Olpe. Rüdiger Barth, seit 20 Jahren Leiter des Kinder- und Jugendhospizes Balthasar, geht in den Ruhestand. Im Interview blickt er auch nach vorne.
Nach 20 Jahren als Leiter des Kinder- und Jugendhospizes Balthasar in Olpe geht Rüdiger Barth zum 1. Oktober in den Ruhestand. Wir fragten unter anderem, was den Siegerländer einst ins Sauerland verschlagen hat, was er erlebt hat und wie es um die Zukunft des Hospizes bestellt ist.
Frage: Herr Barth, wie sind Sie eigentlich zum Kinderhospiz gekommen?
Rüdiger Barth: Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung war ich bereits 20 Jahre in der Kinderklinik in Siegen tätig, habe dort 15 Jahre die Kinderintensivstation geleitet. Dann habe ich mich beworben, und es hat geklappt.
Was ist ihr erlernter Beruf?
Ich bin Kinderkrankenpfleger, hatte aber vor meinem Zivildienst schon eine Ausbildung zum Bankkaufmann abgeschlossen.
Wann genau haben Sie ihren Dienst hier angetreten?
Vor genau 20 Jahren.
Warum gehen Sie mit 62 Jahren in den Ruhestand?
Auch aus gesundheitlichen Gründen. Wir, also die GFO und ich, sind gemeinsam zur Ansicht gelangt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, den personellen Wechsel in der Leitung vorzunehmen.
Wer wird ihr Nachfolger?
Mein Kollege Roland Penz, der bereits seit fünf Jahren hier tätig ist, also kein Neuland betritt. Das ist auch gut so, da man eine gewisse Zeit braucht, den Kontakt zu Öffentlichkeit, Spendern und Eltern zu pflegen.
Kinderhospize finanzieren sich anders als beispielsweise Krankenhäuser oder Seniorenzentren. Was genau ist anders?
Kinderhospize waren bis 2017, was die gesetzlichen Rahmenbedingungen betraf, bei den Krankenkassen nicht vorgesehen.
Das heißt, Sie mussten ihren Aufwand zu 100 Prozent aus Spenden finanzieren?
Nein, aber es war immer ein Kampf, von Krankenkassen oder aus anderen Töpfen teilfinanziert zu werden. Seit 2017 gibt es eine Rahmenvereinbarung wie für Erwachsenen-Hospize. Und seitdem ist die Finanzierung durch die Kassen nicht mehr jedes Jahr oder alle zwei Jahre grundsätzlich neu zu verhandeln, sondern sie ist geklärt.
Wie hoch ist der Anteil?
Etwa 50 Prozent, die andere Hälfte müssen wir nach wie vor aus Spenden bestreiten.
Wie kommt es, dass die Krankenkassen nur 50 Prozent übernehmen?
Die gesamte Eltern- und Geschwisterbetreuung zahlen die Kassen nicht, weil die sagen, diese Menschen sind nicht krank. Wir sind aber der Meinung, dass die gesamte Familie Hilfe und Unterstützung braucht. Darunter fallen auch Angebote wie Musiktherapie. Um all das zu finanzieren, brauchen wir Spenden, die dann etwa 50 Prozent unseres Haushaltes ausmachen.
Wie viele Plätze bietet das Kinder- und Jugendhospiz Balthasar?
Seit 2009 zwölf Plätze, Damals kamen vier Plätze für die Jugendlichen hinzu. Das Kinderhospiz hat nach wie vor acht Plätze. Plus Eltern, plus Geschwister und Begleitpersonen. Sind wir voll belegt, begleiten wir etwa 40 bis 50 Gäste.
Wie viele Beschäftigte hat das Hospiz?
Hier im Haus in Olpe sind etwa 60 Mitarbeiter angestellt, aber nicht alle mit einer Vollzeitstelle, hinzu kommen 20 Ehrenamtliche, die ganz wichtige Arbeit leisten. Seit einigen Jahren gehört ein Pflegedienst für schwerkranke Kinder in Bonn dazu. Dort sind es noch einmal 30 Mitarbeiter.
Wenn Sie am Jahresende eine schwarze Null haben möchten, wie hoch muss das Spendenaufkommen sein?
In den ersten Jahren war das jeweils fast eine Million Euro. Wenn mal etwas übriggeblieben ist, ist das Geld in unsere Kinder- und Jugendhospizstiftung geflossen. Sie ist ein Baustein, die Finanzierung des Hauses langfristig sicherzustellen.
Das Hospiz hat vor einigen Jahren für Aufsehen gesorgt, als es um eine millionenschwere Spende des Formel-1-Papstes Bernie Ecclestone ging. Haben Sie eigentlich tatsächlich davon profitiert, ist Geld in Ihre Stiftung geflossen?
Nein. wir haben davon nichts bekommen. Dieses Geld floss allein der Stiftung des Deutschen Kinderhospizvereins zu. Da der auch seinen Sitz in Olpe hat und der Name Kinderhospiz darin auftaucht, warfen das manche Leute zusammen, und es entstand ein falscher Eindruck.
Wie kam es dazu?
Wir haben eine gemeinsame Gründungsgeschichte und haben fünf Jahre zusammengearbeitet bis 2003. Seitdem kümmert sich der Deutsche Kinderhospizverein ausschließlich um eine Akademie einerseits und andererseits um die ambulante Versorgung der Kinder zu Hause durch Ehrenamtliche. Wirtschaftlich und inhaltlich sind wir aber getrennte Organisationen.
Prominente haben sich hier schon die Klinke in die Hand gegeben, von Christoph Maria Herbst bis zu Wolfgang Overath. Welche Bedeutung hat das für Ihre Arbeit?
Ja, wir haben prominente Unterstützer. Das sind im wesentlichen Birgit Schrowange, Christoph Maria Herbst, Ralf Schmitz, Rolf Zuckowski und Peter Prange, der Erfolgsautor. Andere Promis haben uns besucht, aber sie gehören nicht zu unseren prominenten, dauerhaften Partnern.
Sie haben hier mit Themen zu tun, um die viele Menschen lieber einen Bogen machen. Was war in den vergangenen 20 Jahren die für Sie bedrückendste Erfahrung?
Das ist eine besondere und oft emotionale Arbeit, aber nicht durchgehend. Die emotional belastenden Situationen sind da, aber viel mehr geht es um Fröhlichkeit, um leben und lachen. Wir wollen nicht den ganzen Tag traurig sein und sind es auch nicht. Das machen uns die Kinder, auch schwerstkranke Kinder, immer wieder vor, wenn sie viel Freude rüberbringen.
Lernt man in diesem Haus, mit dem Tod umzugehen oder ihn beiseite zu schieben?
Ersteres. Beiseite schieben findet hier nicht statt. Es geht bei unserem Programm nicht darum, so viel Spaß zu haben, dass man nur ja nicht drüber nachdenkt. Hospize machen Angebote. Niemand muss, jeder kann aber. Und dazu gehört auch Trauerarbeit. Man lernt, mit dem Tod umzugehen, ohne, dass das ganze zur Routine wird. Ich glaube, dass das Sterben von Kindern, das habe ich schon in der Intensivstation der Kinderklinik gelernt, niemals zur Routine werden kann. Wobei es noch ein Unterschied ist, ob es ein 14 Tage altes Neugeborenes ist oder ein 16-jähriger Junge.
Leiden die Angehörigen mehr als die Betroffenen selbst?
Bei Kleinkindern erleben wir, dass sie die Situation noch nicht richtig verstehen. Kinder ab 13, 14, sind schon früh erwachsen. Auch im Denken, was sie wollen, was sie selbst festlegen. Ich habe beispielsweise mit einem 13-Jährigen ganz klar festgelegt, was er noch wollte und was nicht. Dass er zum Beispiel keine künstliche Beatmung wollte, dass er keine Sauerstoffgabe wollte.
Aber das darf ein 13-Jähriger nicht selbst entscheiden?
Natürlich nicht. Aber auch für einen 13-Jährigen ist es eine wichtige Sache, das geklärt zu haben und es seinen Eltern mitgeteilt zu haben.
Und die haben es akzeptiert?
Ja. Wenn es auch schwergefallen ist. Der Junge hat nicht mit ihnen selbst darüber gesprochen. Es ist unsere Beobachtung, dass Kinder und Jugendliche ungern mit ihren Eltern darüber reden möchten.
Warum?
Weil sie sie schonen wollen. Deshalb reden sie über diese Themen lieber mit uns.
Sie haben zwölf Plätze, sagten Sie. Ist die Nachfrage größer als das Angebot, führen Sie lange Wartelisten?
Es gibt Monate, vor allem Sommermonate, da haben wir etwas mehr Nachfragen als Plätze, oft in Urlaubszeiten. Dazu muss man wissen, dass etwa 80 Prozent der jungen Gäste nicht zur Sterbebegleitung kommen, sondern damit die Angehörigen entlastet werden. Aber meistens kriegen wir das geregelt. Eine Warteliste haben wir nicht. Hinzu kommt, dass wir in Deutschland 16 Kinderhospize haben, neben Balthasar, die nicht alle voll belegt sind übers Jahr. Es macht derzeit keinen Sinn, weitere Kinderhospize zu bauen.
Also eine optimale Situation?
Leider nein. Unser größtes aktuelles Problem sind fehlende Pflegekräfte. Dieser Mangel führt bereits dazu, dass in einigen Hospizen Betten leer bleiben müssen.
Wird das für ihren Nachfolger das größte Problemfeld?
Das ist die größte Baustelle. Fachkräfte zu gewinnen, Mitarbeiter zu motivieren, in diesem Beruf zu bleiben, das sind die größten Herausforderungen. Es gibt derzeit nicht genügend Pflegekräfte auf dem Markt und schon gar nicht für diesen sehr speziellen Bereich. Personal für Intensivkinder muss speziell geschult sein, und davon gibt es zu wenig.
Droht auch im Balthasar die Schließung von Betten?
Noch nicht, und wir hoffen, dass es nicht dazu kommt. Aber es wird eng. Alle anderen Kinderhospize in Deutschland mussten bereits Teilbereiche schließen.
Ein Paradox?
Allerdings. Jetzt haben wir genügend Betten in Deutschland, aber kein Personal. Das ist dramatisch, betrifft in Teilen aber auch Krankenhäuser und Seniorenhäuser.
Was ist zu tun?
Wir überlegen, ob man in Deutschland speziell für die Kinderhospize Weiterbildungsmaßnahmen einrichtet.
Ist das Hospiz ein Platz, dem Leben gegenüber demütig zu werden?
Ja, dem Leben, auch der eigenen Gesundheit gegenüber. Die Selbstverständlichkeit zu verlieren. Was für gesunde Menschen alltägliche Probleme sind, das bekommt hier eine ganz andere Bedeutung. Wenn Sie die Sorgen von Menschen, den Schmerz und die Trauer hier kennenlernen, relativiert sich das Leben draußen sehr schnell. Man wird demütiger und dankbarer.
Am 1. Oktober diesen Jahres ist Feierabend für Sie. Was tut der Rentner Rüdiger Barth?
Ich glaube nicht, dass ich Langeweile haben werde. Ich habe eine Frau, zwei Töchter, drei Enkelkinder, auch ein Haus, in dem ich handwerklich immer etwas zu tun habe. Manches ist liegen geblieben. Ich freue mich auf Tage mit weniger Tempo und Terminen. Außerdem habe ich seit 30 Jahren ein Pflegekind, mittlerweile ein junger Mann, den ich betreue. Er lebt weitgehend selbstständig in München und pocht darauf, dass ich ihn häufiger besuche. Das kann ich jetzt tun.
Zur Person
Rüdiger Barth wurde am 16. Januar 1960 in Dreis-Tiefenbach geboren. Nach der mittleren Reife lernte er den Beruf des Bankkaufmannes, nach dem Zivildienst den des Kinder-Intensivpflegers. Seit Juni 2002 ist er Leiter des Kinder- und Jugendhospizes Balthasar. 2009 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Barth ist verheiratet, Vater zweier Töchter und 30 Jahre lang eines heute erwachsenen Pflegekindes. Hobbys: Garten, E-Bike, Natur.