Attendorn. Unsere beliebtesten Plus-Texte, heute: Cen fällt mit ihren Tattoos, auch im Gesicht, auf. Aber: Sie fühlt sich wohl im Sauerland.

Dieser Artikel ist zum ersten Mal am 11. November erschienen.

Im Grunde bereut Cen nichts. Auch nicht, dass sie sich damals den Namen ihres Mannes auf die rechte Schläfe hat tätowieren lassen. „Dabei sage ich meinen Kunden immer selbst, dass sie sich nicht den Namen ihres Partners stechen lassen sollten“, so die 33-Jährige. „Fluch des Freundes“, nennt sie das. Denn wenn die Beziehung in die Brüche geht, wird aus der anfangs romantischen Idee des Partner-Tattoos schnell ein Makel, den man am liebsten ausradieren möchte. So auch bei Cen, als sie sich später von ihrem Mann getrennt hat.

„Ich habe mir das Tattoo weglasern lassen. Den Rest decke ich mit Make-up ab“, sagt sie. Tatsächlich fällt der verblichene Schriftzug oberhalb der Augenbraue kaum auf. Denn ob Stirn, Kieferpartie, Kinn oder Hals: Die anderen Tattoos lenken davon ab.

Das Studio

Cen trägt kein Langarm-Shirt – das sind Tätowierungen.
Cen trägt kein Langarm-Shirt – das sind Tätowierungen. © Privat

Cen, eigentlich Cennet Jennifer Dorn-Dikov, ist Tattoo-Künstlerin und betreibt seit mittlerweile fünf Jahren das Studio „Hypnotic Tattoo“ in Attendorn. 160 Quadratmeter Ladenfläche. „Ich wollte mich von den anderen Studios abheben, nicht irgendetwas mit Flammen dekorieren“, erzählt sie. Stattdessen: Goldakzente. Eine goldfarbene Poledance-Stange im Eingangsbereich – nur zu Dekozwecken –, dazu eine goldglänzende Couchgarnitur, eine goldgeflieste Theke im hinteren Bereich, ein riesiger Totenkopf auf dem Fußboden im Behandlungsraum. „Ich habe mich da an Harald Glööckler und seiner Marke ‘Pompöös’ orientiert“, erklärt sie. Dazwischen: Bilder von Marilyn Monroe oder Elvis und Tattoo-Skizzen, die an den Wänden hängen. Es ist bunt. So wie Cen selbst.

Die Anfänge

„Mein erstes Tattoo habe ich von meinem damaligen Freund zu meinem 18. Geburtstag geschenkt bekommen“, erinnert sie sich. Eigentlich wollte sie sich schon mit 15 ein sogenanntes „Arschgeweih“ stechen lassen. „Meine Mama hatte mir das aber verboten. Zum Glück“, sagt sie heute. Mit 18 wurde es schließlich ein kleines Teufelchen auf der Niere. Eine der schmerzhaftesten Körperstellen, wenn es um Tätowierungen geht. „Ich habe mich damals echt gefragt, wie man so etwas machen kann und wollte mir nie wieder ein Tattoo machen lassen.“ Sobald es allerdings fertig war, sei der Schmerz vergessen gewesen. Ein bisschen so wie bei der Geburt eines Babys. „Als ich dann aus dem Tattoo-Studio ‘rausgegangen bin, habe ich mir überlegt, dass ich eigentlich auch ein chinesisches Zeichen auf dem Knöchel ganz schön fände.“ Ab da ging alles ganz schnell. Und noch schneller als sie mit einem Tätowierer zusammenkam. „Es ist eine Sucht“, gibt Cen zu.

Die Ausbildung

Nach ihrer Mittleren Reife – an einer bischöflichen Gesamtschule in Münster – fängt Cen mit 16 Jahren zunächst eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin an. „Eigentlich wollte ich schon damals etwas im künstlerischen Bereich machen, mit meinen Händen etwas erschaffen. Ich wollte eigentlich zur Kunstakademie in Münster gehen.“

Doch der Liebe wegen sei sie nach Wetter gezogen und habe zunächst einen anderen Weg eingeschlagen. Ihr damaliger Freund, der Tätowierer, habe sie bei seiner Arbeit miteinbezogen, indem er unter anderem ihre Zeichnungen als Tattoo-Vorlagen für Kunden verwendete. „Irgendwann meinte er dann zu mir, dass ich es doch auch mal mit der Maschine ausprobieren könnte.“ Da war sie 19. Ihr erstes Tattoo: direkt auf der Haut ihres Freundes.

Die Umorientierung

Viel Gold, Totenköpfe und Tattoo-Zeichnungen: So sieht es im Tattoo-Studio Hypnotic Tattoo in Attendorn aus.
Viel Gold, Totenköpfe und Tattoo-Zeichnungen: So sieht es im Tattoo-Studio Hypnotic Tattoo in Attendorn aus. © WP | Britta Prasse

Aus dem Ausprobieren wurde ein Hobby und schließlich ein Beruf, als Cen wegen einer Verletzung am Handgelenk ihren Job als Zahnarzthelferin vorübergehend nicht mehr ausführen konnte. „Ich habe das als Chance genutzt, um mich selbstständig zu machen“, sagt die 33-Jährige. 2012 tauschte sie schließlich die Zahnarztpraxis in Wetter gegen ein Tattoo-Studio in Dortmund.

Zwei Jahre später kam sie nach Attendorn – der Liebe wegen. „Das war die beste Entscheidung hier ins Sauerland zu gehen“, ist sie überzeugt. „90 Prozent meiner Kunden kamen eh aus dem Sauerland. Außerdem ist es hier nicht so anonym wie im Ruhrgebiet. Ich mag das.“

Das Selbst-Verständnis

Cen hat unzählige Tattoos, die auch Gesicht, Hals und Hände zieren. Sie fällt auf. Das ist gewollt. Provozieren möchte sie damit aber nicht. „Wenn man so aussieht, wird man schnell in eine Schublade gesteckt. Tätowierungen haben ihren Ursprung im Gefängnis. ‘Das haben Knastis.’ Das bekommt man nur schwer aus den Köpfen ‘raus.“ Cen rebelliert dagegen – mit Tattoos. Es ist eine Form von Persönlichkeitsdarstellung und Kontrolle über den eigenen Körper. Der Körper ist die Leinwand, die Tattoos die Kunst, die etwas zum Ausdruck bringt.

>>> BEI YOUTUBE UND INSTAGRAM AKTIV

  • Den Lockdown möchte sie nutzen, um sich mehr ihren Hobbys zu widmen, zum Beispiel dem Singen. Außerdem wird sie Skizzen und Zeichnungen für anstehende Tattoos vorbereiten. „Und ich werde viel Zeit mit meinen beiden Hunden verbringen“, sagt sie.
  • Beim ersten Lockdown hat Cen die Corona-Einmalhilfe in Höhe von 9000 Euro in Anspruch genommen. Monatlich habe sie Ausgaben von rund 5000 Euro, um die Miete und die Mitarbeiter zu bezahlen. Wie viel Entschädigung sie für diesen Monat bekommt, muss sie noch mit ihrem Steuerberater klären.
  • Unter ihrem Künstlernamen „Cen Evil“ ist sie unter anderem bei Youtube und Instagram aktiv.

Die Reaktionen

Nicht alle sind Fans dieser Kunstform. Cens Mutter, zum Beispiel. „Wenn ich sie besuche, fragt sie mich immer, ob dieses oder jenes Tattoo schon wieder neu ist. Nach zwei Minuten hat sie sich dann aber auch wieder beruhigt“, erzählt Cen und lacht. „Sie meint, sie habe damals immer darauf aufgepasst, dass ich als Kind keine Narben oder Ähnliches bekomme. Dass ich hübsch aussehe. Dann erkläre ich ihr, dass ich mich aber mit den ganzen Tattoos hübsch finde.“

Und die Leute auf der Straße? „Tatsächlich bekomme ich von einigen älteren Leuten Komplimente. Die schauen mich dann interessiert an und sagen mir: ‘Mensch, das steht Ihnen aber gut!“ Die Menschen, die kopfschüttelnd an der Supermarkt-Kasse stehen und eine halblaute abfällige Bemerkung machen, seien eher die Ausnahme.

Dass sie ihre Tattoos im Alter bereut, glaubt Cen nicht. „Alte Haut ist eben schlaff und faltig. Vielleicht kann man das mit den Tattoos sogar noch ein bisschen kaschieren.“

Als Tattoo-Model wird sie dann wohl nicht mehr vor die Kamera treten. Aber bis dahin ist noch viel Zeit. Zeit, in der sicher noch einige Tattoos dazu kommen werden.