Olpe. Die Olper Trauerbegleiterin Birgit Schneider ist überzeugt, dass ehrliche Trauer eine Bereicherung für das Lebens sein kann.

Vor fünf Monaten ist Birgit Schneider Oma geworden. Der Kleine heißt Fred. „Er ist so süß. Kinder zeigen einem doch, um was es geht. Wir müssen nichts darstellen und machen und tun. Wir müssen wir selbst sein.“

Damit ist die 55-Jährige bei ihrem Lebensthema: Gefühle zulassen und sie leben, Achtsamkeit und Bewusstseinsbildung. Was aber bei freudigen Ereignissen, heißt in der Liebe und im Glück leichtfällt, ist angesichts von Trauer und insbesondere von Tod nicht einfach. „Wir wissen nicht, wie Trauern funktioniert. Und Unwissenheit macht Angst. Trauer ist aber weder ansteckend noch nicht schaffbar. Es ist ein Gefühl wie jedes andere und will gelebt werden“, sagt Birgit Schneider.

Lebenscoach und Visionärin

Dass die Olperin heute als selbstständige Trauerbegleiterin, Lebenscoach und Visionärin unterwegs ist, wurzelt in ihrer Kindheit. Ihre Eltern haben durch Krankheit und Verkehrsunfall zwei Söhne verloren, sie zwei Brüder. „Die Trauer wurde in der Familie totgeschwiegen, einfach verdrängt. Als Kind zieht man sich dann automatisch zurück, möchte nicht zur Last fallen, schaltet in eine Art Überlebensmodus. Wenn Trauer aber nicht verarbeitet wird, wird sie zum Trauma, bestimmt das ganze Leben und wird weitervererbt.“

Irgendwann, nach Jahren des Ringens mit sich selbst, nach Jahren der Suche nach Antworten, hat sie ihre Familiengeschichte aufgerollt und sich aufgemacht. Hat ihrem unbewussten Bedürfnis im Bereich Trauer und Tod zu forschen und tätig zu sein Raum gegeben. Um ihrer selbst willen und letztendlich, um anderen Menschen zu helfen. „Wenn du ein gutes Leben haben möchtest, dann gehört die ganze Bandbreite an Gefühlen und damit auch die vermeintlich dunkle Seite dazu. Aber wer hat schon gelernt, damit umzugehen. Irgendwann aber können die oftmals erzwungenen guten Gefühle nicht mehr. Denn Trauer kann man nicht wegmachen. Sie kommt durch die Hintertür. Durch körperliche Symptome, durch Depressionen, durch viele Dinge.“

Mit Meditation in den Tag

Ihren Tag beginnt Birgit Schneider mit Meditation, mit Zeit für sich. Um Trauernden ihre Zeit schenken zu können. Und der Bedarf wird größer. Denn Corona ist ein Brennglas für das, was gerne unter den Teppich gekehrt wird. Weil es keine Ablenkung mehr gibt, weil die Konsumgesellschaft ausgebremst ist, weil der Mensch auf sich zurückgeworfen wird. „Gerade in unserer Gesellschaft bekommen wir stets suggeriert, dass es erstrebenswert ist, in Glück zu leben, immer die Nase oben zu haben, immer Spaß zu empfinden. Aber das ist nicht das Leben. Die Medaille hat zwei Seiten“, sagt Birgit Schneider, die als Trauerbegleiterin keineswegs nur mit dem Tod zu tun hat.

Weil Trauer eben nicht nur das eine ist. Sondern ein Konglomerat aus ganz vielen Emotionen und Stimmungen wie beispielsweise Wut, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit.

Was sie sich wünscht, ist eine Bewegung im Land, die hilft mit Trauer umzugehen. Die Mut schafft, sich zu begegnen, sich auszutauschen, die Trauer nicht auslagert. „Wir brauche nicht noch mehr Experten, wir brauchen den richtigen und bewussten Umgang mit uns selbst und unseren Mitmenschen. Wir gehen ja auch nicht zum Liebesexperten, wenn wir verliebt sind“, beschreibt Birgit Schneider ihre Vision: dass das, was sie in ihrem ´Job` macht, selbstverständlich für jeden in der Gesellschaft sein müsse: Trauer zu sehen, sie zulassen, zeigen und aushalten zu dürfen.

Ressourcen aktivieren

„Wir haben so viele Ressourcen in uns. Die müssen wir freilegen und aktivieren. Nur nicht jeder entscheidet sich dazu“, betont sie wie wichtig es ist, im Alltag schon früh auch kleine Verluste bewusst wahrzunehmen. Auch mit Kindern darüber sprechen, wenn sie traurig sind. Beispielsweise beim Übergang von der Kita zur Schule könne ja durchaus auch Traurigkeit mitschwingen. Und natürlich auch, wenn das Häschen stirbt. Sprüche wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, „Reiß dich zusammen“ oder „Wenn du aufhörst zu heulen, bekommst du ein Bonbon“ würden da wenig helfen. „Warum erlaubt man nicht zu weinen, bis der Betroffene selbst sagt, dass der Schmerz zu Ende ist?“

Jetzt, in Coronazeiten arbeitet Birgit Schneider als Trauerbegleiterin und Visionärin zumeist im Home-Office. Am Telefon und online. Und wie viele andere hat sie die Erfahrung gemacht, dass da ganz viel geht. Zum Beispiel sich im virtuellen Raum zu treffen und auszutauschen. Am morgigen Sonntag hat sie zu einem virtuellen Trauercafé eingeladen. Zusammen mit Bestattungsmeisterin Daniela Jung aus Olpe, mit der sie sowieso und grundsätzlich daran arbeitet, Tabus aufzubrechen, Netzwerke und neue Strukturen der Trauerarbeit zu entwickeln und zu etablieren.

Jeder Tag ist ein Geschenk

„Je mehr man Trauer als dazugehöriges, normales Gefühl annimmt, das man nicht schnell wegmachen muss, umso größer wird der Radius der möglichen Handlungsfelder. Und umso mehr erfährt man über sich selbst und das Leben“, sagt Birgit Schneider. Das Leben sei schließlich endlich und es sei ein großes Geschenk. Jeden Tag neu. „Im Hier und Heute zu leben, das Beste daraus zu machen, ist die Aufgabe von einem jeden selbst. Und immer eine Frage des Standpunktes.“