Ihnetal. Christian Gräwe hat 14 Jahre im Männerballett Ihnetal getanzt. Jetzt steht er nur noch hinter der Bühne. Ein Besuch beim Training.

„Konzentriert euch“, ruft Christopher Kubiak bevor er zum Sprung ansetzt. Hochgeworfen von den Jungs des Männerballettes Ihnetal gleitet er durch die Luft, wird sicher aufgefangen. „Gleich nochmal“, sagt der Trainer, während sich die Gruppe in der Mehrzweckhalle Neu-Listernohl neu aufstellt. Schließlich soll bei der Premiere des neuen Tanzes alles fehlerfrei ablaufen. Im Hintergrund steht Christian Gräwe. Er bemalt die Kostüme, gibt ihnen den letzten Schliff. Hin und wieder wirft er einen Blick auf das Training. Es ist das erste Mal, dass der Attendorner nicht mittanzt. 14 Jahre lang stand er auf der Bühne. Wie ein Mann wohl zum Ballett kommt?

Es begann durch Zufall

Christian Gräwe ist 37 Jahre alt und lebt in Attendorn. Es war Zufall, dass der heute dreifache Familienvater zum Männerballett Ihnetal kam. Ein Freund machte ihn darauf aufmerksam. „Man hat ja zunächst erstmal Vorurteile und denkt an Männern im rosafarbenen Tutu“, erzählt Christian Gräwe und lacht. „Aber das ist natürlich nicht so. Nachdem ich das erste Mal zugesehen habe, war ich total begeistert. Und so bin ich geblieben.“

Christopher Kubiak lässt sich von seinen Jungs auffangen.
Christopher Kubiak lässt sich von seinen Jungs auffangen. © WP | Verena Hallermann

Natürlich war es zu Beginn nicht einfach. Die Schritte, die Choreografie, die Bühnenauftritte – all das muss erst gelernt werden. Aber Christian Gräwe findet sich schnell zurecht, wird von den Jungs unterstützt. „Es ist dieser Zusammenhalt, was das Männerballett Ihnetal auszeichnet“, erzählt der 37-Jährige. „Wir sind eine tolle Gemeinschaft.“

Das Training in der Mehrzweckhalle in Neu-Listernohl läuft zwischenzeitlich weiter. „Real Dreams – Wenn Träume wahr werden“ lautet das Tanzmotto dieser Session. Wie jedes Jahr laufen die Vorbereitungen schon seit Monaten. Regelmäßig treffen sich die Tänzer des Männerballettes, üben die Choreografie für die große Premiere. Bis dahin ist das Motto immer ein großes Geheimnis, nichts wird verraten. „Einen Durchgang machen wir noch“, ruft Christopher Kubiak. Also alles auf Anfang. Hauptdarsteller Marvin Besting legt sich auf das Bett, spielt mit dem Gameboy und schläft dann offenkundig ein. Doch plötzlich verändert sich die Szenerie. Monster tauchen auf, greifen mit ihren Klauen nach dem schlafenden Jungen. Sie reißen ihn aus dem Schlaf, tragen ihn aus dem Bett – entführen ihn in seine wahrgewordenen Träume. „Wir achten bei allen unseren Choreografien darauf, dass wir nicht nur tanzen, sondern dass wir eine Geschichte erzählen“, erklärt Christian Gräwe.

Es geht um weit mehr als Karnevals-Klamauk und belustigende Auftritte in Frauenklamotten. Das Männerballett Ihnetal steht für anspruchsvolle Akrobatik, beeindruckende, selbstgestaltete Requisiten, tolle Kostüme – und vor allem für eine motivierte Mannschaft. „Im Prinzip kann jeder bei uns mit machen“, sagt Christian Gräwe. „Das Tanzen, die Choreografien, das bringen wir ihnen bei“, sagt der Aquatherm-Mitarbeiter. „Wir achten vor allem darauf, ob die Männer menschlich zu uns passen. Das ist in so einem Team ganz wichtig.“ Der Zusammenhalt und das Training zahlen sich aus. Bei den NRW-Meisterschaften der Männerballette 2018 erreichte das Männerballett Ihnetal den dritten Platz. Auch bei den Deutschen Meisterschaften waren sie 2007 dabei und erreichten den neunten Platz. „Das ist schon mehr als beeindruckend, wenn man dabei sein kann und sieht, was dort geleistet wird“, sagt Christian Gräwe.

Eine wunderschöne Zeit

Zwei Jahre nach seinem Eintritt ins Männerballett Ihnetal entschied sich der heute 37-Jährige dafür, Teil des dreiköpfigen Trainerteams zu werden. Peter Pusch hörte auf und es musste Ersatz her. Damals gab es auch Interesse von Frauen, ins Team einzusteigen. Aber das Männerballett wollte ein reines Männerballett bleiben. Also übernahm Christian Gräwe den Posten – was er bis heute nicht bereut hat. „Es war eine sehr schöne Zeit“, sagt er. „Ich hatte wirklich tolle Momente. Die Auftritte auf den Bühnen, die Turniere. Das wird mir fehlen.“

Sein letzter Tanz in der vergangenen Session „Schach Matt“ steht fast symbolisch für das Ende seiner aktiven Zeit. Doch warum hört er auf? Letztlich ist es ein Zeitproblem, erklärt er. Er möchte sich künftig auf seine drei Kinder konzentrieren. Und außerdem geht er ja nicht ganz, fügt er hinzu. Auch weiterhin wird er Teil des Teams bleiben, sich um die Kostüme kümmern – denn wer einmal Mitglied wird, will es auch bleiben.

Seinen Platz im Trainer-Team hat mittlerweile sein Bruder Stefan Gräwe übernommen. Der 29-Jährige steht an der Seite von Christopher Kubiak und Philipp Neu. Alle drei machen nach dem Training in der Mehrzweckhalle einen zufriedenen Eindruck. Die Choreografie sitzt, die Premiere naht – Vorfreude auf eine neue, tolle Show. Christian Gräwe wird derweil hinter der Bühne sein und seine Jungs unterstützen.