Kreis Olpe. Fast alle Wohnungen der Wohnungsgenossenschaft im Kreis Olpe werden mit Gas beheizt. Das soll sich ändern. Der Ausstieg hat Folgen.
Stefan Kriegeskotte, hauptamtliches Vorstandsmitglied der Wohnungsgenossenschaft im Kreis Olpe (WGO), will den Kopf nicht in den Sand stecken. Der gelernte Immobilienkaufmann zwingt sich sozusagen in eine optimistische Grundhaltung, wenn er mit Blick auf die Wohnungsbaubranche in Deutschland sagt: „Wir können und werden nicht in Untätigkeit verfallen.“
Angesicht der grün motivierten klimapolitischen Forderung, absehbar auf Gas- und Ölheizungen zu verzichten, räumt er aber auch ein: „Ich hoffe, dass in einer noch unbekannten Weise etwas auf den Markt kommt, das älteren Gebäuden eine Perspektive gibt.“ Das sagt Kriegeskotte nicht ohne Grund: Denn der Großteil des Wohnungsbestandes der WGO wird mit eben diesen Gas- und Ölheizungen betrieben.
+++ Lesen Sie hier: Unschlagbar – Im Biergarten Diehlberg gibt es 0,5 Liter Krombacher für 2 Euro +++
Um eine Vorstellung von der Größenordnung zu bekommen, hat Kriegeskotte Zahlen parat: „Wir haben 1911 Wohnungen im Kreis Olpe, bieten damit fast 120.000 Quadratmeter Wohnraum, und der größte Bestand stammt aus den 50er- bis 80er-Jahren. Diese Gebäude werden zu etwa 95 Prozent mit Gaszentral- oder Gas-Etagenanlagen beheizt.“
Nicht in allen Gebäuden umsetzbar
Auf die Frage, ob er des Nachts überhaupt noch in den Schlaf finde, angesichts der erwartbaren Kostenlawine, die eine Umrüstung auslösen würde, zeigt sich Kriegeskotte aber kämpferisch: „Schlaflose Nächte lasse ich nicht zu. Völlig klar ist, dass wir die nötigen Investitionen nicht an allen unseren Gebäuden umsetzen können. Wir werden insbesondere unsere ältesten Häuser, die noch aus den 40er-Jahren stammen, vermutlich irgendwann zurückbauen müssen.“ Im Klartext: Abriss statt Sanierung. „Irgendwann hat alles sein Betriebsende. Das gilt für ein Wohngebäude wie für ein Auto“, sagt der Kaufmann.
Ganz wichtig ist dem WGO-Vorstand, den Mietern keine Panik zu machen. Die Mieten würden zwar steigen, aber nicht ins Unermessliche. Die WGO verfalle jetzt aber auch nicht in Schockstarre, im Gegenteil: „Wir werden absehbar sämtliche Bestände besichtigen und eine Klima-Strategie entwickeln.“ Der Einstieg in klimafreundliche Investitionen habe bereits begonnen.
Als Beispiel nennt Kriegeskotte die WGO-Häuserreihe in der Dortmunder Straße in Attendorn. Die 21 Wohnungen würden blockweise mit Hybridheizungen ausgestattet. Gas spiele weiter eine Rolle, aber im Zusammenspiel mit Wärmepumpen und Photovoltaik. Dazu Wärmedämmmaßnahmen im Bereich der Dächer und Fenster. Kostenpunkt: Zwischen 1300 und 1500 Euro pro Quadratmeter. Gesamtinvestition nur für diese Sanierung: Rund 2 Millionen Euro. „Selbst, wenn wir das alles gemacht haben, werden die Gebäude immer noch nicht den Standard eines sogenannten Effizienzhauses erfülle“, fügt Kriegeskotte hinzu.
Trotz der Millioneninvestition wolle die WGO die Mieten nicht explodieren lassen. Die Miete müsse zwar angehoben werden, aber in einem verträglichen Maß: „Nach der Sanierung dürfte sich das Niveau noch knapp unter 6 Euro pro Quadratmeter bewegen und damit deutlich unter dem Durchschnitt in der Stadt Olpe. An der Entscheidung beteiligt seien dabei der Vorstand in Abstimmung mit dem zwölfköpfigen Aufsichtsrat.
3,4 Millionen am Hatzenberg
Ähnlich sieht es am Hatzenberg in Olpe aus, wo die WGO im Pfarrer-Ermert-Weg grundlegend zu Werke gehen will. Zahlen: Vier Gebäude, 24 Wohnungen, rund 1850 Quadratmeter Wohnfläche. Investitionsvolumen: rund 3,4 Millionen Euro. Miete aktuell: 4,90 Euro kalt, nach der Baumaßnahme: 6 Euro kalt. Da der Effizienzhaus-Standard erreicht wird, fließen Fördermittel laut der aktuellen NRW-Wohnraumförderrichtlinien. Kriegeskotte: „Ohne die Fördermittel wäre das nicht zu machen.“ Eine Förderquote von etwa 20 Prozent sei realistisch. Somit also rund 700.000 Euro. Zielsetzung auch im Pfarrer-Ermert-Weg: Weitgehende Unabhängigkeit von Gas und Öl, mit Wärmepumpen und Photovoltaik plus Wärmedämmmaßnahmen.
Hochgerechnet auf den gesamten Wohnungsbestand im Kreis Olpe käme eine theoretische Gesamt-Investitionssumme von fast 200 Millionen Euro auf die WGO zu, rechne ich dem WGO-Kaufmann während unseres Gespräches vor. Doch diese Summe will Kriegeskotte nicht gelten lassen: „Wir werden sicher nicht sämtliche Gebäude in dieser Form sanieren können und wollen.“ Zudem müsse man Stück für Stück vorgehen. Und niemand wisse, wie sich der bautechnische Fortschritt entwickle: „Ich war kürzlich auf einer Haustechnikmesse in Frankfurt und beeindruckt, wie schnell sich die Industrie in diesem Sektor entwickelt.“
Geteiltes Leid ist halbes Leid
Ein wenig Mut schöpfe er auch bei Treffen der Wohnungsbaubranche: „Wenn man so will, ist da geteiltes Leid halbes Leid. Alle haben die gleichen Probleme und suchen Lösungen.“ Überall gleich: „Die Mieten werden steigen, auch bei uns. Mitte des Jahres, sicherlich etwa fünf bis zehn Prozent.“ Kalkuliert man das jährliche Investitionsvolumen und die Instandhaltungskosten, ist das nachvollziehbar, wie der Kaufmann vorrechnet: „Wir gehen von jährlich rund 3 Millionen Euro für Investitionen aus, sowie von rund 2,3 bis 5,3 Millionen Euro für die Instandhaltung. Umgelegt auf unseren Wohnungsbestand wären das rund 44 Euro pro Quadratmeter.“
Stimmen aus der Wohnungsbaubranche:
Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen: „Nach wie vor gibt es keine konsistente, umsetzbare Klimapolitik. Die Wohnungswirtschaft wird weiter zwischen Klimazielen und bezahlbarem Wohnraum aufgerieben.“
Christof Gerhard, Bauprojektierer aus Olpe: „Der demografische Wandel verlangt derzeit vor allem Wohnungen von 55 bis 75 Quadratmetern. Da es dafür aber keine geeignete öffentliche Förderung gibt, ist es für Investoren uninteressant, den dringend erforderlichen Wohnraum zu schaffen. Rentable Mieten, die für solche Projekte erhoben werden müssten, lägen zwischen 10 und 12 Euro, je nach Ausbaustandard. Laut einer ortsansässigen Bank sind private Anfragen für Baufinanzierungen im Vergleich zu 2021 um rund 70 Prozent eingebrochen.“
Lothar Sabisch, Bauunternehmer aus Oberveischede: Viele Faktoren kommen zusammen, die das Bauen für alle Bauwilligen schwieriger machen. Neben gestiegenen Zinsen und Baukosten auch die seit 20 Jahren Schritt für Schritt gestiegenen Anforderungen an den Wärmeschutz, die auch zum heutigen Preisniveau beigetragen haben. Deshalb ist die Nachfrage gering. Das angestrebte Volumen, Bestandsbauten mit 65 Prozent erneuerbaren Energien zu heizen, wird so nicht machbar sein. Allein, weil die Fachkräfte fehlen.
Ich glaube nicht, dass es so umgesetzt wird wie angedacht. Für eine positivere Perspektive im Baugewerbe wird es eine neue öffentliche Förderung geben müssen. Zudem wird die Wohnfläche pro Kopf abnehmen müssen. Andernfalls sind die Mieten nicht mehr bezahlbar. Das Materialpreisniveau wird nicht sinken, das Lohnniveau nicht, und an die Wiederkehr des Zinsniveaus von 1 Prozent glaube ich auch nicht. Und die nächste Verschärfung für den Wärmeschutz ist schon geplant für den 1. Januar 2025. Fazit: Der Staat tut alles dafür, dass die Baukosten noch einmal zulegen.“
Michael Poggel, stellv. Kreis-Innungsmeister der Sanitär- und Heizungsbranche aus Finnentrop: „Die Heizungsbranche arbeitet derzeit unter Hochdruck. Häufig sind Hausbesitzer verunsichert und haben großen Informationsbedarf, dem wir kaum nachkommen können. Die Politiker, die für solche Gesetzentwürfe zuständig sind, sollten beantworten, wie so etwas umsetzbar sein soll, angesichts eines chronischen Fachkräftemangels, Materialengpässen und Lieferschwierigkeiten. Diese Lieferzeiten sind trotz Kapazitätserweiterungen seitens der Industrie immer noch immens. Handwerksbetriebe warten unter anderem auf Wärmepumpen bis zu einem Jahr und länger. Selbst Kunden, die dieses Gesetz umgehen und in 2023 noch eine Ölheizung einbauen lassen wollen, müssen wir mittlerweile mit Blick auf solche Lieferzeiten vertrösten. Es ist und bleibt turbulent.“