Meggen. Durch die Ereignisse in Halle bekam das Stück „Aus dem Nichts“ beängstigende Aktualität. Welche Mittel hat der Staat im Kampf gegen Terrorismus?

Der Terror in Halle an der Saale am vergangenen Mittwoch sorgte für ebenso dramatische wie entsetzliche Aktualität. Wir sahen den Politthriller „Aus dem Nichts“ nur zwei Tage später, am Freitagabend, im gut besuchten Theater der Lennestadt. Was dem Stück eine extreme Wirkung aufs Publikum verleiht, ist die Tatsache, dass es sich nicht um ein fiktives Sujet, sondern um die knallharte, kaum zu fassende Realität handelt.

77 Tote bei den Terroranschlägen in und bei Oslo im Jahre 2011, 51 Tote und 50 Verletzte beim Terror in zwei Moscheen im März 2019 in Christchurch in Neuseeland. Dem ebenfalls rechtsextremen Täter von Halle diente dieses Massaker teilweise als Vorbild. „Aus dem Nichts“ ruft die Schicksale der überwiegend türkischstämmigen Opfer der NSU-Mörder (Nationalsozialistischer Untergrund) über viele Jahre hinweg in ganz Deutschland in Erinnerung. Und stellt die Frage nach einer ungeheuerlichen Beteiligung deutscher Behörden an den Terroranschlägen. Fragen, die auch vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages nicht geklärt wurden.

Staatsräson vor Aufklärung

Das Stück macht betroffen. Verständnislos. Entsetzt. Wütend. Heiligt für Kriminalämter und für die Politik im Kampf gegen den Extremismus - egal, ob von links oder rechts - der Zweck wirklich jedes Mittel? Kann denn wirklich die Maxime „Staatsräson steht vor Aufklärung (von Verbrechen) den kriminellen und schwerstkriminellen Einsatz so genannter V (= Vertrauens)- Personen legitimieren? Und wankt der doch so hoch gelobte Rechtsstaat nicht in seinen Grundfesten, wenn es dann heißt: Die Politik folgt nicht dem Recht, sondern das Recht der Politik?!

Eine Ungeheuerlichkeit, die für Katja (Anna Schäfer bindet mit ihrem Spiel das Publikum in all ihre Wut und Verzweiflung ein, lässt ihm keine Chance zu entkommen) zur entsetzlichen Realität wird. Katja verliert ihren kurdischen Ehemann Nuri und den gemeinsamen Sohn Rocco (6) bei einem Nagelbomben-Anschlag in einer überwiegend türkischen Geschäftsstraße in Hamburg. Sie nennt der Polizei eine Hauptverdächtige, die ein Fahrrad vor Nuris Geschäft abgestellt hatte. Und sie ist sich sicher: Für den Terroranschlag sind Nazis verantwortlich.

Doch die Ermittlungen gehen offensichtlich ganz bewusst in eine völlig andere Richtung. Ein Racheakt der türkischen Mafia im Drogenstreit? Ein junges rechtsradikales Pärchen aus Schleswig-Holstein wird schließlich auf Hinweis des Vaters inhaftiert. Eigentlich ist die Beweislage klar. Doch dann treten die Herren Rechtsanwälte auf den Plan. Danilo (Mathias Kopetzki als leidenschaftlicher Vertreter der Nebenklägerin Katja), und Verteidiger Haberbeck (Christian Meyer, mit allen Wassern und juristischen Tricks gewaschener Advokat). Welche Möglichkeiten die deutsche Strafprozessordnung und das juristische Selbstverständnis hyperaggressiver Konfliktverteidiger bieten, weiß man nicht erst seit der Ermordung entführter Kinder. Wie sagte dereinst doch der Starverteidiger des Angeklagten: Selbst wenn ihm ein Mandant einen Mord gestanden habe, werde er mit allen Mitteln versuchen, einen Freispruch zu erreichen.

In dubio pro reo

Und auch im nur allzu wahren Thriller ereilt die Opfer das Schicksal: Erinnerungslücken, das falsche Alibi eines Gesinnungsgenossen. Das Nazi-Pärchen wird frei gesprochen. In dubio pro reo. Im Zweifel für die Angeklagten. Angesichts der erschütternden Wahrheiten, auf denen Film/Theaterstück basieren, hätte es einiger dramaturgischer Überzeichnungen und Schwarz-Weiß-Malerei nicht bedurft. In Katjas Fall mauern die Behörden - mit tüchtiger Unterstützung der Politik, kräftig weiter. Nicht nur die NSU-Terror- und Mordserie fordert den massiven Einsatz des Staates. Nicht zuerst, um sich selbst zu schützen, sondern zu allererst, um seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Das schlimme Dilemma dabei ist die Frage: Wie weit darf der Staat gehen? Und wie weit darf man den Vertrauensleuten wirklich vertrauen?

Untersuchungsausschüsse sind in erster Linie reine Augenwischerei. Blinder, häufig ergebnisloser Aktionismus. Um die Bürgerschaft zu besänftigen. Schützen können sie sie dadurch nicht. Wohl aber Under-cover-Arbeit – zum Schutze der Gesellschaft – gefährden. Das Schicksal der Terroropfer in „Aus dem Nichts“ und die Fragen nach der Rechtsstaatlichkeit unseres Rechtsstaates sind leider so aktuell wie nie. Das siebenköpfige junge Ensemble des Eurostudios Landgraf hat uns nach langem, großem Applaus sehr nachdenklich nach Hause entlassen.