Altenhundem. „. Esther Bejarano (94) erzählt am Städtischen Gymnasium Lennestadt aus ihrem Leben und dem Kampf gegen Faschismus und Gewalt.

Ich begrüße euch recht herzlich. Hoffentlich seht ihr mich“, scherzte Esther Bejarano, die am Donnerstag fast hinter dem Geländer im voll besetzten Forum des Städtischen Gymnasiums verschwand. Die Zuhörer lachten und klatschten. Beifall, der sich im Verlauf des denkwürdigen Abends zu stehenden Ovationen steigerte.

Reise führte nach Auschwitz

Die Lacher verstummten schnell. Schonungslos und herzergreifend, so dass manch einem der Besucher die Tränen in den Augen standen, las die Auschwitz-Überlebende aus ihrer Autobiografie. Erinnerungen an die unvorstellbare Gewalt gegen Juden und andere Minderheiten. Als wäre es gestern gewesen, berichtet die kleine Frau von ihren schrecklichen Erlebnissen.

Esther Bajerano: Seit 30 Jahren unterwegs gegen das Vergessen

Esther Bajerano, geb. Loewy, wurde als Tochter des Lehrers Rudolf Loewy in Saarlouis geboren. Sie war die Jüngste von vier Geschwistern. Ihre Eltern wurden im November 1941 in Kowno von den Nazis ermordet, ihre Schwester im Dezember 1942 in Auschwitz. 1945 reiste sie nach Palästina aus, kam 1960 zurück nach Deutschland und ließ sich mit ihrer Familie in Hamburg nieder.

1986 gründete Esther Bejarano das Auschwitz-Komitee. Es organisiert Bildungsreisen in Konzentrationslager, Zeitzeugengespräche in Schulen und Veranstaltungen gegen das Vergessen.

Sie beginnen mit der Deportation in stinkenden Viehwaggons. Die Reise der damals 19-Jährigen sollte im April 1943 angeblich in ein Arbeitslager gehen. „Wir erkannten schnell, dass wir im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau angekommen waren. Nach der Selektion auf der Rampe bekam jeder eine Nummer auf den Arm gebrannt. Namen gab es nicht mehr. Ich war Nummer 41948. Wir mussten uns nackt ausziehen. Nackt wurden uns die Haare geschoren. Manch einer war so entstellt, dass man ihn nicht wieder erkannte“, erinnert sie sich. Mucksmäuschenstille unter den über 200 Besuchern im Saal. Die 94-Jährige berichtet auch von ihrem „Glück“, dass sie in das Mädchenorchester des KZ aufgenommen wurde, wo sie bei der Ankunft der „Neuen“ auf ihrem Akkordeon Märsche spielen musste. Die Aufnahme ins Orchester brachte lebenswichtige Vorteile. Es gab etwas zu essen, zum Frühstück ein Stück Brot, abends eine Suppe aus Wasser und Kartoffelschalen oder Brennnesseln. Nach einiger Zeit kam der Appell: „Wer arisches Blut hat, soll sich melden.“ Esther Bejarano hat es. Ihre Großmutter war Christin. KZ-Arzt Josef Mengele, bekannt für seine bestialischen, medizinischen Experimente, gab nach der Untersuchung grünes Licht. Für Ester Bejarano und weitere „Mischlinge“ ging es nach Ravensbrück, wo sie später bei der Firma Siemens in der Montage arbeitete. Den Judenstern hatte sie ablegen dürfen. „In meinem Herz bin ich Jüdin geblieben. Ich nutzte nur die Vorteile des neugewonnenen Ariertums“, blickt sie zurück.

Todesmarsch in die Freiheit

Kurz vor Kriegsende lief sie mit sieben weiteren Mädchen auf dem „Todesmarsch“ in die Freiheit, bis sie von amerikanischen Soldaten gefunden wurden. „Die küssten uns und freuten sich, dass sie uns helfen konnten“, blickt Esther Bejarano zurück und erinnert sich: „Auf dem Marktplatz im mecklenburgischen Lübz griff sie wieder zum Akkordeon, als russische und amerikanische Soldaten dort das Bild von Adolf Hitler anzündeten. „Dieses Bild werde ich nie vergessen. Das war nicht nur meine Befreiung, sondern meine zweite Geburt“, blickt Esther Bejarano zurück. Die Musik hat ihr geholfen zu überleben. Heute nutzt sie die Musik, um wach zu rütteln. In einer Sprache, mit Rapmusik, die auch die Jugendlichen anspricht. Zusammen mit der „Microphone Mafia“, die momentan aus Kutlu Yurtseven besteht, mit dabei auch ihr Sohn Joram Bejarano. Das Trio führte im GymSL jüdische und kölsche Lieder auf. Der Oldie „Du hast Glück bei den Frauen“ wurde mitgesungen und mit Klatschen begleitet. Mittendrin sprach Kutlu Yurtseven mahnende Worte, die zusätzlich aufrüttelten. Am Ende gab es nicht enden wollenden Beifall.