Heggen/Breslau/Oman. . Der gebürtige Heggener Thomas Willmes und seine Frau erleben eine wahre Tortur. Ihre Tochter erblickt völlig unerwartet im Oman die Welt.
Die erfreulichste Nachricht vorab: Helena Amira Willmes lebt. Und ihrer Mutter Marta (30) geht es, wie sagt man so schön, den Umständen entsprechend gut. Beides ist keine Selbstverständlichkeit. Vielleicht ist es sogar ein kleines Wunder.
Denn die kleine Helena Amira kommt als Frühchen auf die Welt. Am 2. Mai. Unfassbare 16 Wochen zu früh. Sie wiegt nur 720 Gramm und misst 31 Zentimeter. Die ersten Prognosen der Ärzte lassen wenig Hoffnung zu. „Sie haben uns gesagt, dass unser Baby wahrscheinlich nicht überlebt“, erzählt ihr Vater Thomas Willmes (32). Der gebürtige Heggener nimmt sich viel Zeit, um uns seine so unglaublich berührende Geschichte zu erzählen.
Dabei meint es das Schicksal mit Thomas und Marta zunächst gut. Vor ziemlich genau acht Jahren lernen sich der Heggener, gelernter Werkzeugmechaniker bei der Firma Fischer und Kaufmann, und seine Marta in Breslau kennen. Auf einer Party, wo ihn ein Kumpel mit hinschleppt. Nach Polen verschlägt es den heute 32-Jährigen bereits in 2010. Beruflich, denn er bekommt die Chance, am Aufbau eines Zweitwerkes seiner Firma mitzuhelfen.
Zunächst ist der Aufenthalt nur für ein Jahr geplant. Daraus sind mittlerweile neun Jahre geworden. Er lebt immer noch in der Nähe von Breslau. Als Werkzeugbauleiter. Als verheirateter und glücklicher Ehemann. Und als Vater einer viel zu früh geborenen Tochter.
Mit Bauchschmerzen auf die Toilette
Wir schreiben den 24. April 2019. Marta befindet sich im sechsten Schwangerschaftsmonat. Das Paar will nochmal raus, nochmal Urlaub machen und ausspannen, bevor es mit der Schwangerschaft so richtig losgeht. Ihr Reiseziel: der Oman. 30 Grad locken. Sie genießen die freie Zeit. Alles ist gut, der Urlaub fantastisch. Bis zum 30. April. Zwei Tag vor der Rückreise.
Marta bekommt plötzlich starke Blutungen, die beiden gehen zum Arzt, der sie zunächst beruhigt. Keine Komplikationen, alles ist gut. Doch der Schein trügt. Am Rückreisetag klagt die 30-jährige Polin plötzlich über Bauchschmerzen. Kurz vor der Abfahrt zum Flughafen. Sie begibt sich nochmal auf die Toilette – und kommt erst zehn Minuten später zurück. Verheult und verzweifelt, denn ihre Fruchtblase ist geplatzt. „Da fing unser Alptraum erst richtig an“, erinnert sich Thomas Willmes. Die Fahrt ins Krankenhaus, statt zum Flughafen, dauert eine gefühlte Ewigkeit. Zumindest empfindet es der werdende Vater so. In der Klinik darf Thomas seine Frau noch für ein paar Stunden begleiten. Sie bleibt über Nacht da. Am nächsten Morgen muss er allerdings vor der Tür warten. Mit seinem Freund Said, einem Einheimischen, der dem jungen Paar unglaublich viel hilft.
Infektion der Fruchtblase
Denn die Ärzte versuchen vergeblich den Mutterhals zu schließen. Sie diagnostizieren darüber hinaus eine Infektion in der Fruchtblase. Das Leben von Mutter wie noch ungeborner Tochter steht auf dem Spiel. Helena Amira muss zur Welt kommen. So schnell es geht. Am 2. Mai setzen die Wehen ein. Am späten Vormittag gegen 11.30 Uhr. Abends ist es geschafft: Völlig entkräftet bringt Marta die gemeinsame Tochter zur Welt. „Wir waren am Ende“, berichtet Thomas. Kraft- und ein Stück weit hoffnungslos. Lebt die kleine Helena Amira? Sie tut es. „Als die Ärzte mir gesagt haben, dass sie atmet, habe ich wohl nur noch vor Freude geschrien. Ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern.“ Doch es ist nur ein erster, wenn auch der wichtigste Schritt.
Um Behördengänge kümmern
Denn das Frühchen kann natürlich nicht nach Hause. Nach Polen. Also bleibt die junge Familie im Oman. Thomas für einen weiteren Monat, Marta ist noch heute da. Bei ihrer Kleinen, die weiterhin im Inkubator liegt. Der junge Vater muss sich schließlich um Behördengänge kümmern und sie benötigen eine Übergangswohnung, die sie dank der Hilfe einer Krankenschwester schnell finden. Völlig unklar bleibt zunächst auch die Frage, wie sie einen Spezial-Rückflug organisieren. Der zu allem Überfluss auch noch unglaublich teuer ist. „Das mit Abstand günstigste, was wir in der kurzen Zeit bekommen haben, läuft über FAI Flight Ambulanz und kostet uns rund 40.000 Euro“, berichtet der Heggener.
Für das junge Paar ist das nicht zu stemmen. Also starten sie einen Spendenaufruf, der eine unglaublich große Resonanz erfährt. Das Geld ist innerhalb weniger Tage gespendet. „Die Anteilnahme war unglaublich.“
Wann genau die kleine Helena Amira und ihre Mama, die seit Ende Mai ohne ihren Thomas im Oman zurechtkommen muss, weil dessen Job ruft, die Rückreise antreten können, ist noch ungewiss. In vier bis sechs Wochen, hofft Thomas, der bis heute seine kleine Tochter nur drei Mal streicheln durfte. Eine Umarmung ist wegen Infektionsgefahr ausgeschlossen. Doch die Kleine macht Fortschritte. Sie wiegt mittlerweile mehr als 1000 Gramm; Gehirn, Herz und Nieren sind stabil. Sie nimmt die Muttermilch auf. Es sieht gut aus, das zählt. Sie kämpft. Und das macht ihre Eltern trotzt aller Widrigkeiten so hoffnungsvoll.