Windhausen. Die Pfarrkirche St. Antonius von Padua ist eine der ungewöhnlichsten Sakralbauten im Kreis Olpe. Sie verkörpert gesellschaftlichen Umbruch.

Wenn man mit dem Auto von Attendorn die L 697 hochfährt, kann man noch nicht unbedingt ahnen, was einen in der Mitte des Ortes Windhausen erwartet. Man sieht ein auf einer Hügelkuppe gelegenes Dorf, das schon aus der Ferne einen einladenden Eindruck macht. Weiden, Wald, graue Dächer, weiß verputzte oder gestrichene Häuser – ein typisches Sauerländer Dorf in einer, wie es so schön heißt, landschaftlich reizvollen Umgebung.

Mit einem Auge schielt man unweigerlich auf die Kirche und vor allem auf den daneben stehenden Turm. Er hat ein bisschen was von Walt Disney. Mein erster Gedanke: wie eine umgedrehte Eistüte. Der nächste Gedanke ist: Faustschlag. Als hätte jemand diese Kirche mit einem Faustschlag nach Windhausen gedonnert. Wie passt diese Kirche zu den Kühen, den Hummeln und den Weiden? Ich verabrede mich mit der Küsterin Monika Rauterkus. Als ich komme, ist sie schon da, die Kirche aufgeschlossen. St. Antonius von Padua – man findet ihn auch als Figur in der Kirche – ist der eigentliche Name der Kirche. 1964 wurde sie eingeweiht.

Mit dem 11. Vatikanischen Konzil kam die epochale Wende in der Katholischen Kirche

Der schlichte Innenraum, typisch für sakrale Architektur in den 60er-Jahren. 
Der schlichte Innenraum, typisch für sakrale Architektur in den 60er-Jahren.  © Unbekannt | Wilhelm Tenhaef

Wer erinnert sich noch an früher? Der Priester in einem brokatschweren Gewand mit dem Rücken zu den Gläubigen, die gesamte Messe in Latein, die Predigt von der Kanzel, die Kommunion an der Kommunionbank. Der Altarraum stark erhöht, entfernt, durch die Kommunionbank unerreichbar. Mit dem II. Vatikanische Konzil (1962 - 1965) kam die epochale Wende der katholischen Kirche. Plötzlich ist die Messe in der Landessprache möglich, jeder soll angemessen am Gottesdienst teilnehmen können. Der Altarbereich nur noch ein, zwei Stufen höher und sehr nah, keine Schranke in Form einer Kommunionbank mehr. Eine Erlösung nach den Jahrhunderten der Verschlossenheit. Eine der wichtigsten Personen dazu war Papst Johannes XXIII.

In Windhausen spürt man diesen Aufbruch. Das Dach ein Zelt, in das alle passen. Auch von außen ist die Kirche Zelt. Das war im Sakralbau in den sechziger und siebziger Jahren angesagt. Aber es gilt noch heute und wirkt auch noch heute. Holz und Beton sind die gängigen Baustoffe. Das zieht der in Gelsenkirchen geborene, lange in Siegen lebende Architekt Aloys Sonntag (1913 - 1979) konsequent durch, selbst bis zum Beichtstuhl, dessen Türen an Türen von Konferenzzimmern erinnern. Die Beichte ein Gespräch. Dadurch gibt er der Kirche etwas Alltägliches, etwas von Industriebauten – die er auch entwarf – etwas von dem Alltagsmenschen, etwas Normales.

Aber seine Kirche ist deswegen kein unbedeutender Platz. Das Dach erzeugt Höhe, strebt nach oben, die bunten Scheiben der großen Seitenfenster werfen ein geradezu mystisches Licht in den Raum. Die Kirche ist kahl und gleichzeitig voll. Das merkt man, wenn man von der Empore auf das Kreuz hinter dem Altar schaut. Wie pures Gold glänzt der Kubus des Tabernakels hinter dem ambossähnlichen Altar aus grauem Beton und dem einfachen Kreuz. Eine Art Diamant in einem auf den ersten Blick nüchternen Raum, in dem aber der wichtigste Inhalt aufgehoben wird. Aber auch der Raum bringt etwas Entscheidendes für eine Kirche mit. Er ist eine offene Einladung für jedermann und gleichzeitig ein Angebot, sich zu sammeln, sich zu bedenken und innerlich zu erheben. Dazu eine Äußerung von Aloys Sonntag selbst: „Für jeden Architekt ist es im beruflichen Leben ein Ereignis, einmal eine Kirche zu bauen. Das ist ein Höhepunkt seines gestalterischen Schaffens.“

Turm wirkt fremd und rätselhaft, ist Anziehungspunkt und Fragezeichen

Tödlich verunglückt

Die Kirche St. Antonius von Padua wurde 1963/64 nach den Plänen von Architekt Aloys Sonntag errichtet und am dritten Advent 1964 eingeweiht. Nachdem Windhausen 1959 zur Pfarrvikarie erhoben wurde, beschloss die Gemeinde im gleichen Jahr eine neue Kirche zu bauen. Die alte Kirche von 1898 wurde im Zuge des Ausbaus der L 697 im April 1969 abgerissen. Aloys Sonntag, Jahrgang 1913, stammt aus Gelsenkirchen, übernahm in Siegen das Architekturbüro Born. Sein Hauptgebiet waren Industrieanlagen und Sakralbauten. Er starb 1979 bei einem Autounfall während eines Urlaubs in der Schweiz.

Und dann der Turm. Zuerst, wie erwähnt, der Gedanke: umgedrehte Eistüte. Aber man könnte ihn auch als Spitze einer Rakete bezeichnen oder als Schornstein einer modernen Arbeitsstätte. Der Turm ist wie das Kirchendach verschiefert. Damit passt er ins Landschaftsbild. Aber das ist auch der einzige Kompromiss, den Sonntag machte. Der Turm wirkt, so oft man ihn ansieht, fremd und rätselhaft. Er ist Anziehungspunkt und Fragezeichen zugleich und genau deswegen passt er zu einer Kirche.

1964: In Frankfurt läuft der erste Auschwitzprozess, Willy Brandt wird neuer SPD-Vorsitzender, damit beginnt indirekt die Entspannungspolitik, die Rolling Stones singen „It’s all over now“, die Beatles „ A Hard Days night“, die USA heben per Gesetz die Rassentrennung auf. Die Veränderung der Nachkriegswelt hat begonnen, ihr Staub wird weggesungen, weggeblasen und die Kirche macht in ihrem Bereich mit. Die alte Kirche von Windhausen, die der Windhausener Willi Pütter so liebevoll als Modell noch einmal hat auferstehen lassen, war sicherlich, so Küsterin Monika Rauterkus, gemütlicher. Aber die jetzige Kirche ist rundherum etwas Besonderes. Auch sie kann gemütlich werden, wenn genügend Menschen sie bevölkern.