Olpe. Eine ungewisse Reise aus Syrien nach Olpe: Die Flüchtlingsfamilie Alabdl Razak erzählt ihre Geschichte. Der Sport war wichtig bei der Integration.

Es ist kalt in dieser Nacht Anfang Dezember 2016 im Südosten Anatoliens. Immer wieder überqueren zahlreiche Flüchtlinge aus Syrien illegal die Grenze in die Türkei. Mit dabei der damals 16-jährige Sami Alabdl Razak, seine Mutter Iman Adi (43) und seine jüngeren Geschwister Hadi (8) und Nadrah (15).

„Es war der schlimmste Moment in meinem Leben“, blickt der mittlerweile 19-Jährige zurück auf diese Tage in größter Ungewissheit. Das ganze Drama läuft noch einmal wie ein Film vor seinen Augen ab. Der junge Basketballer Sami Razak kann jetzt in Olpe in Ruhe darüber sprechen – und doch sind die Emotionen unübersehbar. Der Vater, ein Elektroingenieur und ehemaliger syrischer Handball-Nationalspieler, ist bereits ein Jahr zuvor in Deutschland angekommen. Ebenfalls nach illegalem Grenzübertritt, dann auf dem Landweg über Griechenland und die Balkanroute; der große Flüchtlingstreck. Er will, dass die Familie nachkommt.

Haus und Hof verkauft

Sie haben Haus und Hof verkauft, alle Ersparnisse zusammengerafft. „Beim ersten Versuch“, erzählt Sami Razak, „fuhren wir von Hama, unserem Wohnort mit über einer halben Million Einwohner, mit dem Bus an die syrisch-türkische Grenze im Nordwesten. In der Dunkelheit gelangten wir in die Türkei, wurden aber von der Polizei aufgespürt, Pässe und Gepäck durchsucht und kurz in Gewahrsam genommen.“ Schließlich wurden sie zurück nach Syrien geschickt.

Wenig später der zweite Versuch. Die große Gruppe teilt sich. Mutter und Sami Razak werden von den beiden jüngeren Geschwistern getrennt. Wieder über die Grenze. Wieder Dunkelheit. Keine Ortskenntnisse. Und wieder die Polizei. Sami Razak: „Aber wir hatten uns im Wald versteckt. Die Polizei zog nach kurzer Zeit wieder ab.“

Drei Tage über Berg und Tal

Generalrichtung Nordwesten, Gaziantep. Millionenstadt. In der völligen Dunkelheit fanden sie vereinzelt Gegenstände, die auf eine nahe Ortschaft schließen ließen. „Wir irrten über drei Stunden über Berg und Tal. Dann hörten wir Gebetsrufe, eine Moschee. Türkisch. Zum Glück nicht arabisch. Syrien lag hinter uns“, erinnert sich Sami Razak.

Handykontakt mit dem Schlepper bestand. Aber wo waren die Geschwister? „Mama ist komplett ausgerastet, fiel kurzzeitig in Ohnmacht. Wo waren wir? Wir haben gehofft, dass Gott uns den richtigen Weg zeigt“, sagt Razak.

Große Verantwortung lastete auf dem 16-jährigen Sami. Dann die beruhigende Nachricht per Handy: „Die Beschreibung passt. Ein kleiner Junge ist dabei. Auch seine Schwester.“ Es folgte wieder ein Hinweis der Schlepper: „Versteckt euch gut. Wir kommen. Wir geben mit dem Transporter Lichtzeichen. Steigt schnell ein.“

Familienzusammenführung

Familienzusammenführung und Übernachtung in einem alten Bahnhof. Am Morgen Start. Rund 25 Personen im Transporter, keine Sitze, abgedunkelte Scheiben. Rund 18 Stunden Fahrt bis Istanbul.

Vorangegangen waren Jahre voller Angst und großer Unsicherheit in Hama. „Auch wenn Hama etwas weniger zerstört wurde als Homs, so blieb doch die quälende Angst. Entführungen waren an der Tagesordnung. Wir sahen keine Hoffnung mehr auf ein friedliches Leben“, sagt Sami Razak. Dann endlich Istanbul. Relative Sicherheit. Bei seiner Cousine fand die Familie Unterschlupf.

Dann ging alles ziemlich schnell. Mit regulärem Bus nach Ankara zur Deutschen Botschaft. Befragung. Überprüfung der Papiere. Antrag auf Visa für das Familienquartett. Nach nur einer Woche bekamen sie diese in Istanbul ausgehändigt. Der Rest war ein Flug nach Köln/Bonn – in die Sicherheit… und nach Iseringhausen. Flüchtlingsunterkunft, eine Einzimmer-Wohnung für die Familie. Zwei Monate. Endziel: Wohnung in Olpe am Hatzenberg.

Schnell Deutsch gelernt

Drei Jahre zuvor sprach Sami Razak nur Arabisch und ein wenig Englisch. Stand gut ein Jahr vor dem Abitur. Das Schlüsselerlebnis für die Sprache kam bei Lidl an der Kasse: „Ich verstand kein Wort, das war sehr ärgerlich. Mir war klar: Ich muss schnell Deutsch lernen. Und ich stellte fest, dass ich schnell lernte.“ Wie schnell, dokumentiert das Gespräch mit ihm. Der sympathische junge Syrer spricht nur mit leichtem Akzent, versteht jede normale Redewendung und drückt sich auch fehlerfrei aus. Ergebnis dieser Lernbereitschaft, dieses Wissensdurstes: Nach Haupt- und Realschulabschluss mit Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung am Berufskolleg strebt er nun das Fach-Abi an. Nicht ohne Stolz verweist er auf die „Empfehlung für die gymnasiale Oberstufe.“ So sieht Integration aus.

Und doch wäre es nur die Hälfte, wenn da nicht der Sport wäre. „Mit sechs Jahren begann ich mit Basketball. Mein Vater, ehemaliger Handballer, meinte, ich sei körperlich für dieses harte Spiel nicht geeignet.“ Als er zehn Jahre alt war, wurde wegen des Krieges der Trainingsbetrieb eingestellt. Etwa vier Jahre kein Sport. Dann ging es langsam wieder los. „Aber ich konnte keine Erfahrungen sammeln, es gab keinen geregelten Spielbetrieb.“

Viele Freunde kennengelernt

Den gibt es glücklicherweise in Olpe, auch in Drolshagen, wo er zunächst einige Zeit am Ball war. „Ich kann mir ein Leben ohne Sport nicht vorstellen. Der Sport hat mir geholfen, dass ich mich hier wohlfühle. Er ermöglichte mir viele Kontakte, habe dadurch viele Freunde kennengelernt, auch die deutsche Kultur.“

Sami Alabdl Razak ist derzeit mit sich und der Welt, in der er jetzt lebt, zufrieden. Dass der Sport integrationsfördernd ist, muss nicht besonders betont werden – schon lange eine Binsenweisheit. Aber die Migranten müssen auch mitspielen, im wahrsten Sinne des Wortes.