Kreis Olpe. Im Frühjahr, vor allem in der Morgen- und Abenddämmerung, ist die Gefahr für Wildunfälle besonders groß. Was tun?
Für jeden Autofahrer ist es die Horrorvorstellung schlechthin: Auf dem Weg zur Arbeit in den frühen Morgenstunden passiert es. Ein Reh steht urplötzlich auf der Straße, und schon kracht es. Gerade in ländlichen Gebieten eine Szene, die für Karl-Josef Fischer, Chef der Kreisjägerschaft Kurköln Olpe, vor allem im Frühjahr fast zum Alltagsgeschäft gehört: „Deshalb wollen wir darauf aufmerksam machen, dass für die Autofahrer gerade in diesen Wochen nach der Zeitumstellung höchste Vorsicht geboten ist“, sagt Fischer, selbst seit 35 Jahren Jäger, auch Hegeringleiter für das Gebiet der Gemeinde Wenden.
Zeitumstellung spielt eine Rolle
Warum gerade das Frühjahr und die Zeitumstellung eine Rolle spielen, wollen wir genauer wissen? „Das ist einfach zu erklären“, klärt der Fachmann auf, „durch die Zeitumstellung sind viele Autofahrer eine Stunde früher unterwegs, und das fällt genau in den Zeitraum, in dem vor allem Rehe, aber auch Damwild unterwegs sind.“ Und in den nächsten Wochen gebe es im Wald noch kein Grün für die Tiere, die es also zum Nahrungsangebot auf die vielen grünen Wiesen locke. Und zwischen Wald und grüner Wiese führe im Sauerland natürlich sehr häufig die viel befahrene Bundes- oder Landstraße hindurch.
Rehe und Hasen besonders gefährdet
Laut Auskunft der Kreisverwaltung Olpe, Untere Jagdbehörde, wurden für das Jagdjahr 2018/2019 745 Wildunfälle registriert. Im Jagdjahr 2019/2020 waren es 731. Das Jagdjahr beginnt jeweils am 1. April und endet am 31. März. Die Zahl für das Jagdjahr 2020/2021 liegen noch nicht vor.Laut NRW-Umweltministerium werden vor allem Rehe und Feldhasen Opfer von Verkehrsunfällen. 2018/2019 sowie 2019/2020 waren das jeweils ca. 28.600 Rehe und 11.000 (18/19) bzw. 12.500 (19/20) Hasen.
Für das Wild und Autofahrer eine Konstellation mit reichlich Gefahrenpotenzial. Fischer, mit dem wir an der L 512 zwischen Rothemühle und Hünsborn an genau einem solchen Streckenabschnitt stehen, sagt: „Hier bei uns in meinem Revier passieren vier von fünf Wildunfällen an diesem Straßenabschnitt der L 512.“ Aber eben nicht nur dort. Der Jäger nennt weitere typische Beispiele mit der tückischen Wald-Wiesen-Straßen-Konstellation im Kreis Olpe: „Die L 539 zwischen Attendorn und Finnentrop ist so eine Straße, aber auch die B 517 zwischen Welschen Ennest und Kirchhundem. Oder eben hier die L 512 zwischen Rothemühle und Freudenberg.“ Kein Wunder, dass man entlang der ebenfalls für Wildunfälle prädestinierten B 54/55 zwischen dem Biggesee und dem Kreisverkehr Rother Stein, Abzweig Fahlenscheid, beidseitig Wildschutzzäune errichtete.
Wildschweine weniger gefährdet
Erst Ende April, so Fischer, entschärfe sich die Situation: „Wenn das erste Grün an den Bäumen rauskommt, findet das Wild dann auch dort Nahrung.“ Die Mehrzahl der Wildunfälle ereigne sich in den besonders gefährdeten Zeiträumen der Dämmerung von morgens vier bis sieben Uhr (jetzige Sommerzeit) und zwischen 19 und 22 Uhr abends. Fischer: „Die Tiere nutzen die Dämmerung, um abends auf die derzeit attraktiven Wiesen zu gelangen, um dann morgens wieder ihren Einstand im Wald aufzusuchen. In der Dämmerung und den Nachtstunden kann dann in Ruhe die Nahrungsaufnahme erfolgen, da in dieser Zeit deutlich weniger Leute unterwegs sind und somit keine Störung erfolgt.“
Weniger gefährdet seien Wildschweine. Fischer: „Die sind eher nachts unterwegs und nicht schon in der Dämmerung.“ Wenn es dann allerdings zu einem Aufeinandertreffen von Wildschwein und Auto komme, könnten die Ausmaße deutlich dramatischer ausfallen. „Während ein Feldhase vielleicht fünf Kilogramm wiegt, ein Reh im Schnitt 20 Kilogramm, kann ein ausgewachsener Keiler bis zu 120 Kilogramm auf die Waage bringen.“ Und Wildschweine seien fast immer in einer Rotte unterwegs. Wo eines auf der Straße stehe, müsse mit weiteren gerechnet werden: „Ein Autofahrer hat mir erzählt, er hätte eine solche Rotte friedlich neben der Fahrbahn trotten sehen und deshalb nicht gebremst. Plötzlich sei eines der Tiere auf die Straße gelaufen, der Rest hinterher, und schon krachte es.“
Aufwändige Nachsuche
Allein in seinem Revier rund um Römershagen komme es zu durchschnittlich 15 nächtlichen Einsätzen im Jahr: „Das kann sehr aufwändig sein. Die Tiere werden durch den Aufprall mit einem Fahrzeug nicht immer getötet, sondern liegen schwerstverletzt einige hundert Meter entfernt. Wir müssen sie dann mit Hilfe unserer Hunde suchen und von ihrem Leid erlösen.“ Wegen der möglichen schweren inneren Verletzungen sei es ganz wichtig, alle Wildunfälle zu melden: „Andernfalls kann ein Tier über einen längeren Zeitraum qualvoll verenden.“
Fischer appelliert an alle Autofahrer, die momentane Situation ernst zu nehmen und einige wesentliche Grundregeln zu befolgen: „In waldreichen Regionen angemessen fahren, im Zweifelsfall Fuß vom Gas, Wildwechselschilder beachten und immer bremsbereit sein.“ Aber auch ein Sicherheitsabstand zum rechten Fahrbahnrand und zum vorausfahrenden Fahrzeug seien wichtig. Wenn Wildtiere die Straße überquerten, heiße es: „Bremsen, hupen und abblenden.“ Im Zweifelsfall müsse der Frontalzusammenstoß mit dem Wild in Kauf genommen werden: „Das ist ungefährlicher als der Seitenaufprall gegen einen Baum.“