Olpe. Diplom-Sozialpädagogin leitet das Mutter-Kind-Haus-Aline in Olpe. Ende Februar geht sie in den Ruhestand.
Das Mutter-Kind-Haus Aline in Trägerschaft der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (GFO) wurde im Januar 1997 eröffnet. Der Name Aline ist der Rufname der Ordensgründerin Maria Theresia Bonzel. Heute ist die Einrichtung die größte ihrer Art in Deutschland und steht seit Beginn unter der Leitung von Annette Sawitza.
Anfang kommenden Jahres, Ende Februar, geht die Diplom-Sozialpädagogin im Alter von dann 66 Jahren in den Ruhestand. Mit unserer Redaktion blickt sie auf die Anfänge des Hauses zurück, auf die Entwicklungen und die Herausforderungen.
Hallo Frau Sawitza, Sie schauen auf fast ein Vierteljahrhundert Mutter-Kind-Haus. Da darf man ein bisschen stolz sein, oder?
Annette Sawitza: Ja, sicherlich. Aber an erster Stelle dankbar. Nur durch das große Engagement aller Mitarbeiter und vieler Förderer und Freunde war es möglich, dass sich unsere Einrichtung zu der entwickelte, die sie heute ist. Natürlich waren gerade die Anfänge ganz besonders schwierig. Schwester Magdalis und ich saßen hier und dachten: Gehen wir es an! Die größte Herausforderung dabei war, den Spagat zu schaffen zwischen Helfen und Gutes tun wollen, aber in professioneller Art. Es war ein harter Weg und wir haben viel Lehrgeld bezahlt.
Wie kam es zu der Gründung des Hauses?
Initiatoren waren Elsbeth Rickers, die ja auch die geistige Mutter des 1992 gegründeten Mutter-Kind-Hilfe e.V. war, und die damalige Generaloberin der Franziskanerinnen, Sr. Xaveria Kronen. Hier im Stammhaus befand sich davor die Pflegevorschule, an der ich unterrichtet habe. Es war so, dass es dem Verein alleine unmöglich war, den sozial benachteiligten Müttern und Kindern die erforderliche Unterstützung und pädagogische Begleitung im ganzen Umfang zu bieten. Um das zu stemmen, brauchte es andere Strukturen. So entstand also die Idee des Mutter-Kind-Hauses. Die Beziehung zwischen Verein und Aline ist bis heute sehr eng. Ebenso die zu der im Jahr 2000 gegründeten Mutter-Kind-Stiftung, die errichtet wurde, um die Arbeit des Vereins langfristig zu sichern. Auf die Unterstützung des Vereins, der Stiftung und vieler anderer engagierter Menschen baut unsere Arbeit bis heute.
Wie genau sieht die Arbeit von Aline aus?
Mütter, Väter und deren Kinder, die bei uns leben, bringen unterschiedliche Problematiken mit, die sich im familiären, sozialen und psychischen Bereich zeigen können. Es geht darum, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen können, dass sie einen Schulabschluss und eine Ausbildung erreichen, also auch um die Integration ins Erwerbsleben und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Wenn Mütter, Väter, Eltern mit ihrer eigenen Entwicklung, ihren eigenen Problemen beschäftigt sind, ist es mitunter schwer, aus eigener Kraft die volle Verantwortung für ihr Kind zu übernehmen. Wir helfen, dass sie zu einer positiven Mutter-Kind-Beziehung oder Vater-Kind-Beziehung finden und ein gemeinsames und stabiles Leben mit Perspektive führen können.
Wer kann eigentlich in das Mutter-Kind-Haus einziehen und wer bestimmt darüber?
Den Bedarf ermittelt das jeweils zuständige Jugendamt, in dessen Bezirk die/der Kindes-Mutter/Vater lebt. Es geht um Mütter/Väter, die es alleine nicht schaffen können und somit einen Unterstützungsbedarf haben, um für sich und ihr Kind eine gemeinsame Lebensperspektive entwickeln zu können. Zusammen erstellen wir dann einen Hilfeplan, gucken, was wir anbieten können. Wir haben Belegungen aus ganz Deutschland. Der Bedarf ist enorm und sehr unterschiedlich. Mit unseren verschiedenen Betreuungsformen und Leistungspaketen an den unterschiedlichen Standorten versuchen wir dem gerecht zu werden. Ein Grundsatz in unserem Haus ist: Wir fördern und wir fordern. Wir begegnen unseren Bewohnern mit Wertschätzung, aber mit konsequenter Linie.
Stichwort Betreuungsformen. Aline ist deutschlandweit das größte Mutter-Kind-Haus mit bald sechs Standorten…
Ja, genau. Ende Januar 2021 eröffnen wir in Drolshagen, direkt gegenüber des GFO-Seniorenzentrums St. Gerhardus einen weiteren Standort. In sechs Appartements finden hier insgesamt 16 bis 18 Eltern und Kinder Platz. Das Konzept ist wie das der „Perspektiv-Wohngruppe“ bzw. „Klärungsgruppe“, die wir unweit des Stammhauses am Kimicker Berg 2015 installiert haben. Da geht es um eine besonders enge Betreuung und Begleitung und psychologische Diagnostik in einem begrenzten Zeitraum. Hier wird ganz speziell geschaut, wo die Reise hingehen kann. Diese Betreuungsform wird von den Jugendämtern stark nachgefragt.
Welche Entwicklungen, gesellschaftlich und bedarfsorientiert, haben sie in den letzten 25 Jahren beobachtet?
Die psychischen Probleme haben ganz klar zugenommen. Einige können den Unterstützungsbedarf, den sie haben, deshalb nicht erkennen. Es fällt ihnen dementsprechend schwer, sich auf die Hilfe einzulassen. Viele junge Frauen sehnen sich nach einem Familiensystem, das sie selbst nie erlebt haben. Besonders belastend ist es - auch für uns -, wenn wir im Hilfeverlauf feststellen, dass aufgrund einer großen Problemkonzentration in der Mutter/Vater-Kind-Beziehung aktuell keine gemeinsame Lebensperspektive entwickelt werden kann, wir dann in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt über eine mögliche Trennung von Mutter/Vater und Kind nachdenken müssen. Seit einigen Jahren haben wir auch alleinerziehende Väter. Da hat sich das Bewusstsein sehr gewandelt.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern?
Es müsste mehr in die Prävention investiert werden. Mitunter wird zu lange gewartet und geguckt, dann eine ambulante Betreuung installiert. Das reicht oft nicht. In vielen Fällen sind es Systeme und Strukturen, in denen sich alles wiederholt. Wir müssen die Schleife unterbrechen. Wenn zum Beispiel eine 14-jährige Mutter durch ihren Aufenthalt bei uns ihren Schulabschluss macht, insgesamt in ihrer Persönlichkeit gestärkt wird, erlebt, wie ein Zuhause ist und lernt, kritisch zu schauen, dass dem Kind nicht das gleiche passiert, wie ihr selbst -… Missbrauch, Gewalt - dann haben Mutter und Kind wirklich eine Chance.
Ihre Bewohner machen hier in Olpe und Umgebung ihre Ausbildung, gehen zur Schule und bewegen sich überhaupt im Stadtbild. Begegnen sie da auch Vorurteilen?
Größtenteils nicht. Die Menschen hier haben eine große Akzeptanz. Es gibt auch viele, die uns unterstützen. Zum Beispiel durch Spenden oder durch unsere ehrenamtlichen Ersatz-Omas. Nichtsdestotrotz kommt es immer wieder mal vor, dass Leute ihre Vorurteile nicht im Zaum halten können. Sie verstehen nicht, dass junge Frauen, selbst noch Kind, ein Kind bekommen. Dabei haben sie sich doch dann für das Leben entschieden. Wie kann man das nur verurteilen? Gesellschaftspolitisch wünsche ich mir tatsächlich mehr Verständnis. Der Wunsch nach Familie ist ein Urbedürfnis.