Attendorn. Seit zehn Jahren führt Heinz-Jörg Reichmann die Sparkasse ALK. Im Interview spricht er über den Wandel der Bank und sein ungewöhnliches Hobby.
Baulärm dröhnt vom Klosterplatz durch das sperrangelweit geöffnete Fenster in das Büro von Heinz-Jörg Reichmann. 32 Grad sind es an diesem Mittag in der Vorstandsetage unter dem Dach der Sparkasse Attendorn-Lennestadt-Kirchhundem, aber der 48-Jährige zieht den natürlichen Luftzug der Klimaanlage vor, die theoretisch auch zur Verfügung stände.
An den Baulärm ist er ohnehin längst gewöhnt, vielleicht mag er ihn sogar. Denn noch bevor der Innenstadtumbau in Attendorn begann, hatte er sich vor genau zehn Jahren daran gemacht, die Sparkasse umzubauen. Und das zumindest nach außen hin weitgehend geräuschlos.
Im Interview blickt er auf ein Jahrzehnt an der Spitze der Sparkasse ALK, die Besonderheiten der Corona-Zeit und auf eine (gar nicht so) heimliche Leidenschaft.
Große Not vor allem bei den Geschäftskunden, aber kaum Beschäftigte in den Büros. Wie groß war die Corona-Herausforderung für die Sparkasse Attendorn-Lennestadt-Kirchhundem in diesem Frühjahr?
Heinz-Jörg Reichmann: Uns hat sehr geholfen, dass wir, seitdem ich hier vor zehn Jahren begonnen habe, an unserer Unternehmenskultur gearbeitet haben. Wir arbeiten heute lösungsorientiert und konzentrieren uns auf die Dinge, die wir auch ändern können. Und als es im März darauf ankam, als wir von einem Tag auf den anderen 80 Prozent der Belegschaft ins Home-Office geschickt haben, waren alle sehr fokussiert und auf einer pragmatischen Ebene unterwegs. Die Zusammenarbeit hier im Haus ist echt toll.
Sie glauben, zu Ihrem Start in Attendorn vor zehn Jahren wäre das noch anders gelaufen?
Damals gab es hier eine Angstkultur und eine Fehlervermeidungskultur. Das haben Umfragen einer Unternehmensberatung unter den Mitarbeitenden ergeben. Man hat also am liebsten nichts gemacht, dann konnte man auch keine Fehler machen. Es gab auch keinen Austausch. Selbst 20 Jahre nach der Fusion der Sparkassen Attendorn und Lennestadt-Kirchhundem kannten sich manche Kollegen immer noch bloß über das Telefon. Heute dagegen sind wir konditionell so fit, dass wir aus dem Stegreif einen Marathon gemeinsam laufen könnten.
Wie haben Sie dieses Level erreicht?
Mir war von Anfang an wichtig, eine Beziehung zu den Mitarbeitenden aufzubauen. Ich wollte alle persönlich kennen lernen. Ich hatte also ein großes, rotes Notizbuch und habe dort aufgeschrieben, was sie mir erzählt haben. Der beste Unternehmensberater ist doch der aus dem eigenen Haus. Nach 106 Tagen habe ich dann die strategische Ausrichtung für unsere Sparkasse dargelegt und konnte immer wieder Bezug auf das nehmen, was ich in den Gesprächen erfahren habe.
Mit welchen Herausforderungen sahen Sie sich damals konfrontiert?
Die Sparkasse Attendorn-Lennestadt-Kirchhundem hatte damals nicht den besten Ruf und war auch im Ranking der Sparkassen in unserem Verbandsgebiet, also in Westfalen-Lippe, oft im letzten Drittel und bei manchen Produkten sogar auf dem letzten Platz. Manche haben mich für verrückt gehalten, den Job hier zu übernehmen. Inzwischen liegen wir auf und teilweise über dem Durchschnitt. Den Westfalenwettbewerb im Bereich Versicherung haben wir jetzt sogar schon zweimal in Folge gewonnen.
Sie waren Bereichsleiter und Verhinderungsvertreter des Vorstands in Hemer und sind hier dann mit 37 Jahren direkt Vorstandsvorsitzender geworden. War Ihr Alter ein Hindernis oder eine Hilfe in dem Veränderungsprozess, den Sie angesprochen haben?
Ich hatte als Bereichsleiter in Hemer 12 bis 16 Mitarbeiter unter mir und hier in Attendorn dann 230. Das war auch eine spannende Lernkurve. Aber die einzige, die mich damals auf diese Altersfrage angesprochen hat, war meine Mutter.
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Gab es überhaupt keinen Widerstand?
Es gab manche, die gesagt haben: Das mag der richtige Weg sein, aber es ist nicht meiner. Ich habe mich aber bemüht, die Sorgen und auch Ängste, die mit dem Veränderungsprozess verbunden waren, wertfrei ernst zu nehmen. Kommunikation ist das A und O.
Sie haben den großen Handlungsbedarf, den Sie hier im Haus gesehen haben, dargestellt. Gab es auch etwas, worauf Sie aufbauen konnten?
Es gab und gibt hier eine unglaubliche Freundlichkeit. Das hat mich wirklich erstaunt. Ich habe anfangs immer gedacht, irgendwann fällt die Maske. Aber das ist sie bis heute nicht.
Auf welche Erfolge sind Sie im Rückblick besonders stolz?
Wir haben vor zwei Jahren zum Beispiel ein digitales Kundenfeedback auf den Weg gebracht. Zwei Tage nach einem Beratungstermin erhalten unsere Kunden eine E-Mail, in der Sie gefragt werden: Wie war das Gespräch? Das ist mittlerweile ein Standardangebot im gesamten Verbandsgebiet. Für unsere Mitarbeitenden ist es toll zu sehen, dass Innovation, die hier entsteht, auch anderswo angewendet wird.
Und wir haben die Stiftung neu ausgerichtet. Damals lag das Stiftungskapital bei 750.000 Euro, inzwischen konnten wir es durch Zustiftungen auf 3,5 Millionen Euro steigern. Damit haben wir zum Beispiel die Nixe am Biggesee, den Biggeblick und Kunst entlang der Lenne-Radroute ermöglicht.
Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Jahre gesetzt?
Wir haben in der Corona-Zeit den Bereich Video- und Telefonberatung ausgebaut. Auch der Bereich Online-Banking hat einen Schub erlebt. Wir haben also gut angefangen im Bereich Digitalisierung, wollen da aber noch besser werden. Bei allem Online-Hype glaube ich aber, dass das bodenständige Bankgeschäft in den nächsten Jahren eine Renaissance erleben wird. Die Kunden erachten unser traditionelles Geschäftsmodell nach wie vor als attraktiv.
Wenn Sie von bodenständigem Bankgeschäft sprechen, schließt das auch die Filialen in den Dörfern ein. Sie betreiben zwölf Geschäftsstellen und zwölf Geldautomaten. Wird das so bleiben?
Unser Geschäftsgebiet erstreckt sich auf 380 Quadratkilometer, und es stellt sich natürlich die Frage, wie wir das auf dieser riesigen Fläche hintereinander bekommen. Wir wollen vor Ort zumindest die Bargeldversorgung sicherstellen und betreiben daher manche Geldautomaten schon gemeinsam mit der Volksbank Bigge-Lenne. Betriebswirtschaftlich ist aber selbst das immer noch nicht komplett sinnvoll. Am Ende stimmen die Kunden mit den Füßen ab.
Sie wurden mit 27 Jahren Bereichsleiter, mit 37 Vorstandsvorsitzender. Das klingt nach einem perfekten Karriereplan.
Dabei wollte ich früher eigentlich Berufsschullehrer werden. Erst in der Ausbildung bei der Sparkasse in Hemer habe ich gemerkt: Das macht richtig Spaß hier. Über die Sparkassen-Akademie konnte ich dann berufsbegleitend Wirtschaftswissenschaften studieren und wurde relativ zügig Bereichsleiter. Und 2018 habe ich dann noch einen Master in Rhetorik, Rede und Kommunikation angeschlossen.
Also als Sie längst Vorstandsvorsitzender waren. Wie kam es dazu? Und kann das neben Ihrem Job zeitlich überhaupt funktionieren?
Das habe ich mit dem damaligen Vikar Jörg Heinemann, den viele hier in Attendorn noch kennen werden, angefangen, weil mich das Thema fasziniert hat. Das ist ja immer die Frage, wo Sie in Ihrer Freizeit die Prioritäten setzen und woran Sie Spaß haben. Seit 2019 bin ich als Doktorand an der Universität in Marburg angenommen.
Worüber schreiben Sie Ihre Doktorarbeit?
Es geht um visuelle Mittel in Argumentationsprozessen bei der Bankberatung.
Wie sieht Ihre persönliche Karriereplanung aus? Noch einmal zehn Jahre Sparkasse ALK?
Wissen Sie, eigentlich bin ich ein Gewohnheitstier. Ich war 19 Jahre in Hemer und bin jetzt zehn Jahre hier. Ich hätte nichts dagegen, auch noch die nächsten 20 Jahre hier zu sein. Es macht einfach Spaß.