Kreis Olpe. Leo kam als Mädchen zur Welt, Kathi als Intersexuelle. Sie erzählen von Anfeindungen, dem Outing und von ihren neuen, eigentlichen Geburtstagen.

„Wie können deine Eltern dich lieben?“ oder „Menschen wie dich hätte man früher vergast!“ Leonard Niemann aus Olpe und Miriam Katharina Praschl aus Hünsborn mussten sich schon einige Hasskommentare anhören. Weil sie anders sind, obwohl sie es nie sein wollten. Weil sie darauf hinarbeiten müssen, „normal“ zu sein. Weil die Natur einen Fehler bei ihnen gemacht hat. Denn Leo ist als Mädchen zur Welt gekommen. Kathi war intersexuell, ihr Geschlecht bei der Geburt war also nicht eindeutig.

Kathi erinnert sich genau an das Datum ihres Coming Outs, der Tag, an dem sie sich selbst eingestand, dass sie eine Frau ist. „Es war der 31. Dezember 1999“, sagt die heute 46-Jährige mit einem Lächeln. Einen Tag später, direkt im neuen Jahrtausend, hatte sie ihr Outing, erzählte ihrer Familie und ihren Freunden, dass sie jetzt Kathi ist. Erleichterung. Ein langer Leidensweg lag da bereits hinter ihr. „Eigentlich wusste ich schon als kleines Kind, dass ich nicht im richtigen Körper steckte“, sagt sie. Weil sie als Intersexuelle auf die Welt kam und das Gesetz damals nur weiblich oder männlich als Geschlecht anerkannte, entschieden ihre Eltern über ihr Geschlecht. Sie machten sie männlich. Und damit unglücklich.

Die Entscheidung

Einen Vorwurf macht sie ihren Eltern deswegen nicht. Es waren andere Zeiten, Transsexualität wenig bis gar nicht erforscht. Daran änderte sich lange auch nichts. „Als ich mich vor 20 Jahren geoutet habe, hatten die lokalen Mediziner so gut wie gar keine Infos dazu“, erinnert sich Kathi. Sie suchte sich die Infos also selbst zusammen, durchforstete Internet-Foren, suchte Gleichgesinnte, baute sich ein Netzwerk auf. Ihr half das, sich selbst besser verstehen zu können. Ihre Eltern hingegen taten sich schwer mit der Umstellung. „Wir hatten eine Zeit lang kaum bis gar keinen Kontakt“, erzählt Kathi. Natürlich sei das traurig und hart gewesen. Doch jeder Transsexuelle stehe irgendwann vor einer Entscheidung: zu sich selbst stehen oder seine Persönlichkeit unterdrücken, um dem Umfeld und der Gesellschaft nicht aufzufallen. Kathi hat sich für sich entschieden.

Die Angst

Auch interessant

Das hat auch Leo getan. Der 22-Jährige kann sich an eine ausschlaggebende Situation in der Schule erinnern. Da war er elf Jahre alt. „Damals habe ich gesagt: ‘Ich bin gar kein Mädchen!’ Das hat für so viel Verwirrung gesorgt, dass meine Eltern zur Schule bestellt wurden. Ich habe diese ganze Aufregung gar nicht verstanden.“ Für ihn war es schon immer so gewesen, dass er lieber mit der Eisenbahn als mit Puppen gespielt hat oder sich beim Verkleiden die Klamotten von seinem Vater und größeren Bruder geschnappt hat. Doch auch Leo wollte das Normdenken seiner Eltern nicht enttäuschen. Zumindest hatte er Angst vor Ablehnung und Ausgrenzung. „Ich war die einzige Tochter und bin mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen. Meine Eltern hatten schon genug mit mir zu tun“, empfand Leo damals.

Der Wendepunkt

Hilfsangebot für Transmänner, -frauen und Angehörige

Die Selbsthilfegruppe für Transgender in Olpe trifft sich jeden ersten und dritten Samstag. Wer sich der Gruppe anschließen möchte, meldet sich bei Leonard Niemann, 02761/8011100. Es gibt auch eine Selbsthilfegruppe für Angehörige in Olpe. Sie treffen sich am letzten Dienstag im Monat.

Mit 18 Jahren verliebte sich Leo. In einen Transmann. „Durch ihn habe ich mich auch mit mir selbst mehr auseinandergesetzt“, erzählt Leo. Er hat neue Wege kennengelernt und am Ende steht sein Entschluss fest. Wobei es keine Entscheidung, sondern eine logische Konsequenz war. „Ich will kein Junge sein. Ich war schon immer ein Junge. Ich muss mich nur mehr anstrengen, wie einer zu sein“, betont er. Deswegen sei es seiner Meinung nach auch nicht mutig, diesen Schritt zu gehen. Sondern notwendig. Das haben auch seine Eltern erkannt, die ihn als das akzeptieren und lieben, was er ist: ihr Kind.

Der Kampf

Bis zu ihrem Outing war es jedoch ein langer Weg für Kathi und Leo. Ein Weg, der wehgetan hat. Die Fragen nach dem „Wer bin ich?“, „Wer will ich sein?“ und „Warum lässt sich beides nicht in Einklang bringen?“ sind tiefgreifende Sinnfragen. Fragen, auf die sie zunächst nur schwer Antworten finden. Es wird zu einem Kampf, der Spuren hinterlässt. Kathi bekommt Depressionen, durch die sie zeitweise arbeitsunfähig ist. Auch bei Leo werden Depressionen diagnostiziert, dazu eine Borderline-Störung.

Er versucht sogar, sich das Leben zu nehmen. Der Tiefpunkt. Er wird mehrere Wochen stationär in einer psychiatrischen Klinik behandelt. Dort lernt er, sich anzunehmen, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Er lernt, dass es möglich ist. Der Kampf geht weiter. Aber mit mehr Zuversicht.

Die Verwandlung

Was Leo abseits der Psychotherapie geholfen hat, war seine Verwandlung durch die Hormonspritzen. „Als ich gemerkt habe, dass meine Stimme tiefer wurde und ich meine ersten, feinen Barthaare bekam, habe ich mich wahnsinnig gefreut“, erzählt er. Seine erste Spritze bekam er am 16. Juli 2019. „Das ist mein zweiter Geburtstag.“ Für Kathi hingegen ist es das Datum ihres Outings, das alles veränderte. Wann sie genau mit der Östrogen-Therapie angefangen hat, kann sie nicht mehr genau datieren. Für beide stehen jedoch noch die geschlechtsangleichenden Operationen aus. Immerhin: Die Krankenkasse hat bereits die Brustamputation für Leo bewilligt. Auch davon erzählt er mit einem Lächeln. „Ich würde die OP am liebsten so schnell wie möglich angehen, noch in diesem Jahr.“

Die Reaktionen

Auch wenn Leos Umfeld überwiegend positiv auf seine Verwandlung reagiert hat und auch Kathi mittlerweile wieder ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern hat: Schwierige Situationen gibt es für sie immer wieder. „Olpe will immer tolerant sein, tut sich aber schwer“, findet Leo. Bei der Wohnungssuche, zum Beispiel. Er hatte bereits eine Wohnung gefunden, auf dem Ausweis stand aber noch sein alter Mädchenname. Ein No-Go für den Vermieter.

Was sich Kathi und Leo wünschen? „Sich nicht mehr rechtfertigen zu müssen für das, was man eben ist.“ Auch das wird ein langer Weg werden. Für sie selbst, aber auch für die Gesellschaft.