Lennestadt/Kirchhundem. Clemens Lüdtke (Lennestadt) ist ein Alter Hase in Sachen Tourismus. Kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand steht er uns Rede und Antwort.

Er darf mit Fug und Recht als Mr. Tourismus der Region Lennestadt/Kirchhundem bezeichnet werden, kümmert er sich als Beamter bei der Stadt Lennestadt doch bereits seit 1993 u. a. um die Rahmenbedingungen für Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen und Gastrobetriebe: Clemens Lüdtke, ein Bonzeler Junge, hat während dieser Zeit fast 30 Stadtfeste federführend organisiert und im vergangenen Jahr noch mit der Aktion „Lennestadt leuchtet“ einen Weckruf mitten in der Pandemie gesetzt. Ende November geht er in Pension.

Frage: Wann hatten Sie den Verdacht im vergangenen Jahr, dass Corona auch für den Tourismus gravierende Folgen hierzulande haben könnte?

Clemens Lüdtke: „Ende März, Anfang April haben wir uns zwar keine Illusionen gemacht, dass es Auswirkungen auf den Tourismus auch hier haben würde. Die tatsächlichen Ausmaße hat aber niemand erahnt. Dass wir Lockdowns kriegen, die Hotels komplett heruntergefahren werden und monatelang ganze Betriebe schließen mussten.

Sie haben sich sehr früh vermutlich selbst infiziert?

Ja, Anfang März auf einer Geburtstagsfeier. Ein Kollege wurde 50, viele Skifahrer waren dort, die gerade aus ihrem Urlaub zurückgekehrt waren.

Und ihre Symptome?

Ein PCR-Test wurde gar nicht gemacht, da ich kein Fieber hatte. Aber ich hatte starke Halsschmerzen und heftigen Husten. Ich war 14 Tage richtig krank, insgesamt vier Wochen zu Hause. Ein Bekannter, der ebenfalls auf dem Geburtstag war, hatte wenig später genau die gleichen Symptome.

Hat Corona eher die Hotels und Pensionen oder die Gastroniomie getroffen?

Alle gleichermaßen. Was aber bemerkenswert ist: Mir ist in unserer Region niemand bekannt, der auf der Strecke geblieben ist. Zum einen, weil die Regierungen finanziell geholfen haben, aber auch, weil wir einen großen Anteil an Betrieben haben, deren Immobilie im Familienbesitz ist. Wer hohe Pachten bezahlen muss, hat es deutlich schwerer. Zudem sind die meisten Betriebe hier bei uns sehr gut aufgestellt, können eine Durststrecke überstehen.

Haben die sauerländischen Tourismusbetriebe am Ende sogar davon profitiert, dass nur noch wenige Menschen ins Ausland konnten oder Urlaub da fürchteten?

Ja, das ist so. Es hat regelrechte Völkerwanderungen von Tagesausflüglern in unsere Region gegeben, überwiegend von der Rhein-Ruhr-Schiene. Mit Blick auf Flugurlaub herrschte Angst oder er war nicht möglich.

Hat die Zahl der Gäste aus den Niederlanden in diesem Sommer schon wieder angezogen?

Ja, auf jeden Fall. Da sehe ich keinen nennenswerten Schwund an Gästen.

Und andernorts?

Wir verspüren tatsächlich so etwas wie einen Boom. Zu bestimmten Zeiten, besonders an den Wochenenden, bekommen sie hier kein Bett mehr. Seit Juli 2021 ist das steil nach oben gegangen. Die Leute wollten raus, aber nicht ins Ausland. Das ist unter anderem eine Folge der Tagesausflüge, bei denen die Menschen das Sauerland entdeckt haben, vor allem als Wanderparadies. Mecklenburg war teilweise zu, Niedersachsen auch. Wir haben Szenen erlebt, beispielsweise auf der Hohen Bracht, da haben Ausflügler im Pulk von 20 Leuten mitten im Winter den Grill ausgepackt und sind zwischendurch Schlitten gefahren.

Das hört sich danach an, dass das Sauerland eher ein Gewinner der Pandemie war?

Was Tagesausflügler betrifft, jedenfalls kein Verlierer. Eine Familie kommt beispielsweise für einen Tag und nimmt positive Eindrücke mit, jeder erzählt es weiter, und am nächsten Wochenende kommen schon zwei, drei oder vier Familien.

Aber was bleibt den Leuten im Kopf haften?

Wir sind eine Top-Wanderregion, haben attraktive Produkte, mit E-Bikes auch als bergige Fahrrad-Region nicht mehr uninteressant. Wir spüren sogar Nachhaltigkeit, denn die Leute kommen auch wieder, wenn Nord- und Ostsee wieder zu bereisen sind. Zudem gibt es eine starke Stammgasttreue für unsere Betriebe.

Fazit?

Das Interesse fürs Sauerland als Urlaubsregion hat gefühlt in der Pandemie kräftig zugelegt.

Vor allem in der Gastronomie drückt aber der Arbeitskräftemangel. Haben Sie irgendein Rezept, um dieses Desaster zu brechen?

Nein. Dieses Desaster drückt die Branche bundesweit. Ein heimischer Hotelbetrieb hat alles dafür getan, seine Leute über diese Zeit in irgendeiner Form zu parken und konnte deshalb viele halten. Aber in der Gastronomie wird viel mit Aushilfskräften gearbeitet, die sich irgendwann etwas anderes gesucht haben.

Und nicht wiederkommen?

Genau. Die sind für den Betrieb weg. Ein fataler Effekt. Ich kenne Betriebe,, auch ein hiesiges Ausflugslokal, die sich nach Wiedereröffnung personell weitgehend neu aufstellen mussten.

Aber das gilt wohl nicht nur im Sauerland.

Nein. Ich bin mit dem Fahrrad die Fehn-Route in Niedersachsen gefahren. Es war ein Angebot mit Radeln und Gepäcktransport von Hotel zu Hotel. Da komme ich zu einem Hotel, wo ein Schild hing: ,Entschuldigen Sie, dass ich nicht da bin, rufen Sie mich unter dieser Handynummer an, dann bin ich in fünf Minuten da.“

Und dann?

Er war in fünf Minuten da, hat sich entschuldigt und gesagt: Ich hab’ keine Leute mehr. Keine Frau fürs Frühstück, keine für die Zimmer, keinen Koch. Ich werde den Laden verkaufen. Das wird kein Einzelfall sein, vor allem bei gepachteten Betrieben.

Wie sieht die Zukunft des Tourismus vor diesem Hintergrund aus, gerade in unserer Region?

Ich glaube, die Selbstbedienung ist auf dem Vormarsch, insbesondere in gastronomischen Betrieben, wie wir es teilweise an den Küsten schon sehen. Oder es wird variable Angebote geben. Holst Du Dir ein Schnitzel ab, zahlst Du 16 Euro, wirst Du bedient, sind es 19 Euro.“

Liegt es letztlich nur am Lohn?

Nein, ich habe von Gastronomie-Unternehmen gehört, die 15 Euro die Stunde angeboten habe und trotzdem keine Leute bekamen.

Und in der Hotelbranche?

Die Zukunft der Branche in Lennestadt und Kirchhundem geht bei Ferienwohnungen in Richtung qualifizierte Angebote mit Top-Ausstattung, die online buchbar sind. Solche Angebote gehen durch die Decke. Ich kenne einen Betrieb, der hatte sein Angebot gerade erst ins Netz gestellt, obwohl er mit dem Ausbau der Wohnungen noch gar nicht fertig war, da war er schon ausgebucht.

Hat sich das auch in Zahlen abgebildet?

Ja. In Lennestadt gehen die Übernachtungszahlen spürbar nach oben. Wir waren schon 2019 kurz davor, die Marke von jährlich 200.000 Übernachtungen zu knacken.

Wäre das ein Rekord gewesen?

Ja. Wir waren schon mal bei 192.000, das war 1992, nach der Wiedervereinigung. 2020 brach es dann natürlich ein, aber wenn alles wieder normal läuft, bin ich optimistisch, die 200.000 in den nächsten Jahren zu schaffen.

Was ist das Wichtigste für den Erfolg?

Der Freizeitwert muss da sein. Mit kurzen Wegen. Beispielsweise Ferien auf dem Bauernhof - mit Pferden, unweit der Rad- oder der Wanderwege, das Schwimmbad 10 Minuten mit dem Auto entfernt, der Minigolfplatz, Mountainbikestrecken und last not least Leuchtturm-Attraktion wie das Elspe Festival und so weiter.

Da drängt sich die Frage auf, was ein ständig unter Strom stehender Touristiker im Ruhestand macht?

Am Sportplatz in Bonzel wird ein neues Clubhaus gebaut. Da will ich gerne helfen. Ich möchte mein Know how in der Tourismusbranche weiter nutzen. Da ist in den vergangenen Jahren viel an Kreativität und Erfahrung dazugekommen. Wenn Betriebe oder Institutionen aus der Tourismusbranche um Rat fragen, werde ich mich nicht verweigern.

Wenn Sie ein Jahr lang Tourismusminister von NRW ein dürften, was stünde ganz oben auf der to-do-Liste?

Ich würde die Regionen und nicht nur im Tourismus gleichstellen in der Förderung. Das Gleichgewicht zwischen den Regionen, z. B. zum Ruhrgebiet, ist aus meiner Sicht nicht vorhanden, die ländlichen Regionen werden vernachlässigt.

Zur Person

Clemens Lüdtke, 65 Jahre alt, ist ein Bonzeler Junge, lebt aber mit seiner Familie (zwei Söhne) im Nachbarort Grevenbrück.

Er begann seine berufliche Laufbahn am 1. September 1970 bei der Deutschen Bundesbahn, wechselte am 1. April 1990 zur Stadtverwaltung Lennestadt.

Seit 1993 kümmert er sich dort um den Tourismus, seit 2005 ist er Leiter der interkommunalen touristischen Arbeitsgemeinschaft Lennestadt/Kirchhundem (TAG).