstatt“ an der Helmut-Kumpf-Straße genau gegenüber der Sauerlandhalle von Februar bis Anfang Dezember dienstags und donnerstags von 14 bis 16 Uhr. In dieser Zeit werden Räder abgegeben und Fahrradspenden angenommen. Der etwas versteckte Zugang führt links am Gebäude vorbei. Allerdings ist am Haupteingang auch eine eigene Klingel angebracht, nach deren Betätigung zu den Öffnungszeiten holt ein Mitarbeiter der „Fahrradwerkstatt“ die Interessenten ab. Kontakt zur „Fahrradwerkstatt“ ist möglich über das städtische Servicebüro „Hanah“ (hanah@lennestadt.de), Tel. (02723) 608-220.