Gerlingen. Die Ansiedlung des Online-Versandriesen Amazon in Gerlingen sorgt für Gesprächsstoff. Der Ort ist bereits stark durch den Verkehr belastet.

Amazon ist auf dem Sprung in die Gemeinde Wenden. Der Online-Versandriese will im Industriegebiet „Auf der Mark“ auf dem ehemaligen Otto-Gelände ein Verteilzentrum errichten – es wäre das erste in Südwestfalen. In Gerlingen formiert sich der Widerstand. „Wenn das wahr wird, dann können wir uns in Gerlingen ja direkt beerdigen lassen und der Verkehrskollaps wäre perfekt“ redet Ludger Brüser, Rentner aus Gerlingen, im Gespräch mit unserer Redaktion Klartext. Und: „Das könnte den Hünsbornern und Ottfingern sicher nicht passieren. Die werden sich totlachen und hätten auf verschiedenen Ebenen schon dagegen protestiert und die Vertreter und Bewohner dieser Orte wären aktiv geworden.“

Es sei unglaublich, dass so etwas überhaupt diskutiert werde für den Ort Gerlingen, der mit seinen Gewerbegebieten und dem Autobahnkreuz doch schon arg gebeutelt sei, betont der 67-Jährige: „Dass die Gemeinde wohl in Zukunft nicht mehr mit den Steuereinnahmen der Vergangenheit rechnen kann und daher solche Maßnahmen in Betracht zieht, ist verständlich, aber das Befinden der Bürger sollte auch in Betracht gezogen werden. Die Gerlinger sollten mit allen Mitteln dies verhindern und dagegen protestieren. Der Hüppcherhammer kann bestimmt solch eine Ansiedlung besser vertragen und Amazon würde die Kassen in Olpe unterstützen.“

Antrag der CDU Gerlingen

Auch die CDU Gerlingen macht mobil gegen die Amazon-Pläne. In einem Schreiben an Bürgermeister Bernd Clemens heißt es: „Die Ortsunion Gerlingen bittet Sie, alles zu unternehmen, damit eine Ansiedlung von Amazon im Industriegebiet Gerlingen verhindert wird. Wir sind die Ortschaft in der Region, die am meisten unter der Verkehrssituation der BAB-Kreuzung mit Abfahrten leidet. Zusätzlich sollen nun im Rahmen der Ansiedlung von Amazon noch einmal bis zu 400 bis 500 Lkw-Bewegungen durch Gerlingen pro Tag stattfinden. Eine völlig unzumutbare Situation.“

Im Jahr 1990 verkauft

Im Jahr 1990 hatte die Firma Otto das Gelände von der Gemeinde Wenden gekauft.

Im vergangenen Jahr sind 50.000 Quadratmeter - ein Teil des früheren Geländes der Firma Otto - von einer Immobiliengesellschaft, die zum Unternehmen Otto gehört, weiter an die INTERRA Immobilien AG in Düsseldorf verkauft worden.

Auf Anfrage sagt Bürgermeister Bernd Clemens, der den Rat im nichtöffentlichen Teil der Ratssitzung am 14. Juli über die Amazon-Pläne informiert hatte, dass es sich um eine rein private Angelegenheit handelt: „Wenn die ein Grundstück kaufen, sind wir als Gemeinde letztendlich außen vor.“ Grundsätzlich seien die Pläne wohl zulässig. „Aber der Verkehr macht es für uns auch bedenklich. Wir erwarten schon, dass sie uns aufzeigen, wie sich der Verkehr auswirkt. Das bedarf einer Abstimmung und einer genauen Betrachtung. Auch Straßen NRW ist mit im Boot“, so der Bürgermeister. Ein Bauantrag müsse gestellt werden wegen der Nutzungsänderung.

„Die Ansiedlung von Amazon sehe ich generell kritisch“, meint Jutta Hecken-Defeld, Vorsitzende der SPD Wenden. Bei Unternehmen solle darauf geachtet werden, dass sie der Gemeinde einen Mehrwert bieten: „Aber die Gemeinde hat es in diesem Fall nicht in der Hand, weil sie ja nicht selber an Amazon verkauft.“ Man müsse sich im Klaren sein, dass da überwiegend Arbeitsplätze für gering Qualifizierte entstehen: „Nach eigenen Angaben zahlt Amazon zwar mehr als den Mindestlohn, aber dennoch sind das nicht die Arbeitsplätze, die wir uns wünschen. Amazon steht in der Kritik, was den Umgang mit seinen Beschäftigten angeht. Hoher Leistungsdruck, Überwachung und gewerkschaftsfeindliches Verhalten werden moniert. Was die Verkehrsbelastung durch die Amazon-Verteilstation angeht, kann ich die Befürchtungen der Gerlinger gut nachvollziehen.“

Dieser Ansicht ist auch Thorsten Scheen (UWG): „Die Bedenken der Gerlinger sind berechtigt. Da ich selber zehn Jahre in Gerlingen gewohnt habe, ist mir die Verkehrsbelastung durchaus bewusst.“ Vorteil seien auf der anderen Seite 160 Arbeitsplätze für nicht studierte Fachkräfte: „Auch wir müssen Arbeitsplätze bereit halten und den Leuten eine Aussicht bieten, die auf dem Arbeitsmarkt nicht die Möglichkeiten besitzen. Dem sollte man sich als Politiker auch nicht verwehren und beides gegeneinander abwägen.“ Fakt sei aber, dass die Gemeinde Wenden nicht Herr des Verfahrens ist: „Man hat gehört, dass in Nachbarkommunen, wie dem Siegerland, Amazon teilweise abgelehnt wurde. Aber man muss deutlich sagen, dass es hierbei um Grundstücke in der Hand der Kommunen ging.“

„Ich bin da gar nicht glücklich drüber“, sagt Elmar Holterhof, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Grüne. Wenn dort in dem Verteilzentrum 150 Bezirke bedient würden, bedeute das große Lkw nachts und viele Kleintransporter tagsüber: „Das wäre schon eine starke Belastung für Gerlingen. Wenn wir das Grundstück noch hätten, würden wir es denen als Rat wohl nicht verkaufen, aber so können wir halt nicht viel machen.“

Kein Lager

Bei Amazon hält man sich noch bedeckt. „Wir prüfen derzeit die Möglichkeit, ein Verteilzentrum in Wenden zu eröffnen. Das Projekt befindet sich in einem frühen Stadium“, sagt auf Anfrage Nadiya Lubnina von der Amazon-Pressestelle. Es handele sich um ein Grundstück in Privatbesitz. Weitere Details könne man noch nicht mitteilen. In einem Verteilzentrum würden Pakete aus den Logistikzentren sortiert für die Auslieferung an den Kunden: „Die Anlieferung der Pakete aus den Logistikzentren erfolgt vor allem nachts. Mit der Sortierung werden die Routen für die Auslieferung berechnet. Die Pakete und die Routenplanung übergibt Amazon an die jeweiligen, lokalen Lieferpartner, die sie an die Kunden ausliefern. In einem Verteilzentrum haben wir kein Lager..“