Kreis Olpe. Kommen sich Ärzte und Apotheker in die Quere, wenn Apotheker auch impfen dürfen? Der Apothekerverband glaubt das nicht.
Für den Olper Allgemeinmediziner Dr. Martin Junker (73), der seit über 40 Jahren praktiziert, steht fest: „Impfverweigerer sind aus ideologischen Gründen gegen Impfungen. Die kann man nicht überzeugen, und die gehen auch nicht in eine Apotheke, um sich impfen zu lassen. Ich habe es jedenfalls aufgegeben, solche Grundsatzverweigerer zu missionieren..“
Die Argumente von Gesundheitsminister Spahn, man könne durch das Impfen in Apotheken Engpässen begegnen, hält Junker „für an den Haaren herbeigezogen. Ich habe noch nie einen Lieferengpass für Grippeimpfungen erlebt.“
Impfungen sinnvoll
Grundsätzlich hält Junker Grippeimpfungen für sinnvoll, vor allem bei sogenannten „Vervielfältigern“. Soll heißen, bei Menschen, die allein beruflich täglich mit unzähligen anderen Menschen in Kontakt kommen. Junker: „Die müssten von Amts wegen zur Impfung verpflichtet werden. Aber das hat Minister Spahn nicht in das neue Masernschutzgesetz ‘reingeschrieben.“
Modellprojektfür drei Jahre
Der Apothekerverband Nordrhein und die AOK Rheinland/Hamburg haben sich darauf geeinigt, dass ab Herbst 2020 Apotheker im Bereich Nordrhein erstmals gegen Grippe impfen dürfen. Es ist der bundesweit erste Vertrag für ein solches Modellprojekt, das über drei Jahre läuft.
Das Modellprojekt startet in den vier Regionen Duisburg/Niederrhein, Bonn/Rhein-Sieg, Essen/Mülheim/Oberhausen, Düsseldorf und Umgebung.
Dem Beispiel des Apothekerverbandes Nordrhein will der Apothekerverband Westfalen-Lippe folgen.
Eine Gefahr durch Nebenwirkungen oder heftige gesundheitliche Reaktionen sieht der Mediziner übrigens nicht: „Ich impfe im Durchschnitt pro Jahr rund 700 bis 900 Patienten gegen Grippe. Seit über 40 Jahren. Und ich habe noch nie ernsthafte Nebenwirkungen bei den Patienten festgestellt.“
Keine Konkurrenz zu Ärzten
Ulf Ullenboom (Apotheke am Markt, Olpe) und Vorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (Bezirksgruppe Olpe), könnte sich durchaus vorstellen, in seiner Apotheke zu impfen. Er kann auch Argumenten von Impf-Befürwortern in Apotheken folgen: „Ich glaube, die Hemmschwelle mancher Menschen, zur Apotheke zu gehen, ist einfach niedriger als für den Gang in die Arztpraxis.“ Das würde sicherlich auch für eine Grippeimpfung gelten.
Zielsetzung nachvollziehbar
Die Zielsetzung, die Grippequote für die über 60-Jährigen von derzeit rund 35 Prozent in Richtung 60 Prozent oder mehr zu steigern, ist für ihn nachvollziehbar. Eine Konkurrenzsituation zu den Ärzten sieht der Apotheker nicht. Ullenboom: „Deshalb werden ja nicht weniger Leute für die Impfung zum Arzt gehen, aber eben zusätzlich einige in die Apotheke. Das verbessert die Quote.“
Sein Kollege Dr. Gerd Franke (Linden-Apotheke Olpe) kann der Impf-Zulassung für seinen Berufsstand nichts abgewinnen: „Ich sehe so etwas eher skeptisch. Das ist nicht unsere Kernkompetenz. Ich habe das nicht gelernt.“ Derzeit müsse er sich mit der Frage zwar noch nicht konkret beschäftigen, ob er so etwas in seinen Apotheken ermöglichen würde, grundsätzlich stehe er dem Vorhaben aber distanziert gegenüber: „Lasst uns unser Kerngeschäft machen, mit vernünftigen, fairen Rahmenbedingungen.“
Wie die aktuelle Situation rund um das Thema „Impfen in der Apotheker“ für Westfalen-Lippe aussieht, erfragten wir beim dortigen Apothekerverband. Pressesprecherin Nina Grunsky: „Wir befinden uns in Gesprächen mit den zuständigen Krankenkassen und sind zuversichtlich, dass ein Modellprojekt im Herbst diesen Jahres starten kann.“
Gute Erfahrungen
Die Bemühungen des Gesetzgebers und des Apothekerverbandes fußten auf Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern: „Dort konnte die Impfquote durch die Hinzunahme der Apotheken erhöht werden.“
Einem möglichen Verdacht, die jetzige Initiative könne mit Blick auf eine Impf-Kampagne gegen das Corona-Virus zusammenhängen, erteilt die Verbandssprecherin eine Absage: „Das Gesetz wurde bereits 2019 auf den Weg gebracht, als noch niemand von Corona gesprochen hat.“
Auch, wenn die Grippe- und Corona-Impfung nichts miteinander zu tun hätten, sehe der Apothekerverband eine Dringlichkeit: „Es könnte fatal sein, wenn eine zweite Corona-Welle im Herbst oder Winter zeitgleich mit einer starken Grippewelle auftreten würde.“