Kreis Olpe. Die Apotheker im Kreis Olpe streiken. Aus Protest schließen sie am 14. Juni. Drei Apotheken haben heute Notdienst.

Die Apotheker und Apothekerinnen im Kreis Olpe gehen auf die Barrikaden. Am Mittwoch, 14. Juni, bleiben die Apotheken geschlossen. Die Pharmazeuten protestieren damit gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Zudem gibt es an dem Tag Protestmärsche in Dortmund, Münster und Düsseldorf. Es geht um massive Lieferengpässe, lahmende Bürokratie und eine defizitäre Vergütung, begründen die Apotheken den Protesttag. Wir sprachen mit Ulf Ullenboom, Vorsitzender der Bezirksgruppe Olpe des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe, Kreisvertrauensapotheker der Apothekerkammer Westfalen-Lippe für den Kreis Olpe und Inhaber der Apotheke am Markt in Olpe.

Notdienst haben heute im Kreis Olpe folgende Apotheken:

  • Franziskus-Apotheke, Kurfürst-Heinrich-Str., 757462 Olpe.
  • Apotheke Schwalbenohl, Lübecker Str. 10, 57439 Attendorn.
  • Bahnhof-Apotheke, Marktplatz 5 57368, Lennestadt.

Ist das Maß für die Apotheker jetzt endgültig voll?

Ja, das Maß ist voll. Die enormen Lieferengpässe belasten die Patienten und Apothekenteams seit Jahren. Mittlerweile hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Hinzu kommt eine überbordende Bürokratie, die stete Sorge der Apotheken, bei kleinsten Formfehlern von den Krankenkassen in Regress genommen zu werden und nicht einmal den Warenwert der abgegebenen Arzneimittel erstattet zu bekommen. Und last but not least eine Vergütung, die inzwischen pro Rezept defizitär ist, weil sie in den vergangenen 20 Jahren nur ein einziges Mal geringfügig erhöht worden ist. Im Februar dieses Jahres hat man uns das Honorar sogar noch gekürzt. So dankt uns die Politik unsere Leistungen in der Pandemie und bei der Bewältigung der Lieferengpässe. Das Maß ist definitiv voll.

Was ist Sinn und Zweck für die Schließung der Apotheken am 14. Juni?

Viele Apothekerinnen und Apotheker, wie auch unsere Berufsorganisationen in Berlin und Münster, haben in den vergangenen Monaten Gespräche mit Politikern geführt. Ich selbst auch. Wir haben auf die massiven Probleme hingewiesen, die unsere Arbeit – die ordnungsgemäße Versorgung der Bürgerinnen und Bürger – massiv gefährden. Doch es passiert nichts! Deshalb müssen wir jetzt ein klares Zeichen setzen. Wir schließen die Apotheken nicht leichtfertig. Wir sehen aber keine andere Möglichkeit, dies am Protesttag zu tun. Denn wenn alles so weiter geht, schließen die Apotheken auch – dann allerdings für immer. Die Rückmeldungen der Kolleginnen und Kollegen zeigen uns, dass die Beteiligung am Protesttag in vielen Kreisen und Kommunen bei nahezu 100 Prozent liegen wird, auch bei uns im Kreis Olpe. So etwas hat es noch nie gegeben. Das zeigt, wie angespannt die Stimmung in den Apothekenteams ist.

Glauben Sie, dass die Kundinnen und Kunden dafür Verständnis haben?

Wir informieren seit Tagen bereits unsere Patientinnen und Patienten über den Protesttag und erfahren viel Verständnis und Unterstützung. Sie schätzen unsere Leistungen und wollen nicht auf die persönliche Vor-Ort-Versorgung in Pantoffelnähe verzichten. Die Bürger wissen: Wir protestieren auch für sie, denn sie sind die Hauptleidtragenden, wenn Arzneimittel knapp werden – und künftig auch Apotheken.

Was ist am 14. Juni in Notfällen?

In akuten Fällen ist die Versorgung - wie an jedem Sonn- und Feiertag auch - über die Notdienstapotheken gesichert. Wir empfehlen den Patientinnen und Patienten allerdings, ihre planbare Medikation bereits an den Vortagen in ihrer Apotheke abzuholen.

Was werfen Sie der Bundesregierung vor?

Mangelnde Wertschätzung der Leistungen unserer Apothekenteams, Beratungsresistenz und fehlende Perspektive. Gerade vom Bundesgesundheitsminister fühlen wir uns nicht wahrgenommen. Die letzten Bundesregierungen sind verantwortlich für eine zunehmende Bagatellisierung der Apothekenpflicht. So drängen mittlerweile Gesellschaften als Versandhändler in den deutschen Apothekenmarkt und picken sich als reine Logistikunternehmen mit geringen Lohnkosten die Rosinen aus dem Kuchen. Fairer Wettbewerb sieht anders aus.

Wer hat Schuld an den aktuell zunehmenden Lieferengpässen?

Das Problem ist hausgemacht und am Ende auf Sparmaßnahmen auf Bundesebene zurückzuführen – damals eingeführt von SPD-Ministerin Ulla Schmidt, unter Beteiligung des heutigen Ministers Lauterbach. Aus Kostengründen muss die Produktion der Wirkstoffe von den Herstellern nach Fernost ausgelagert werden. Exklusive Rabattverträge der Krankenkassen mit einzelnen Herstellern führen zu Konzentrationsprozessen. Wenn dann bei einem Hersteller oder irgendwo in der Lieferkette Probleme auftreten, dann bleiben die Schubladen in den Apotheken leer. Die Corona-Pandemie ab März 2020, der Ukraine-Krieg ab Februar 2022 sowie starke Erkrankungswellen seit Herbst 2022 haben die Versorgungssituation durch erhöhte Nachfrage verschärft. Auch die globalen Produktionsstätten und Lieferketten werden durch die Krisen beeinträchtigt. Und die Politik hat viel zu lange gezögert, diese Probleme, auf die wir seit Jahren bereits hinweisen, anzugehen.

Wird die Situation bei der Versorgung mit Medikamenten immer bedrohlicher?

Ja, das Problem der Lieferengpässe spitzt sich seit Jahren zu. Dass mittlerweile Antibiotika massiv betroffen sind und Kinderärzte in diesem Winter oftmals nur Antibiotika zweiter oder dritter Wahl oder gar Reserveantibiotika verordnen konnten, ist ein Indiz, dass die Lage in der Tat bedrohlicher wird. Dass wir auch Engpässe bei einigen Insulinen verzeichnen, ebenso.

Was ist das schlimmste Problem, das derzeit unter den Nägeln brennt?

Es brennt an allen Ecken und Enden.

Was muss sich kurzfristig und auf längere Sicht ändern?

Wir müssen natürlich die Produktion von Arzneimitteln nach Europa zurückholen. Bei Ausschreibungen von Rabattverträgen durch die Krankenkassen darf nicht allein der Preis ausschlaggebend sein. Und aus Apothekensicht: Wir brauchen in den Apotheken vor Ort die Handlungsfreiheit, im Falle von Lieferengpässen reagieren zu können – so wie in der Corona-Pandemie auch. Hier muss das geplante Engpässe-Gesetz dringend nachgebessert werden. Wir müssen zudem in den Apotheken vor ungerechtfertigten Regressen und Strafzahlungen der Krankenkassen geschützt und vor unsinniger Bürokratie entlastet werden. Zudem brauchen wir eine faire Vergütung.

Im Kreis Olpe haben in den vergangenen Jahren einige Apotheken geschlossen. Was waren die Gründe dafür?

Hauptgrund ist, dass wir keine Nachfolger finden. Ein Drittel der Apothekeninhaber in Westfalen-Lippe ist älter als 60 Jahre und geht in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Es gibt aber immer weniger junge Menschen, die sich mit einer Apotheke selbstständig machen wollen. Auch deshalb brauchen wir bessere und verlässliche Rahmenbedingungen, und vor allem eine Perspektive. Dazu müsste die Politik endlich mal sagen, wohin die Reise mit den Vorort-Apotheken geht. Der enorme Fachkräftemangel ist ein weiterer Grund. Viele Kollegen finden einfach keine Mitarbeiter mehr.

Sie sagen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Apotheken zunehmend verschlechtern. Was bedeutet das konkret?

Das habe ich eingangs bereits erwähnt: der Bürokratie-Irrsinn, ungerechtfertigte Regressforderungen der Kassen sowie eine trotz steigender Kosten und Inflation seit Jahrzehnten nicht mehr erhöhte, sondern nun sogar gekürzte Vergütung.

Es wird auch protestiert, weil die Vergütung für die Apotheker immer defizitärer wird. Besteht die Gefahr, dass Apotheken bald rote Zahlen schreiben?

Wir zahlen aktuell bereits pro Rezept, das ein gesetzlich versicherter Patient einlöst, 27 Cent drauf. Das hat eine Analyse der Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover ergeben. Aktuell wird dies noch quersubventioniert, der Minus-Betrag soll aber im Laufe dieses Jahres auf 1 Euro steigen.

Was muss sich in Sachen Bürokratie ändern?

Da weiß ich ja gar nicht, wo ich anfangen soll. Ein Beispiel: Wenn Apotheken Hilfsmittel wie Inkontinenzprodukte; Kompressionsstümpfe und Bandagen abgeben wollen, müssen sie sich „präqualifizieren“. Das ist ein sehr zeitaufwendiges Verfahren. Und damit ist es noch nicht getan, alle paar Jahre müssen sie sich „repräqualifizieren“. All diese Nachweise, die dabei vorzulegen sind, haben die Apotheken jedoch bereits erbringen müssen, um überhaupt eine Apothekenbetriebserlaubnis zu bekommen. Sie unterliegen zudem der regelmäßigen Überwachung durch die zuständigen Behörden. Darüber hinaus erwerben Apotheker im Rahmen ihres Studiums sowie der sich daran anschließenden Praxisphase umfassende Kenntnisse von Hilfsmitteln und anderen Medizinprodukten. Ein zusätzliches Präqualifizierungsverfahren ist also doppelter bürokratischer Aufwand, der unnötige Kosten verursacht und Personalressourcen und Zeit raubt. Zeit, in der ich lieber für die Patientinnen und Patienten da bin und sie berate.

Sie sind schon lange dabei. Beschreiben Sie bitte mal den Unterschied des Apothekers von früher mit dem von heute.

Es gab einmal den „Pillendreher“, dann den „Schubladenzieher“. Früher standen die reine Herstellung und Abgabe von Arzneimitteln im Mittelpunkt. Heute gewinnen dank der immer besser werdenden Ausbildung die Beratung in allen Fragen rund um die Arzneimittel und die Gesundheit an Bedeutung. Und es gibt neue positive Entwicklungen: Wir Apotheker dürfen mittlerweile gegen Grippe und Corona impfen. Und wir können pharmazeutische Dienstleistungen anbieten wie das Messen des Blutdrucks, Inhalations-Schulungen sowie die Beratung von Polymedikations-Patienten, also der Menschen, die fünf und mehr Arzneimittel einnehmen müssen. Das alles sind wichtige Präventionsangebote, mit denen wir einen wichtigen Beitrag leisten können, die Gesundheitsversorgung der Menschen weiter zu verbessern. Das tut gut.

Nehmen Sie am 14. Juni auch an einem Protestmarsch teil?

Ja, auch ich werde mit meinem Team protestieren und meine Apotheke schließen – so wie nahezu 100 Prozent aller Apotheken im Kreis Olpe. Wir werden uns vermutlich einem der geplanten Protestmärsche anschließen.

Wenn Sie in der aktuellen Situation drei Wünsche frei hätten? Welche wären das?

Die Wertschätzung und die Anerkennung unserer Leistungen durch die Politik, eine nachhaltige Stärkung der Vorort-Apotheken und die Bewahrung der Apothekenpflicht durch Einschränkung des Versandhandels für Arzneimittel.