Olpe/Siegen. Die Zukunftserwartungen der Unternehmen sind so schlecht wie nie. Das Zusammenspiel aus Klimakrise, Ukrainekrieg und Corona schlägt vereint zu.

Anders als „dramatisch“ kann das nicht beschrieben werden, was Präsident Walter Viegener sowie Klaus Fenster und Stephan Häger von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen am Montag in der IHK-Geschäftsstelle Olpe zu berichten hatten. Denn so gern die IHK eigentlich Rekordwerte verkündet, so ungern sind es Negativrekorde, und die purzeln derzeit hinsichtlich der Konjunktur-Umfrage gerade wie Kegel. Und das verteilt über alle Branchen, ob Industrie, Handwerk, Handel oder Gastronomie.

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Seit über 30 Jahren blickt die IHK regelmäßig mit derartigen Umfragen auf ihre Mitgliedsunternehmen, und „nie zuvor brach das Konjunkturklima der regionalen Wirtschaft innerhalb eines Jahres so drastisch ein“, so das Fazit. Denn das Zusammenspiel des russischen Angriffs auf die Ukraine und seiner Folgen auf Rohstoff- und Energiepreise, der Klimakrise und ihrer Folgen und die weiterhin andauernde Corona-Pandemie erweisen sich als teuflisches Trio.

„Alle Zeichen stehen auf Rezession“ ist das nüchterne Fazit von IHK-Präsident Viegener. 522 Unternehmen mit mehr als 38.000 Beschäftigten aus Industrie, Bauwirtschaft, Handel und Dienstleistung in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe wurden befragt, die Rücklaufquote war hoch. „Die Lage ist ernst und für zahlreiche Unternehmen existenzbedrohend. Wir brauchen jetzt schnelle, konsequente, zielgerichtete und mutige Entscheidungen der Politik – und nicht nur Ankündigungen. Ansonsten werden die kommenden Monate äußerst schmerzhaft“, ist das Fazit des Attendorner Unternehmers.

Index stürzt um 28 Punkte ab

Die Firmen werden einerseits über ihre Lage, andererseits über ihre Erwartungen befragt. Dies wird zum Konjunkturklimaindex zusammengezogen. Und dieser Wert ist um 28 Punkte auf einen Wert von 68 abgestürzt. Die schlechtesten Prognosen kommen aus dem Einzelhandel sowie dem Bau- und dem Gastgewerbe. Lediglich 5 Prozent der Unternehmen aus Siegen-Wittgenstein und Olpe bezeichnen ihre Erwartungen an die Zukunft als „optimistisch“, ganze 59 Prozent sind zum Teil äußerst pessimistisch.

Ganz vorn in der Reihe der Probleme stehen die Energie- und Rohstoffpreise. Sie sind für 90 Prozent der Betriebe das größte Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung, mit deutlichem Abstand gefolgt von der Befürchtung einer rückläufigen Inlandsnachfrage (70 Prozent) und steigenden Arbeitskosten (58 Prozent). Stellv. IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Fenster: „Beim Gas zeichnet sich eine Lösung ab, bei Strom und Öl allerdings nicht. Die Finanzlage der Unternehmen verschlechtert sich. Das Eigenkapital nimmt ab, die Liquiditätsengpässe nehmen zu. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem sich die Firmen die Frage stellen, ob es sich hier noch lohnt, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Pleiten oder Abwanderungen sind dann die logische Folge.“ Aktuell hätten bereits 12 Prozent der heimischen Industrieunternehmen mit Produktionsverlagerungen in Länder reagiert, in denen die Energieversorgung sicherer und die Preise erschwinglicher seien. Das ist aus Sicht der IHK mehr als besorgniserregend. Klaus Fenster: „Wer unsicher ist, investiert nicht. Wie will man eine Industrie dekarbonisieren, wenn ein Großteil der Unternehmen an der Rentierlichkeit seiner Investitionen zweifelt? Gerade in der gegenwärtigen Lage wären zusätzliche Investitionen bitter notwendig, zumal der Staat dabei ist, sich über beide Ohren zu verschulden.“

Obwohl die Produktionsauslastung der Industrie zwar zurückgeht, aber noch auf einem halbwegs passablen Niveau bleibt, trügt der Schein. Viegener: „Oftmals liegen die Gründe für die gute Auslastung und den ordentlichen Auftragsbestand in dem Auftragsstau, der sich in den letzten Monaten wegen der erheblichen Lieferengpässe aufgebaut hat. Diese Aufträge werden nun Stück für Stück abgearbeitet. Mit großer Sorge blicken wir jedoch auf den deutlich vernehmbaren Rückgang der Auftragseingänge.“

Pessimismus auf Rekordhoch

Die Zukunftsprognosen sinken in beiden Kreisen seit Jahresbeginn nahezu im Gleichschritt. Im Kreis Siegen-Wittgenstein mit seinem hohen Anteil an energieintensiven Unternehmen liegen sie allerdings auf einem noch niedrigeren Niveau. Klaus Fenster: „Der Pessimismus erreicht ein Rekordhoch. Selbst zu Beginn der Corona-Pandemie war der Blick in die Zukunft nicht so düster. Die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste ,Zeitenwende’ stellt etliche der bisher bestehenden Gewissheiten radikal in Frage. Unser Wohlstand wird sinken; darauf sollten wir uns einstellen.“ War in der Vergangenheit die Bauwirtschaft ein wichtiger konjunktureller Stabilisator, schlagen nun die hohen Preise, Materialknappheit und eine Bauzurückhaltung voll durch. Stephan Häger, Leiter des Referates Konjunktur, Arbeitsmarkt und Statistik: „Deutlich gestiegene Zinsen und die hohen Baukosten führen zu spürbar weniger Neuaufträgen. Es zeichnet sich ein deutlicher Abschwung ab. Der eklatante Fachkräftemangel tut ein Übriges.“

Von allen Branchen im IHK-Bezirk fällt im Einzelhandel die Beurteilung der Geschäftslage am schlechtesten aus. 17 Prozent der Händler bewerten ihre derzeitige Geschäftslage als gut, 32 Prozent als schlecht. Stephan Häger: „Die Stimmung im regionalen Einzelhandel ist schon fast depressiv. Die hohe Inflation führt zu einem erheblichen Kaufkraftverlust bei den Verbrauchern. Zudem weiß niemand, wie hoch die Energiekostenabrechnung im Winter ausfällt. Die Konsumenten halten daher vermehrt ihr Geld beisammen.“ Die Geschäftserwartungen sind besonders im Mode- und im Kfz-Handel pessimistisch.

Das Gastgewerbe ist die einzige Branche, in der sich die Geschäftslage in den vergangenen Monaten verbessert hat. 31 Prozent der an der Umfrage beteiligten Gastronomen bewerten ihre derzeitige Lage als gut, 23 Prozent als schlecht. Allerdings sind die Zukunftserwartungen äußerst düster. Die Stimmung in der regionalen Dienstleistungsbranche hat sich merklich eingetrübt. Sowohl die Lagebeurteilung als auch die Geschäftserwartungen verschlechterten sich deutlich. Besonders die personenbezogenen Dienstleister und das Verkehrsgewerbe befürchten schwere Zeiten.