Olpe. Martin Niklas (92) aus Olpe ist 2020 über 4700 Kilometer Fahrrad gefahren, mehr als 100 Mal um den Biggesee. Und er hat eine neue Liebe gefunden.
Halb Elektro-, halb Oberschenkeantrieb. Mit dieser Kombination ist Martin Niklas gut gefahren. Und weit. Insgesamt 4719 Kilometer hat er 2020 auf dem Rad zurückgelegt. „Ich schreibe mir das immer auf“, sagt der Olper und kramt kleine Notizzettel hervor. Seine Handschrift ist so gut leserlich, dass sie fast wie gedruckt aussieht. Nur der Strich über dem „u“ verrät, dass es tatsächlich mit der Hand geschrieben wurde. Ein Zeichen dafür, dass Martin Niklas noch die Sütterlin-Schrift in der Schule gelernt hat.
Martin Niklas ist 92 Jahre alt. Ein aufgeschlossener, humorvoller und vor allem sportlicher Mann, der noch Ziele im Leben hat. „100 möchte ich schon werden. Aber dafür muss man eben etwas tun.“ Und das tut er. Er hält sich vor allem mit Fahrradfahren fit. 105 Mal hat er im vergangenen Jahr die Biggetalsperre umrundet, das sind etwa 35 Kilometer. Dazu kommen noch andere Radtouren bis in den Oberbergischen Kreis hinein. „Das ist Erholung für mich. Immer wenn es das Wetter erlaubt, bin ich unterwegs. Und manche grüßen mich auch schon auf meinen Runden“, erzählt Niklas.
Meistens fährt Niklas allein. „Ich bin aber auch schon mal mit meinen Enkeln unterwegs gewesen“, betont der 92-Jährige. Mittlerweile ist er sogar schon zweifacher Ur-Opa. „Zweieinhalb“, korrigiert sich Niklas. „Das dritte ist gerade auf dem Weg.“
Diamantene Hochzeit mit Anneliese
Seine Frau Anneliese ist vor vier Jahren verstorben. Über 60 Jahre waren sie verheiratet, konnten noch ihre Diamantene Hochzeit 2016 feiern. „Ich habe sie bis zum Schluss unterstützt, als sie schon mit ihrer Demenz im Pflegeheim in Rüblinghausen gelebt hat“, erzählt Niklas. Er holt ein eingerahmtes Bild von seiner verstorbenen Frau und ihm aus dem Nebenzimmer. Da war sie schon krank. „Aber sehen Sie, da habe ich ihr gesagt, dass wir jetzt mal lachen können, weil wir doch so glücklich sind.“ Beide strahlen. Ein schöner Moment.
Der Abschied von Anneliese fällt schwer. Martin Niklas trauert. Aber er gibt sich selbst nicht auf. Er fährt weiter Fahrrad, geht Wandern und nimmt am Vereinsgeschehen teil. Beim Kaffeetrinken des VdK lernt er vor etwa eineinhalb Jahren Eleonore Strack kennen. Sein Stammtisch war schon belegt, da wurde er spontan zu ihr an den Tisch gesetzt. „Und obwohl wir uns gar nicht kannten, konnten wir uns sofort gut unterhalten“, erinnert sich Niklas. Sein Freund habe ihn sogar damit geneckt, dass er sich mehr mit Eleonore an dem Tag als mit ihm unterhalten habe. „Sie war unwahrscheinlich freundlich“, schwärmt Niklas. Er bedankt sich für das tolle Gespräch und lässt sich die Telefonnummer von der 10 Jahre jüngeren Eleonore geben. Und wartet drei Tage, bis er sie anruft.
Pärchen feiert in Spitzenkleid und mit Krawatte das Einjährige am Küchentisch
Aus den guten Gesprächen wird mehr. Sie verlieben sich ineinander. „Meine neue Liebe“, sagt Niklas und zeigt auf ein Foto, das er gut sichtbar auf dem Küchentisch platziert hat. Darauf zu sehen sind er und seine Eleonore, wie sie an seinem Küchentisch sitzen. Sie in einem feinen Spitzenkleid, er mit Hemd, Weste und Krawatte. Sie schauen sich lächelnd in die Augen. „Da haben wir unser Einjähriges gefeiert“, erzählt Niklas stolz.
„Wir sehen uns so oft, wie es geht“, erzählt der 92-Jährige. Er fahre dann zum Beispiel mit dem Fahrrad zu ihr, etwa eineinhalb Kilometer liegen zwischen ihren beiden Häusern. Sie gehen gerne zusammen wandern, etwa drei bis vier Mal die Woche. „Auch, wenn ich vorher schon Fahrradfahren war. Sie kann nämlich leider kein Fahrradfahren.“ Sie frage ihn dann manchmal, ob das nicht zu viel für ihn wäre. „Aber das schaffe ich schon“, meint Niklas selbstbewusst.
Sein Motto: „Wenn du freundlich zu den Leuten bist, sind sie auch freundlich zu dir.“ Danach habe er schon gelebt, als er noch bei der Post gearbeitet hat. Von 1943 bis 1988, 45 Jahre. „Ich war also schon immer viel an der frischen Luft“, sagt Niklas. 25 Mark habe er damals im Monat verdient, als er seine Lehre bei der Post begonnen habe.
Im zweiten Lehrjahr – mit 16 Jahren – wurde er dann zum Militär geschickt. Eine Zeit, die ihn geprägt, aber auch stark gemacht hat. „Ich hielt mit meiner Einstellung nicht hinter dem Berg. Als mich jemand in Warendorf, wo die Amerikaner einmarschiert waren, gefragt hat, was man mit dem Hitler-Bild an der Wand machen sollte, sagte ich zu ihm: ‘In den Keller bringen und kaputt schlagen.’“ Ein Nazi-Anhänger bekam das mit und drohte, ihn zu melden. Dann würde er in ein paar Tagen erschossen werden. „Ich sagte zu ihm: ‘Wenn Ihnen das Spaß macht, einen 16-Jährigen kaputt zu schießen, dann machen Sie’s’“ Niklas wurde nicht gemeldet.
Ein Leben lang in der Biggestraße
Der 92-Jährige lebt noch heute in seinem Elternhaus in der Biggestraße, das 1926 gebaut und wo er – als sechstes von neun Kinder – 1928 geboren wurde. Ein Haus voller Geschichte. Hier wurde er vom Festzug des St.-Matthäus-Schützenverein Rüblinghausen abgeholt, als er 1954 den Vogel schoss und Schützenkönig wurde; hier bereitete er sich auf Auftritte vor, die er mit dem kleinen Chor Olpe und mit dem MGV Rüblinghausen absolvierte; hier kamen Kinder, Enkelkinder und Ur-Enkel zusammen. Hier spielte sich sein ganzes Leben ab.
Niklas Rezept für ein langes und erfülltes Leben: regelmäßige Bewegung, Zufriedenheit und Liebe. Und natürlich Humor: „Ich könnte am laufenden Band Witze erzählen“, erzählt der 92-Jährige und lacht. Auch Corona konnte ihm nicht die Zuversicht nehmen. Dann schwingt er sich eben öfter aufs Fahrrad. Am liebsten erst um den Biggesee und dann zu Eleonore.