Neger. Sandra Huckestein aus Neger ist Jägerin. Sie erzählt, wie ihre Arbeit im Revier aussieht. Warum es längst nicht nur ums Schießen geht.

Hin und wieder lässt ein Vogel ein zaghaftes Zwitschern ertönen. Ansonsten ist es still. Der Wind streift die Baumkronen, lässt die Blätter an ihren Zweigen tanzen. Irgendwo knackt ein Ast. Sandra Huckestein blickt auf und lauscht. „Vielleicht sehen wir heute doch noch ein Reh“, sagt sie leise. Sie steht auf einem Waldweg. Der Hut schützt sie vor dem abendlichen Regenschauer, das Fernglas hängt um ihrem Hals. Die Taschenlampe liegt im Kofferraum. Genau wie die Knochensäge. Nur die Büchse, die hat sie zuhause gelassen. Die junge Frau ist Jägerin. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt sie, warum es beim Jagen längst nicht nur ums Erlegen geht.

Sandra Huckestein ist 27 Jahre alt und wohnt in Neger. Vor vier Jahren macht die gelernte Industriekauffrau ihren Jagdschein. Es ist keine spontane Idee. Als kleines Mädchen geht sie schon mit ihrem Papa in den Wald – selbst ein erfahrener Jäger. Das Pirschen, das Spurenlesen – Sandra Huckestein liebt es. Als sie älter wird, will sie mehr. Mehr erfahren rund um das Wild, den Waldbau und den Naturschutz. Heute schaut sie sich einen der Wildacker an, den sie kürzlich neu angelegt hat. Die Flächen werden eingesät, sie dienen dem Wild als Deckung vor Feinden aber auch als Nahrung. „Hier wird natürlich nichts geschossen“, sagt Huckestein mit Blick auf die ersten grünen Triebe. „Die Tiere sollen hier Ruhe finden.“

Vermittler zwischen Mensch und Tier

Jäger sind sowas wie die Vermittler zwischen Mensch und Tier. Sie sorgen dafür, dass es funktioniert, nebeneinander zu existieren. Die blauen Reflektoren an den Leitplanken am Waldrand sind ein Beispiel. Jäger bringen sie an, um mit den reflektierenden Strahlen der Scheinwerfer die Tiere vor den Straßen zu warnen. Oder Kirrungen. Mit Maiswerden die Wildschweine von den landwirtschaftlichen Flächen ferngehalten. „Wir arbeiten eng mit den Landwirten zusammen“, erklärt Huckestein. „Auch bei der ersten Mahd, um die gesetzten Kitze vor dem Mähtod zu bewahren. Die Landwirte rufen uns vor dem Mähen an.“ Das Ansitzen auf dem Hochsitz dient nicht nur der Jagd. Sandra Huckestein verbringt viel Zeit dort, um das Wild zu beobachten. Hinkt das Tier? Ist es vielleicht krank? „Deswegen ist es auch so wichtig, dass Hunde an der Leine gehalten werden“, betont die 27-Jährige. „Gerade zur Setzzeit der Jungtiere im Mai und Juni und um das Ansteckungsrisiko zu verringern. Wenn der Fuchs Krankheiten verschleppt, kann sich der freilaufende Hund anstecken, ohne, dass das der Besitzer merkt.“

Der erste Schuss

Sie erinnert sich gut an ihren ersten Schuss. Es war der 28. Juli 2015. Ein Böckchen. Ein Jagdfreund ihres Vaters hatte das Tier zum bestandenen Jagdschein freigegeben. „Man ist aufgeregt, angespannt und total fokussiert“, erzählt die Jägerin. „Es muss schließlich richtig gemacht werden. Wenn es im Knall liegt, ist man erleichtert.“

Angespannt ist sie heute immer noch. Das Herz schlägt schneller, der Puls steigt. Doch bevor sie den Schuss abgibt, muss alles stimmen. Der Wind muss ihr im Gesicht stehen, nicht im Nacken. Denn Tiere verbinden den menschlichen Geruch mit Gefahr. Der Abstand muss passen, das Tier muss seitlich stehen – und das Gelände muss übersichtlich sein. Ein Schuss vor einer Kurve ist zu gefährlich. „Es ist wichtig, dass die Leute auf den Wegen bleiben“, betont Huckestein. „Das ist saugefährlich. Man kann ja auch mal abrutschen. Auch ein krankgeschossenes Tier kann für den Menschen gefährlich sein.“

Jeder Tag ist anders

Sandra Huckestein öffnet ihren Kofferraum und zeigt ihre Ausrüstung. Spektiv, Gehörschutz, ein Anschussband, Handschuhe, Taschenlampe – und Knochensäge. „Wenn das Wild geschossen wurde, muss es aufgebrochen werden“, erklärt die junge Frau. „Das Schloss, also der Hüftknochen, ist etwas stärker. Männer schaffen das mit einem Messer.“ Das Erlegen von Tieren gehört für die Jägerin einfach dazu. Einen Ekel beim Aufbrechen und Versorgen des erlegten Wild verspürt sie nicht. „Kein Wild soll ohne Nutzen erlegt werden“, betont sie. „Ich esse nur selbst erlegtes Wild. Es ist schön, sich das Fleisch selbst zu erwirtschaften, zu wissen, dass das Tier ein schönes Leben gehabt hat.“

Es sind schöne Stunden im Wald. Sandra Huckestein genießt ihr Hobby. Auch, wenn sie manchmal nachts raus muss, wenn ein Tier angefahren wurde. Abschalten vom Alltag, etwas für die Natur tun. Die Wiesenarbeit im Frühjahr, die Paarungszeit des Rehwildes im Sommer, die Spurensuche auf dem Waldboden. „Man kann viel aus den Spuren lesen“, sagt Huckestein. „Zum Beispiel, ob es gegangen, geflüchtet ist oder ob es verletzt ist.“ Über die Jahre hat sie ihr Revier kennengelernt. Sie merkt sofort, wenn etwas anders ist. Und dennoch: Jeder Tag ist anders und bringt neue Herausforderungen mit sich.