Olpe. Hubertus Sieler ist Berater beim Deutschen Kinderhospizverein e. V. Olpe. Er hilft Familien mit schwer kranken Kindern. So sieht seine Arbeit aus.

Wenn eine Familie die Nachricht bekommt, dass ihr Kind schwer krank ist, droht eine Welt zu zerbrechen. Vielleicht ist es die Diagnose Krebs, vielleicht eine Stoffwechselerkrankung, die wie aus dem Nichts in den Alltag hereinbricht. Und dann sind da die vielen Fragen. An wen kann ich mich wenden? Wo bekomme ich jetzt Hilfe? Hubertus Sieler ist Berater beim Deutschen Kinderhospizverein e.V. mit Sitz in Olpe. Der Mann aus Wenden-Elben erzählt, wie seine Arbeit aussieht.

Seit wann gibt es diese Stelle beim Deutschen Kinderhospizverein?

Hubertus Sieler: Diese Tätigkeit, die ich mache, hat in den Anfängen der Vorstand vollständig ehrenamtlich geleistet. Als der Verein dann immer größer wurde, wurde schnell klar, dass das der Vorstand diese Arbeit nicht mehr leisten kann, regelmäßig und beständig erreichbar am Telefon zu sein, die unzähligen Mails von betroffenen Familien und Menschen, die sich an den Deutschen Kinderhospizverein e.V. wenden zu beantworten. Es musst eine zentrale Anlaufstelle her, so der Gedanke damals. Gleichzeitig gab es immer mehr Anfragen von Familien, die unmittelbar nach der Diagnose ihres schwerkranken Kindes eine Ansprechpartner zur Erstorientierung bei den ersten Schritten in die Kinder- und Jugendhospizarbeit wünschten. Und so ist diese bundesweite Anlaufstelle für Familien geschaffen worden. Ich war zu der Zeit noch in einem stationären Kinder- und Jugendhospiz bei Bremen beruflich tätig, war mit dem Sauerland aber immer noch sehr verbunden. So kam eins zum anderen. Für mich ist es nach wie vor ein großes Geschenk, zurück in der Heimat zu sein, aber bundesweit arbeiten zu dürfen.

Also Sie kümmern sich nicht nur um die Familien im Kreis Olpe?

Nein, das ist eine bundesweite Anlaufstelle. Dementsprechend sah beispielsweise heute auch mein Vormittag aus.

Inwiefern?

Ich habe mit Familien aus Frankfurt, Hamburg und Köln telefoniert, deren Kind mit lebensverkürzend erkrankt ist.

Das heißt, es läuft viel über das Telefon?

Ja, die Begleitung bzw. der Beratung erfolgt telefonisch, per E-Mail, punktuell aber auch persönlich. Samstag bin ich zum Beispiel bei einer Beerdigung. Die betroffene Familie ist bereits seit Jahren Mitglied im Deutschen Kinderhospizverein. Die Eltern haben sich für ihr verstorbenes Kind das Luftballon-Ritual gewünscht. Das ist ein Geschenk des Deutschen Kinderhospizvereins an die trauernde Familie als Zeichen der Solidarität. Dabei lässt die Trauergemeinde Luftballons steigen für den Verstorbenen und die Hinterbliebenen. Ich unterstütze bei den Vorbereitungen und leite es vor Ort an.

Haben Sie feste Arbeitszeiten?

Die Arbeitszeiten sind schon sehr flexibel. Ich arbeite regelmäßig auch am Wochenende oder am Abend, weil viele Familien erst am Abend telefonisch erreichbar sind. Zum einen, weil sie selbst beruflich tätig sind, zum anderen, weil die Krankenpflege sie den Tag über fordert und sie erst am Abend einen Moment Zeit haben, zu telefonieren.

Das heißt, man kann Sie in Notfällen auch noch spät erreichen?

Ja, man kann mir auf die Mailbox sprechen. Je nach Situation melde ich mich dann umgehend oder am darauffolgenden Tag. Hier gilt es, abzuwägen. Das ist jahrelange Erfahrung. Das Handy ist jedenfalls immer an. Aber ich nehme mir natürlich auch Auszeiten.

Sind das dann eher einmalige Kontakte mit den Familien oder über welchen Zeitraum läuft das?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Familienkontakte, die seit mehr als 20 Jahren bestehen. Man kennt sich gut, ist teilweise sehr vertraut. Und dann gibt es auch die Erstkontakte. Ich bin oft derjenige, der nach einer Diagnose die erste Orientierung bietet, was die Kinder- und Jugendhospizhospizarbeit in so einer schweren Situation an Hilfe, Unterstützung und Begleitung kann.

Was sind Ihre berührenden Momente in Ihrer Arbeit?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt viele Momente, die mich berühren. Während meines Zivildienstes durfte ich einen jungen Menschen in seinem Lebensalltag begleiten, der schwer krank war. Später bin ich ihm im Rahmen meiner Arbeit in der Kinder- und Jugendhospizarbeit wieder begegnet. Das ist natürlich eine Verbindung, die gehört zu mir. Diese Begegnung und diese Zeit hat mich sehr stark geprägt und tut es auch noch heute. Eine Familie mit zwei erkrankten Kindern begleite ich schon sehr lange. Ich kenne sie schon aus meiner Studienzeit, wir sind zusammen durch die Jahre gegangen. Kürzlich ist das zweite Kind verstorben. Ich durfte bei der Trauerfeier die Trauerrede halten. Das sind Verbindungen, die bestehen über den Tod hinaus. Ich fühle mich nach wie vor verbunden mit den Kindern aber auch mit den Eltern.

Das heißt, man nimmt das schon mit nach Hause…

Ich kann das gut trennen. Aber trotzdem gibt es Lebensgeschichten oder Familiensituationen, die mich auch nach Feierabend beschäftigen. Das bleibt nicht aus. Das sind alles Schicksale, die ans Herz gehen. Muskelerkrankungen, Krebs – und Stoffwechselerkrankungen und sicher auch verunfallte Kinder und Jugendliche.

Weil es von jetzt auf gleich passiert?

Ja, die Angehörigen haben keine Zeit, sich zu verabschieden. Aber egal ob Unfall oder Krankheit, da hängen noch wesentlich mehr Päckchen mit hinten dran.

Mehr Päckchen?

Oft sind es nicht nur die erkrankten Kinder und Jugendlichen, um die sich die Sorgen und Gedanken der Familienmitglieder drehen. Neben der Lebenssituation haben die Familien finanzielle Sorgen, partnerschaftliche Sorgen, Sorgen um die Geschwisterkinder, psychische Erkrankungen, Alkoholprobleme. Hier komme ich trotz viel Erfahrung an meine Grenzen, da vermittle ich beispielsweise an Selbsthilfegruppen. Hier ist es wichtig, ein großes Netzwerk zu haben und den Betroffenen weitere Anlaufstellen, Ansprechpartner und Hilfen vermitteln zu können. Ich initiiere Selbsthilfe nicht, aber ich schiebe sie an.

Was kann der Deutsche Kinderhospizverein noch leisten?

Ich bin der Gesprächspartner für die erkrankten Kinder, Jugendliche, Eltern und weitere Bezugspersonen. Es geht zum Beispiel auch darum, den gegenseitigen Austausch zu gewährleisten. Das heißt, ich bringe Familien mit ähnlichen Lebenssituationen, Gedanken, Grunderkrankungen in Kontakt. Alle Angebote, die wir als Verein auf den Weg bringen, sind auf Basis der Bedürfnisse und Wünsche von betroffenen Familien entwickelt worden. Das unterscheidet uns von vielen anderen Institutionen. Zum Beispiel unsere Angebote der Deutschen Kinderhospiz-Akademie. Wir setzen uns nicht hin und konzipieren einfach mal ein Seminar, und hoffen, dass die Anmeldungen kommen, sondern wir binden die Familien mit ein. Wir greifen auf Erfahrungswerte zurück. Wir arbeiten ganz nah mit und an den Familien.

Stellen Sie sich vor, eine Mutter ruft an, die gerade die Diagnose bekommen hat, dass ihr Kind schwer krank ist. Wie gehen Sie mit ihr um?

Ich versuche sie da abzuholen, wo sie gerade steht. Ich höre mir zunächst ihr Anliegen an. Beim Zuhören tun sich Gedanken auf, die ich mit ihr teile. Es sind Angebote, die ich den Familien vorschlage. Ich sage ihr, dass sie es auch erstmal sacken lassen kann und in ein, zwei Tagen nochmal anrufen kann. Gerne schicke ich die Angebote auch nochmal per Mail.

Kann das nicht auch mal kritisch werden?

Ich habe auch Situationen gehabt, wo ich oder wir zunächst nur bedingt eine Unterstützung sein konnte. Manchmal bespricht man sich auch nochmal mit einem Kollegen. Aber die Situation, dass ich überhaupt nicht helfen konnte, die hatte ich noch nie.

Arbeiten Sie auch mit Geschwisterkindern zusammen?

In den Anfängen ja, mittlerweile ist das getrennt. Im Zuge des Zulaufs haben wir den Bereich abgespalten. Sandra Schopen ist die separate Ansprechpartnerin für Geschwister. Wir arbeiten sehr eng zusammen und sind dienstlich im täglichen Austausch.

Melden sich häufig betroffene Familien bei Ihnen?

Das ist so das größte Problem an der Arbeit, jedem einzelnen, der sich meldet, auch gerecht zu werden. Von der Masse, nicht vom Inhalt. Es kann nicht immer unmittelbar auf eine E-Mail reagiert werden. Ich sage immer, es ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber immerhin. Aber der Gedanke, dass diese Stelle ausgeweitet werden sollte, gibt es schon länger.