Kreis Olpe. Dr. Frank van Buuren, Internist und Kardiologe zu Astrazeneca und möglichen Einflüssen von Corona auf das Herz-Kreislaufsystem.

Das Corona-Virus und der Impfstoff von Astrazeneca bestimmen derzeit die öffentliche Diskussion. Auch emotional, denn Ängste vor schweren Krankheitsverläufen, aber auch vor Impfnebenwirklungen spielen eine Rolle. Wir sprachen mit dem Olper Chefarzt am St. Martinus-Hospital, dem Internist und Kardiologen Dr. med. Frank van Buuren, über seine Einschätzung, welche Gefahren durch Corona auch dem Herz-Kreislauf-System drohen, was er über das Astrazeneca-Vakzin denkt, was er von Impfskeptikern hält und welche Erfahrungen er bisher gemacht hat.

Frage: Haben Sie Angst, sich mit Corona zu infizieren?

Dr. Frank van Buuren: Nicht mehr, weil ich inzwischen geimpft bin.

Und Sie glauben, dass die Impfung sicher schützt?

Ja, das glaube ich. Überdies kann ich Ihnen versichern, dass ich großen Respekt vor dieser Covid 19-Erkrankung habe. Wer sich infiziert und Symptome entwickelt, Luftnot bekommt und sogar intensivmedizinisch behandelt werden muss, hat mit einem schweren Krankheitsbild zu kämpfen.

Sind Sie mit Astra Zeneca oder Biontech geimpft worden?

Mit Biontech. Ich hätte mich aber auch ohne zu zögern mit Astrazeneca impfen lassen, habe keine Angst vor dem Impfstoff.

Hat es in ihrer Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis Infizierte oder gar schwer Erkrankte gegeben?

Mehrere. Die Frau eines meiner besten Freunde war infiziert, er selbst aber nicht trotz der alltäglichen Nähe.

Bei einem Virus, das als äußerst ansteckend gilt, sollte das eigentlich unmöglich sein, oder?

Denkt man. Aber von solchen oder ähnlichen Fällen können viele Leute berichten.

Sollte einem das nicht zu denken geben? Sind die Tests so schlecht oder ist Corona doch nicht so ansteckend?

Ich halte die Tests für grundsätzlich zuverlässig. Wenn es falsche Ergebnisse gibt, liegt es wohl eher an der Abstrichqualität, also an der praktischen Durchführung. Es zeigt aber auch, dass es viele Dinge gibt, die wir noch nicht verstanden haben.

Zum Beispiel?

Ich denke, es hat vieles mit unterschiedlich starken Immunsystemen zu tun.

Das würde bedeuten, dass das Corona-Virus bei manchen Menschen sofort unschädlich gemacht wird, es sozusagen gar nicht ins System kommt.

So könnte man einer Fährte folgen, aber ich glaube, es ist noch zu einfach gedacht. Das Immunsystem ist eine extrem komplexe Sache. Niemand darf beispielsweise sicher sein, wenn er selten oder noch nie eine Erkältung oder Grippe hatte, dass das Corona-Virus ihm nichts anhaben könne. Da steckt viel mehr dahinter, was noch erforscht werden muss.

Gab es denn schwere Verläufe bei den Infizierten ihres Umfelds?

In meinem näheren Bekanntenkreis nicht, aber der Bruder eines ehemaligen Kollegen ist an Covid 19 verstorben. Mitte 60, topfit, keine Vorerkrankungen. Ein dramatischer Verlauf, trotz aller medizinischer Möglichkeiten.

Astrazeneca beschäftigt die Welt. Mindestens ein halbes Dutzend Nationen haben sich ausgeklinkt. Von Norwegen bis Italien. Wenn die schweren Nebenwirkungen wie Hirnvenen-Thrombosen tatsächlich durch das Vakzin verursacht werden, wie geschieht das?

Das ist noch nicht schlussendlich geklärt. Auch, ob überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Die Hirnvenen-Thrombose ist an sich ein sehr seltenes, aber dramatisches Krankheitsbild. Das Gehirn ist arteriell intensiv versorgt. Wenn das Blut dadurch nicht abfließt, bekommen die Betroffenen unter anderem unerträgliche Kopfschmerzen, verschiedene neurologische Symptome. Weil es so selten ist, ist allerdings die jetzige Häufung es wert, genau überprüft zu werden. Man muss aber auch auf die Relation schauen, dass rund 1,6 Millionen Impfdosen verwendet wurden und nur sechs oder sieben Geimpfte das Symptom entwickelt haben.

Wenn es tatsächlich nur diese sieben waren oder sind? Impfskeptiker haben im Vorfeld auf genau diese Probleme hingewiesen, auf die Gefahr von Thrombosen, Infarkten und Hirnblutungen.

Ich glaube, dass der Impfstoff, auch Astrazeneca, weiter seine Berechtigung hat, wenn man die Komplikationen mit der Zahl der Menschen in Korrelation setzt, die durch Covid 19 schwerwiegende Probleme bekommen oder sogar versterben. Das sind viele tausende nur in Deutschland. Ich bin ein Befürworter der Impfungen, halte es für die einzige Chance, aus dem Dilemma herauszukommen. Logistisch ist das nicht immer gut gelaufen, aber die zügige Entwicklung der Impfstoffe ist lobenswert. So viele Dinge zu kritisieren sind, es sind viele auch sehr gut gelaufen.

Impf- und Coronaskeptiker bezweifeln auch die Zahl der tatsächlichen Coronatoten. Dafür müsste durchgängig obduziert werden. Warum wird das versäumt?

Es wird mittlerweile häufiger obduziert, mit teilweise erstaunlichen Ergebnissen, auch, was mein Fachgebiet, die Kardiologie angeht.

Wo greift das Virus da an?

Es können gravierende Probleme für das Endothel entstehen, das ist die Innenhaut der Gefäße. Dort kann es zu kleinen aufgerauhten Stellen, Mini-Verletzungen des Endothels kommen, die Blutgerinnsel auslösen. Der unmittelbare Effekt des Virus auf die Blutgerinnung ist auch gegeben, steht aber nicht im Vordergrund.

Prof. Dr. Klaus Püschel, Pathologe in Hamburg, hat schon zu Beginn der Pandemie etwa 60 Corona-Tote obduziert, auf diesen Effekt aufmerksam gemacht und geraten, Blut verdünnende Mittel zu geben.

Das tun wir auch, relativ frühzeitig. Den Zusammenhang zwischen Corona und schwerwiegenden kardiologischen Folgen stellen wir in unserer Klinik auch fest. Die Zahl der Herzinfarkte und Durchblutungsstörungen des Herzens hat seit Beginn der Pandemie spürbar zugenommen. Das können Langzeitfolgen sein, so dass ein Coronatest bei diesen Patienten kein positives Ergebnis mehr zeigt. Unsere Beobachtungen decken sich auch mit Nachrichten, die im Ärzteblatt auftauchen, dass häufiger Patienten mit Herz-Kreislauf-Beschwerden ins Krankenhaus kommen.

Wie zu lesen ist, ist auch der Herzmuskel gefährdet?

Ja, das können wir bestätigen. Eine Myokarditis, also eine Virusinfektion des Herzmuskels, kann durch Corona hervorgerufen werden. Bisher kennen wir eine bestimmte Virusgruppe, die, meist nach Lungeninfektionen, bevorzugt Myokarditis auslöst. Das ist der sogenannte Parvovirus B 19. Und jetzt sorgt auch Corona für häufigere Myokarditien. Das haben die Pathologen, zum Beispiel Prof. Püschel, in den Herzen von Coronaverstorbenen entdeckt. Der Herzmuskel ist ziemlich eindeutig eine Angriffsfläche. Einfach ausgedrückt: Das Virus kommt in den Körper und kümmert sich nicht nur um Lunge, Blutgerinnung oder Blutbahn, sondern es greift auch den Herzmuskel an.

Dr. Martin Junker, Olper Allgemeinmediziner, hat im WP-Interview gesagt, er könne nicht verstehen, warum so wenig Coronatote obduziert würden. Die Pathologen, sagte er, „sind die schlauesten von uns allen, die haben immer Recht.“ Stimmen Sie dem zu?

Dem ist nichts hinzuzufügen. Da gebe ich Dr. Junker Recht. Von den Ergebnissen der Pathologen können wir alle sehr viel lernen.

Aber warum obduziert man nicht alle an oder mit Corona Verstorbenen?

Wir fragen die Angehörigen fast immer. Viele möchten das nicht. Aber mittlerweile konnten wir schon einige Obduktionen veranlassen, bei etwa fünf bis zehn Prozent der Verstorbenen.

Kann denn anschließend zwingend festgestellt werden: An oder mit Corona verstorben?

Oft schwierig. Es ist meist ein fließender Übergang, vor allem bei älteren Patienten mit mehreren Vorerkrankungen. Auch der Pathologe kann bei einem 80-Jährigen, der schon mal einen Infarkt und eine chronische Bronchitis hatte, nicht sagen: Corona war jetzt zu 45 Prozent die Ursache, das Herz und die Bronchitis zu 55 Prozent. Die Diagnose ist einfacher beim jungen Menschen ohne jegliche Vorerkrankung.

Wie können Sie beim lebenden Corona-Patienten feststellen, dass es seinen Herzmuskel erwischt hat?

Es gibt mehrere Möglichkeiten. Die eine ist ein MRT, da schaut man, ob ein Ödem, einfach ausgedrückt eine Wasseransammlung, im Herzmuskel ist. Das ist ein Hinweis, dass ein Virus den Herzmuskel angegriffen hat, oder man entnimmt eine Gewebeprobe aus dem Herzen, die wird mikroskopisch untersucht und gegebenenfalls Virusmaterial nachgewiesen. Auch ein Herz-Ultraschall und ein EKG gehören natürlich zur Diagnostik immer mit dazu.

Und das ist dann wirklich sicher?

Ja, das ist schon ziemlich sicher.

Ist das Corona-Virus eine Besonderheit, was die Auswirkung auf den Herzmuskel betrifft?

Im Vergleich zu anderen Viren würde ich das bejahen. Aber der Herzmuskel ist nicht der Angriffspunkt Nummer eins. Wenn ich eine Reihenfolge erstellen sollte, würde ich sagen: erstens die Lunge, zweitens die Blutgerinnung und dann Herz und Gefäße. Und letztlich auch viele andere Organe.

Nieren?

Leber und Nieren eher in der Folge, weil Herz und Lunge schlechter arbeiten.

Verlassen wir die medizinische Fachwelt und wechseln in die Politik, die momentan erheblich unter Druck steht. Was sagen Sie zur Entscheidung von Jens Spahn, Impfungen mit Astrazeneca auszusetzen. Mutig oder töricht?

Der große Vorteil ist: Der Impfstoff geht uns nicht verloren, er ist gekühlt ein halbes Jahr haltbar. Spahn musste das ein Stück weit so machen, weil die Virologen ihm das vorgegeben haben. Aber ich musste schon schlucken, als ich das gehört habe.

Hätten Sie es auch getan?

Ich hätte es besser gefunden, wenn man weiter geimpft und parallel untersucht hätte. 300, 400 Coronatote am Tag sind wahnsinnig viele. Wenn man zwei Wochen die Astrazeneca-Impfung aussetzt, sterben dadurch vermutlich viele Menschen.

Ist das wirklich so angesichts der unsicheren Informationslage, wie viele Menschen tatsächlich an oder doch nur mit Corona sterben? Und wie sicher ist die Behauptung der Pharma-Unternehmen, die Impfung schütze tatsächlich nahezu hundertprozentig?

Es fehlen in der Tat langfristige Beobachtungen. Aber bisher machen die Vakzine einen sehr guten Eindruck. Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca haben nicht viele Probleme hervorgerufen.

War der Weg richtig, fast ausschließlich auf mRNA-Impfstoffe zu setzen statt auf die bewährte Technik mit inaktivierten, also Tot-Impfstoffen? Es gibt solche Impfstoffe, beispielsweise in China, aber noch nicht zugelassen.

Ich weiß. Aber das ist sehr schwer zu beantworten. Ich glaube, dass die Impfstoffe, die zur Verfügung stehen, aber noch nicht so langfristig beobachtet werden konnten, relativ sicher sind und ich bin unbedingt dafür, dass man sich impfen lässt.

Wird Corona 2022 keine Rolle mehr spielen?

Vielleicht nicht mehr so vordergründig infektiologisch, aber durch die Nachwirkungen auf die Menschen. Vielleicht hätte die Politik eher auch mal einen Psychologen anhören sollen, einen Soziologen oder Sozialmediziner und eben nicht nur den Virologen und Epidemiologen.

Was hätte definitiv anders laufen müssen und laufen können?

Bezogen auf die Impfung die frühere Einbindung der Hausärzte. Die kennen ihre Patienten doch, die Vorgeschichte, die Schwachstellen, und die Patienten haben zu den Hausärzten ein immenses Vertrauen. Und dass Vertrauen bei Impfkampagnen eine wichtige Rolle spielt, wissen wir zur Genüge. Ich kenne die Branche hier in Olpe. Wir haben wirklich ausgezeichnete Hausärzte und die müssen eigentlich viel früher mit ins Boot, damit wir jetzt gemeinsam schnell aus der Krise kommen.

Glauben Sie denn, dass Astrazeneca von der Bevölkerung noch angenommen wird?

Ich hoffe es. Ein, zwei Tage nach einer Impfung mal außer Gefecht zu sein, sollte man in Kauf nehmen. Das gibt es auch bei einer Grippeschutzimpfung.

Sie sind Fan des BVB, würden Sie sich jetzt schon eine Eintrittskarte fürs erste Bundesligaspiel der nächsten Saison kaufen?

Für den August noch nicht, aber fürs Jahresende bin ich optimistisch. Ich würde mit Pudelmütze, Schal und wahrscheinlich auch mit Mund-Nasen-Schutz ins Stadion gehen.

Zur Person:

Dr. med. Frank van Buuren hat niederländische Wurzeln, ist in Iserlohn geboren, verheiratet und Vater zweier Töchter. Er hat in Marburg, Düsseldorf und Houston (Texas) Medizin studiert, ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmediziner, Lipidologe, Sportkardiologe und invasiver Angiologe.

Bis 2017 war er am Herzzentrum Bad Oeynhausen tätig, seit Dezember 2017 ist er Chefarzt der Kardiologie am St. Martinus-Hospital Olpe. Van Buuren hat 2015 an der Uni Bochum habilitiert und damit die Voraussetzung für eine Professur erlangt.