Drolshagen. Start war in Wien, Zielpunkt war Nizza. Die Tour führte durch vier Länder – Österreich, Schweiz, Frankreich und Italien.

Vor zwei Jahren war Immanuel David Barkholz noch ein anderer Mensch. Mit 16 Kilogramm Gewicht mehr auf den Rippen, wenig Lust an Bewegung und viel lieber ein „Couchpotato“ nach getaner Arbeit. Zum Leidwesen seiner sportlichen Frau, die ihn förmlich vom Sofa ziehen musste. Dann brach er sich das Schlüsselbein, durfte zwei Monate nicht arbeiten und hatte viel Zeit. „Mein Arzt sagte, ich könne alles machen, auch 80 Kilometer am Tag laufen, nur eben den Arm nicht mehr als auf Schulterhöhe heben“, erzählt Immanuel.

Was sein Arzt als reine Überspitzung meinte, nahm der 30-Jährige ernst. Er fing an zu laufen. Und lief und lief. Jeden Tag. Und jeden Tag mehr. Als sein Arbeitgeber, die Gebr. Kemper GmbH, eine Mannschaft für den Olper Teamcup meldete, war er dabei. Der Mannschaftsstraßenlauf der Kreisstadt war sein erster Wettkampf, sein bisher größter Lauf-Battle der Köln Marathon und längst ist er erfolgreich mit der SG Wenden unterwegs. Parallel zum Lauftraining kaufte sich Immanuel im vergangenen Sommer dann ein Rennrad. „Beim Laufen kann man viel falsch machen. Ich hatte ein Schienbeinkantensyndrom, meine Muskeln, Sehnen und Bänder überlastet. Also suchte ich einen Ausgleichssport, um meine Fitness nicht zu verlieren“, erzählt Immanuel, der heute fast täglich trainiert. Wenn er Frühschicht hat, setzt er sich aufs Rad, bei Spätschicht zieht er die Laufschuhe an. „Es wäre zu riskant, bei Spätschicht Rad zu fahren. Es muss mir ja nur ein Reifen platzen, dann stehe ich irgendwo an der niederländischen Grenze und komme nicht pünktlich zu meinem Arbeitsplatz.“ Nicht selten nämlich hat er mit dem Rad mehrere hundert Kilometer auf seinem Plan.

Teilnehmer sind auf sich gestellt

Nicht mehrere hundert Kilometer, sondern mehr als zweitausend Kilometer bei insgesamt 25.000 Höhenmetern hat er nun beim „Three Pikes Bike Race“ abgerissen. Im Team zusammen mit einem alten Schulfreund. Das Rennen ist eine nicht unterstützte Mehrtagestour im Wettkampfmodus, bei der alle Teilnehmer komplett auf sich selbst gestellt sind und Unterstützung von außen nicht erlaubt ist. Jedes Team oder jeder Einzelfahrer plant die Strecke selbst, verpflegt sich selbst, es gibt keine offiziellen Pausen und die Stoppuhr läuft durch. Vorgegeben sind lediglich ein paar Kontrollpunkte, die passiert werden müssen.

Start war in Wien, Zielpunkt war Nizza. Die Tour führte durch vier Länder – Österreich, Schweiz, Frankreich und Italien – über den Großglockner, als höchster Berg Österreichs auch die größte Herausforderung, den Sanetschpass in den westlichen Berner Alpen und den Mont Ventoux in der französischen Provence.

5000 Kilometer in neun Tagen

Als das härteste Radrennen der Welt gilt das „Race Across America“. In neun Tagen werden knapp 5000 Kilometer und über 50 000 Höhenmeter gefahren. Es geht von der West- zur Ostküste der Vereinigten Staaten.

Das indes längste Radrennen der Welt ist die „Red Bull Trans-Siberian Extreme“ mit 9287 Kilometern in 14 Etappen und 24 Tagen

„Bei so einer Tour lernst du deine eigenen Grenzen kennen“, resümiert Immanuel und erzählt davon, wie es ist, mehr als 20 Stunden täglich im Sattel zu sitzen, große Berge möglichst schnell zu erklimmen und zu hoffen, dem Körper mit kurzen Schlafpausen von wenigen Stunden etwas Erholung gönnen zu können. „Muskulär hatte ich keine Probleme. Beim Radfahren hast du beim Bergabfahren Entspannungsphasen, ganz im Gegenteil zum Laufen, bei dem dein Körper jede Sekunde gefordert ist. Irgendwann aber zerrt der Schlafmangel an deinen Nerven.“

Neun Tage sind für das „Three Pikes Bike Race“ vorgegeben. Immanuel und sein Teamkollege schafften es in sechs Tagen und 23 Minuten und machten damit den 3. Platz in der Teamwertung. „Wir waren tatsächlich gut dabei“, sagt der Drolshagener. Immerhin gehörten namhafte Radrennfahrer aus der Szene zum Teilnehmerfeld. „Wir sind auf Sicherheit gefahren. Es gibt also noch einige Möglichkeiten, zu optimieren“, spricht er davon, wie man das Equipment am besten montiert, was man packt, zum Beispiel Biwakdecke statt Schlafsack, von anderem mitgeschleppten Gewicht, das die Schnelligkeit hemmt, auch wenn es nur eine Fahrradhose mehr ist, von der Art und Weise der Verpflegung. „Da ist noch viel Zeit rauszuholen. Den zweiten Pass mussten wir rauf und wieder runter. Wir hätten unser Gepäck also unten lassen können. Wir sind zum Beispiel auch abwechselnd einkaufen gegangen. Erst der eine in den Laden, dann der andere, weil wir unser Equipment nicht unbeaufsichtigt lassen wollten. Andere waren da gelassener.“

Kamera im Auge gewünscht

Manchmal, sagt Immanuel, habe er sich eine Kamera im Auge gewünscht. Um die Landschaft aufzunehmen, denn für Fotos und Filme sei schlichtweg keine Zeit und wenig Muße. Weil man zu sehr mit dem reinen Fahren, mit dem Wettkampf an sich beschäftigt sei. Eine Nacht, als das Team einen Power Snap habe nehmen wollen, seien Wildschweine mit Gebietsanspruch gekommen. „Das wäre schon eine Dokumentation wert gewesen.“

In Nizza sind Immanuel und sein Kollege in den nächsten Bus gestiegen, um möglichst schnell nach Hause zu kommen. Urlaubstage sind schließlich gezählt. Im nächsten Jahr wollen er und sein Kollege auf jeden Fall beim NorthCape4000 dabei sein. Der Start ist immer irgendwo in Italien. Dann geht es entlang einer festgelegten Route bis ans Nordkap in Norwegen, dem nördlichsten Punkt von Europa und damit 4.000 Kilometer bis ans Ende der Welt. Ob Immanuel 2021 auch das „Three Pikes Bike Race“ wieder auf seinen persönlichen Terminkalender setzt, ist noch nicht sicher. „Ich muss sehen, ob das passt mit meinen freien Tagen. Zwischen den beiden Rennen liegen nur eineinhalb Wochen.“

Das Training tut Immanuel David Barkholz gut. Man sieht es ihm an. Die Ernährung habe er nicht bewusst umgestellt, sagt er, aber er gehöre inzwischen schon eher zu den Müsliessern. Seine Frau muss ihn auch nicht mehr zum Sport animieren. Im Gegenteil --- sie hat auch dahingehend nun einen echten Partner. „Manchmal sind wir inzwischen sogar Konkurrenten“, lächelt Immanuel.