Olpe. Die Frist der Musterfeststellungsklage gegen VW endet am 30. September. Der Olper Anwalt Klaus Hesse ist Experte in Sachen Abgasskandal.

Der Countdown läuft. Noch bis 30. September dieses Jahres haben Diesel-Fahrer Zeit, sich der Musterfeststellungsklage gegen den VW-Konzern anzuschließen. An diesem Tag fällt der Vorhang, um sich der Klage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen anzuschließen. „Die Frist der Beteiligung endet mit der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Bis dann kann man sich noch kostenlos und einfach im Internet an der Klage beteiligen“, sagt Rechtsanwalt Klaus Hesse im Gespräch mit dieser Zeitung.

Lange Verfahrensdauer

Der 59-Jährige ist ein erfahrener Jurist. Seit mittlerweile 34 Jahren arbeitet er als Rechtsanwalt in Olpe und ist unter anderem Fachanwalt für Verkehrsrecht. Seit vergangenem Jahr richtet sich sein Fokus auf die Manipulationen im Abgasskandal. Er hat sich eingearbeitet, ist zum Spezialisten geworden. Nachteil der Musterfeststellungsklage sei die lange Verfahrensdauer: „Das wird bis zur Entscheidung noch Jahre dauern, weil der Verlierer sicherlich Rechtsmittel einlegen wird beim Bundesgerichtshof. Zudem wird nur über den Grund entschieden, ob VW sich wirklich schadensersatzpflichtig gemacht hat. Die Höhe muss dann noch jeder in einem einzelnen Verfahren persönlich einklagen, wenn das rechtskräftig ist. Die Musterfeststellungsklage ist juristisches Neuland, so dass noch viele formelle und materielle Fragen offen sind.“

Über 50 Einzelklagen

Mündliche Verhandlung

Den Autoherstellern wird vorgeworfen, dass sie über Jahre Abgaswerte in Dieselfahrzeugen manipuliert haben. Es geht dabei um gesundheitsschädliche Stickoxide.

Bekannt wurde die Manipulation, als sich im Jahr 2015 herausstellte, dass VW in den USA eine illegale Abschalteinrichtung verwendet hat, um die Grenzwerte auf dem Prüfstand herunterzufahren.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat am Oberlandesgericht Braunschweig eine Musterfeststellungsklage eingereicht, Mehr als 400.000 Verbraucher haben sich dieser angeschlossen. Am 30. September findet im Verfahren am OLG Braunschweig die mündliche Verhandlung gegen VW statt.

Für eine kürzere Verfahrensdauer spreche eine Einzelklage, so Klaus Hesse. Diese sind für Autokäufer aber nur möglich, wenn sie sich nicht der Musterfeststellungsklage angeschlossen haben. Beides parallel geht nicht. „Seit Ende vergangenen Jahres bearbeite ich über 50 Fälle, die im Wesentlichen durch Vergleiche abgeschlossen wurden. Nach unserem Gewinn in erster Instanz geht die Gegenseite von VW immer in Berufung. In den überwiegenden Fällen kommen kurz vor der zweiten Instanz vor dem OLG vom VW-Konzern Angebote für Einmalzahlungen als pauschalen Schadensersatz. Es kommt dann noch zu einer außergerichtlichen Einigung“, berichtet der Anwalt. Die VW-Angebote seien meistens lukrativ: „Gerade, wenn die Kaufverträge schon lange zurückliegen, bis zu zehn Jahre, ist die Entschädigungsleistung fürs Auto sehr hoch.“ Die Streitwerte lägen zwischen 15.000 und 30.000 Euro.

Gerichte sind kundenfreundlich

Kommentar: Ein langer Weg

Eines vorweg: Es ist sicherlich nicht einfach, als kleiner betrogener Diesel-Fahrer einem großen Konzern wie VW die Stirn zu bieten. Deshalb ist es gut, dass der Bundesverband der Verbraucherzentralen am Oberlandesgericht Braunschweig stellvertretend eine Musterfeststellungsklage eingereicht hat, die am 30. September verhandelt wird. So haben die getäuschten Autokäufer wenigstens die Möglichkeit, ohne jedes Risiko, einfach und kostenlos zu versuchen, entschädigt zu werden.

Was unter dem Strich dabei herauskommt, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Für alle der 400.000 Verbraucher, die sich der Klage angeschlossen haben, wird es ein langer Weg. Experten rechnen mit einer Entscheidung in vier bis fünf Jahren.

Da nimmt ein Einzelverfahren für die Diesel-Fahrer viel mehr Fahrt auf. Schon in neun bis zwölf Monaten ist es in der Regel entschieden. Durch die verbraucherfreundlichen Gerichte können die Privatkläger auf ein erkleckliches Sümmchen an Schadensersatz hoffen.

Allerdings müssen im Vorfeld der Einzelklage Kosten und Nutzen abgeklopft werden. Die Beratung bei einem seriösen Anwalt ist unabdingbar. Auf alle Fälle kann sich glücklich schätzen, wer eine private Rechtsschutzversicherung hat.

In Nordrhein Westfalen habe er bisher alle Prozesse gewonnen bei Kaufverträgen, die bis Anfang 2016 abgeschlossen wurden, so Klaus Hesse: „Nur vor dem Landgericht Bückeburg in Niedersachsen habe ich eine Klage verloren. Dort wurde gesagt, man könne VW keine Täuschung vorwerfen.“ Dabei hat der Olper Anwalt folgende Erfahrung gemacht: „Im Gegensatz zu den VW-freundlichen Gerichten in Niedersachsen entscheiden eine Vielzahl von Land- und Oberlandesgerichten kundenfreundlich, so auch das für uns zuständige OLG Hamm.“ Hier haben betrogene Diesel-Fahrer gute Karten.

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Ein Ende des Dieselskandals ist laut Klaus Hesse nicht in Sicht: „Es gibt ein neues Problem. Der VW Konzern soll auch bei modernen Euro 6-Motoren ab 2016 illegale Abschaltvorrichtungen eingebaut haben. Von einigen Gerichten werden derzeit dazu Gutachten eingeholt. Wenn sich das bewahrheitet, wäre das der nächste Skandal und ein Ende noch lange nicht in Sicht.“

Auch andere Automarken

Die Abgas-Manipulationen beträfen mittlerweile nicht nur VW, so der Anwalt: „Es ist herausgekommen, dass zum Beispiel auch Mercedes und BMW bei einigen Modellen eine andere Art einer unzulässigen Abschaltvorrichtung eingebaut haben. Hierzu gehören auch die 3,0 TDI V 6-Motoren, die in einigen Audi, VW und Porsche eingebaut sind. Alle diese Ansprüche kann man noch geltend machen, selbst, wenn Updates bereits durchgeführt worden sind.“ Die Gerichte in NRW würden nämlich davon ausgehen, dass der Schaden allein durch die Täuschung eingetreten sei, egal ob dieser behoben wurde oder nicht: „Allein die Tatsache, dass eine Abschaltautomatik eingebaut worden ist, begründet die Klage. Die Gerichte sehen eine sittenwidrige Täuschung von Seiten der Hersteller. Deshalb haben Klagen gute Aussicht auf Erfolg.“

Es wird also weiterhin Arbeit geben für Klaus Hesse im sich vermutlich noch weiter ausdehnenden Abgasskandal. „Das ist ein unnötiger schwarzer Fleck aus reinem Profitinteresse auf der ansonsten weißen Weste der deutschen Automobilindustrie“, bringt er es auf den Punkt.