Attendorn. Die Begeisterung für alte Autos in Attendorn ist ungebrochen. Beim Start müssen sich die Teilnehmer den Weg durch die Menschenmassen bahnen.
Begeisterung! Am Anfang der Geschichte der Sauerland Klassik 2019 steht ein Wort, das die vielen hundert kleinen Episoden zusammenbringt und erklärt. Begeisterung ist der Kitt, der aus Stichworten wie Menschenmassen, Hurrikan, prophetischen Jagdhornbläsern, falschem Polizist, Oberneger und Wisent eine zusammenhängende Geschichte macht. Die Begeisterung für alte Autos ist in der Hansestadt ungebrochen, könnte man sagen – und untertreibt.
Wer beim Start am Donnerstag auf dem Alten Markt dabei war, hatte das Gefühl, dass die Attendorner in diesem Jahr alles noch mal eine Stufe heben wollten. Wer mal gesehen hat, wie sich Radrennfahrer bei der Tour de France bei den entscheidenden Berg-Ankünften den Weg hinauf zum Gipfel durch ein enges Spalier von Zuschauern bahnen müssen, hat eine Vorlage für die ersten Meter der Teams durch die Wasserstraße. Rausfahren ist das falsche Wort. Richtig war heraustasten. Danach wurden sehr schnell Erinnerungen an das wetterverwöhnte Auftaktjahr 2015 wach. Überall standen kleinere und größere Grüppchen, die die Rallye gefeiert haben. Mal mit Bier, mal mit Käsekuchen, mal mit La-Ola-Wellen oder nach oben gestreckten Daumen, aber immer mit einem freundlichem Winken.
Campingplatz am Straßenrand
In Oberveischede wurde unweit einer Fußgängerampel gefeiert, die verdächtig oft Rot zeigte und Oldtimer zum Warten aufforderte – auch wenn niemand über die Straße gehen wollte. Den Vogel abgeschossen hat in diesem Jahr allerdings wieder die Oldtimer IG Bad Berleburg, die in perfekter Verkleidung am Samstag einen Campingplatz aus den 50er- und 60er Jahren an den Straßenrand zauberte. Für die Teams war ein Stopp Pflicht, weil Organisator Peter Göbel eine Durchfahrtskontrolle verordnet hatte, was für den fließenden Verkehr teilweise für leichte Behinderungen hätte sorgen können. Hätte sorgen können, Konjunktiv. Alles lief flüssig weiter, weil ein Schutzmann in Originaluniform mit grüner Kelle den Verkehr regelte. Eine Maßnahme, die Peter Göbel zunächst das Blut in den Adern gefrieren ließ: „Seid ihr verrückt?“, fragte er die Oldtimer-Freunde, „was ist, wenn die echte Polizei vorbei kommt?“
„Die waren doch gerade schon hier“, war die beruhigende Antwort, „alles in Ordnung.“ Den Abschluss des ersten Tages feierten die Teams auf der Hohen Bracht mit musikalischer Begleitung von einem Jagdhorn-Bläsercorps. Das Stück identifizierte Kabarettist Urban Priol bei seinem Auftritt bei der Abschlussveranstaltung in der Stadthalle als „Die Sau ist tot“. Hat er recht, dann war es ein musikalischer und dunkler Blick in die Zukunft. Denn der Freitag litt unter den letzten Zuckungen des Hurrikans Dorian, der im September Teile der Karibik verwüstet hatte. Gemessen daran, waren es natürlich nur noch kümmerliche Reste, die als stinknormales Tief ihren Regen über das Land trieben, aber mit solchen Relativierungen darf man den Fahrern der offenen Vorkriegsfahrzeuge nicht kommen.
Warn-SMS von Peter Göbel
Die haben gelitten und so leidet nur, wer mit kaum noch nachvollziehbarer Begeisterung unterwegs ist. Besonders arg traf es allerdings das Team mit der Startnummer 8, Ralf Klaus und Hans Georg Ahrens mit ihrem Talbot aus dem Jahr 1933. Kurz vor ihnen querte ein ausgewachsenes Wildschwein die Straße. Die Vollbremsung schien das Schlimmste schon verhütet zu haben, als Wildschwein Nummer 2 die Straße querte. Das war deutlich kleiner und traf den Talbot am rechten Vorderrad. Glück im Unglück, so sah es Urban Priol: „Bei einem Zusammenstoß mit Nummer 1 hätte die Sau gewonnen.“
Noch mehr Tierisches gab es am dritten Tag in einer Warn-SMS von Peter Göbel an alle Teams. Südlich von Winterberg waren freilaufende Wisente gesichtet worden. Sicherlich ein absolutes Alleinstellungsmerkmal der Sauerland Klassik: Fahrer! Achtet nicht nur die StVO, sondern auch auf freilaufende Wisente! Ein bisschen Begeisterung für Sauerländer Gelassenheit ließ sogar der satirische Geist von Urban Priol erkennen, der daran erinnerte, dass in Zeiten der Political Correctness der „Negerkönig“ sogar aus den Pippi Langstrumpf-Geschichten verschwinden musste: „Und dann steht hier plötzlich ein ganz normales Straßenschild mit der Aufschrift „Neger“ und dann sogar „Oberneger“!
Standing Ovation am Sonntagmorgen
Dass Begeisterung nicht aus dem Nichts kommt, sondern geschaffen werden muss, war allen Teilnehmern der Rallye nach diesen drei Tagen bewusst. Ihr Dank am frühen Sonntagmorgen in der Stadthalle galt mit Standing Ovations Organisator Peter Göbel, der mit seinem Hang zur Perfektion Begeisterung erst möglich gemacht hat.