Lennestadt/Kreis Olpe. Obwohl gesetzlich vorgeschrieben wird bei öffentlichen Bauvorhaben in Sachen Barrierefreiheit immer noch geschludert.
Brandschutz und Barrierefreiheit haben etwas Gemeinsames. Beide sind bei öffentlich zugänglichen Gebäuden gesetzlich vorgeschrieben. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied. Während beim Brandschutz die Vorschriften penibel eingehalten werden -- koste es, was es wolle -- wird die Barrierefreiheit bei weitem nicht so ernst genommen. Folge: Viele öffentliche Gebäude stellen für Menschen mit Behinderungen zum Teil unüberwindbare Hürden da. Dabei lassen sich diese oft mit relativ kleinem Aufwand beseitigen – wenn man es will. Das sagen Jürgen Dolle und Friedhelm Hoffmann vom Örtlichen Unterstützerkreis (ÖUK) in Lennestadt.
Kleine Stufe, große Wirkung
Eine Stufe vor der Eingangstür, zu schmale Türen in Toilettenräumen, zu niedrige Tische in Cafés oder Restaurants, unter die kein Rollstuhl passt, oder kaum farbliche Kontraste auf Fluren und Laufwegen, weil ein Anstrich Ton in Ton schicker aussieht. Und welche Schützenhalle hat schon Schallschutzmaßnahmen für Hörgeschädigte. Für viele sind diese Defizite Kleinigkeiten, für Menschen mit Behinderungen dagegen große Probleme. Das Thema Barrierefreiheit wird mittlerweile ernster genommen als früher, dennoch, in vielen öffentlich zugänglichen Gebäuden im Kreis gibt es Defizite.
Sprachrohr und Gewissen
Für Jürgen Dolle und Friedhelm Hoffmann vom Örtlichen Unterstützerkreis (ÖUK) in Lennestadt ist das Thema Tagesgeschäft. Dolle als Sprecher des ÖUK und Hoffmann, langjähriger Behindertenbeauftragter des Kreises, sind so etwas wie das Sprachrohr und Gewissen der behinderten Menschen in Lennestadt und Umgebung. Sie wissen, wo es hakt. Hoffmann verfasst für die Stadt ganz offiziell die Stellungnahmen zur Barrierefreiheit bei Bauten oder Umbauten in öffentlich zugänglichen Gebäuden, also Büros, Verwaltungsgebäuden, Gastronomie, Festhallen, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Ladenlokale aber auch Arztpraxen. Und Jürgen Dolle, selbst auf den Rollstuhl angewiesen, ist dafür bekannt, den Finger in die Wunde zu legen, wenn es um Rechte von behinderten Menschen geht.
Vieles sei schon besser geworden, sagt Jürgen Dolle. Bis zu den 80er Jahren sei Barrierefreiheit überhaupt kein Thema gewesen. „Damals sind Fehler gemacht worden, die lassen sich heute nicht mehr alle beseitigen.“ Aber auch heute ist noch viel Luft nach oben und viele Architekten und Planer haben dies immer noch nicht begriffen.
Die Gründe dafür sind Vorurteile aufgrund von Unwissenheit und fehlende gesellschaftliche Akzeptanz.
Vorurteil 1
Menschen mit Behinderungen sind nur eine Randgruppe! Stimmt nicht. Im Kreis Olpe gibt es mehr als 13.000 Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen. Rechnet man deren Familienmitglieder dazu, sind 30 bis 35 Prozent aller Einwohner tangiert. Dabei sind Senioren, die altersbedingt auf Gehhilfen angewiesen sind, hier noch gar nicht berücksichtigt. Aufgrund des demografischen Wandels wird diese Gruppe weiter zunehmen.
Vorurteil 2
Barrierefreiheit ist teuer! Stimmt auch nicht. Dolle: „Viele glauben, man müsse alles umbauen und teure Aufzüge anbauen.“ Bei Neubauten kostet komplette Barrierefreiheit nur 3 bis 4 Prozent mehr. Und im Bestand, also bei Altbauten, gebe es immer pragmatische Lösungen, die machbar sind. Dolle: „Es ist manchmal ganz simpel. Eine einfache Holzrampe vor einer Stufe kostet etwa 30 Euro und wenn es darum geht, Laufwege für Menschen mit einer Sinnesbeeinträchtigung darzustellen, ist es oft mit einem Eimer Farbe getan.“
14 Millionen Schwerhörige
Friedhelm Hoffmann: „Barrierefreiheit wird immer mit rollstuhlgerecht definiert. In Deutschland gibt es aber etwa 14 Millionen hörgeschädigte Personen und drei Millionen haben davon eine Hörgerät.“ Aber es gebe im Kreis Olpe kaum eine Fest- oder Schützenhalle mit geeignetem Schallschutz. Und auch hier könne man mit überschaubaren Mitteln helfen. Mobile Induktionsanlagen für Hallen kosteten in der Luxusausführung nur 3000 Euro.
Warum werden solche Hilfsmittel trotzdem nicht eingesetzt. Weil die Probleme von gehandicapten Mitbürgern nicht präsent sind, auch bei Planern und Architekten nicht. Jürgen Dolle: „Barrierefreiheit ist immer noch kein elementarer Bestandteil der Architektenausbildung.“
Friedhelm Hoffmann kennt aber auch Architekten, die das Thema Barrierefreiheit ernstnehmen und einen Aufzug einbauen würden, obwohl dieser nicht gesetzlich gefordert ist. Aber dann komme die Auseinandersetzung mit dem Bauherrn und der Lift wird aus Kostengründen wieder gestrichen.
Für Jürgen Dolle ist dies zu kurz gedacht. Denn Barrierefreiheit wird immer mehr zum Wirtschaftsfaktor und Marktargument. Schon heute ließen sich barrierefreie Mietwohnungen viel besser vermarkten als andere, Tendenz steigend.
Wegweiser der Barrierefreiheit
Der Anspruch auf Barrierefreiheit ergibt sich aus den Landesbauordnungen.
Die Anforderungen gelten für Kultur- und Bildungseinrichtungen, Sport- und Freizeitstätten, Büros, Verwaltungs- und Gerichtsgebäude, Verkaufs- und Gaststätten, Stellplätze, Garagen und Toilettenanlagen und Einrichtungen des Gesundheitswesens.
Der ÖUK Lennestadt hat ca. 90 Arztpraxen, Apotheken, etc. in Lennestadt und Umgebung untersucht und wird die gesammelten Ergebnisse als „Wegweiser der Barrierefreiheit“ in Kürze veröffentlichen.
Das Thema bekommt auch im Tourismus zunehmende Bedeutung. Eine der vorbildlichsten Städte ist Oberstdorf im Allgäu. Dolle: „Die Stadt ist perfekt barrierefrei, sie können dort mit dem Lift auf jeden Berg kommen.“ Als Bestandteil einer umfänglichen Infrastruktur wirbt der Ort damit und hat Erfolg. Und: Es geht bei der Barrierefreiheit nicht nur um Senioren, sondern auch um Familien, die mit dem Kinderwagen im Urlaub unterwegs sind.
Das Problem
Das Thema ist noch nicht in der Gesellschaft verankert. Dolle: „Wir arbeiten daran, das Thema Stück für Stück in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Wir wollen nicht, dass alle Maßnahmen 1 zu 1 umgesetzt werden, sondern wir wollen pragmatische Lösungen, wenn es um den Bestand geht. Lösungen, die vielleicht nicht optimal sind, aber vielen Menschen ermöglichen teilzuhaben. Teilnehmen ist immer ein Gewinn.“
Das Ziel
Die beiden Lobbyisten der Barrierefreiheit sind Realisten. Jürgen Dolle: „Am Ende des Tages wird es immer Gebäude geben, die nicht barrierefrei herzurichten sind. Aber wir sollten uns nicht von Dingen leiten lassen, die nicht gehen, sondern versuchen, alle Spielräume zu nutzen.“
Hoffmann: „Wir machen ja nichts Weltbewegendes, wir wollen eigentlich nur den Planern die Sichtweise von Betroffenen verdeutlichen. Dass das manchmal mit den DIN-Vorschriften konform ist, erleichtert unsere Arbeit.“ Aber man müsse ständig dran bleiben und alle müssen mitmachen wollen. Dolle: „Und das ist das dicke, dicke Brett, dass es immer noch zu bohren gilt. Das Ende der Fahnenstange ist so schnell nicht zu erreichen. Der Weg ist das Entscheidende.“