Attendorn. . Bernd Göbel war lange alkoholabhängig. Seit 2005 ist er trocken und informiert seither Jugendliche über seine Sucht und ihre Folgen.
Eine Hand voll Jugendlicher ist in das Attendorner Jugendzentrum im Heggener Weg 9 gekommen. Die jungen Leute nehmen an einem massiven Holztisch und auf einem roten Ledersofa Platz. Vor ihnen steht Bernd Göbel. Er sagt: „Ich freue mich, dass ihr hier seid. Ich würde euch gerne etwas über mich erzählen.“
„Es gibt Sachen in meinem Leben, die anders gelaufen sind“, beginnt Göbel seinen Vortrag mit dem Titel „Was haben Superhelden, dass wir nicht haben?“. „Ich hatte einige Lebenskrisen“, führt Göbel fort. Zwei Mal bekommt er das Guillain-Barré-Syndrom, eine Autoimmunerkrankung ausgelöst durch einen Virus, die zu einer Ganzkörperlähmung führt. Zwei weitere Male erkrankt er an Knochenmarkkrebs. Er durchläuft Chemotherapien und bezwingt die Krankheit.
Seit 14 Jahren trocken
Doch das sei noch nicht alles gewesen: „Eine weitere Lebenskrise ist meine Alkoholsucht“, sagt Göbel, der sich trotz seiner langjährigen Alkoholabstinenz immer noch für einen Alkoholiker hält: „Kommenden April bin ich seit 14 Jahren trocken. Aber mit Alkoholismus kann man nicht aufhören. Das ist wie schwanger sein. Man ist es oder eben nicht – ein ,dazwischen’ gibt es nicht.“
„Mit sechs Jahren habe ich die erste Erfahrung mit Alkohol gemacht“, erzählt Göbel. In seiner Kindheit wohnte er mit seinen Großeltern zusammen. „Die hatten die Angewohnheit, am Abend Alkohol zu trinken“, erklärt Göbel. Irgendwann habe es dann geheißen: „Probier doch mal“ – der Beginn des roten Fadens seiner Sucht.
„Als 16-Jähriger hatte ich dann mein erstes offizielles Bier in der Jugendfreizeit.“ Schmecken tat es ihm damals nicht. Trotzdem trank er weiter: „Ich wollte einfach dazugehören.“ Er merkte schnell, dass sein Trinkverhalten anders ist: „Ich habe nie verstanden, wie jemand nach einem Bier in der Kneipe nach Hause gehen konnte.“ Bei ihm war es immer ganz oder gar nicht: „Ich musste immer bis zum Abstinenz- und Kontrollverlust voll sein.“
Nur er und seine Flasche
Der Alkohol nimmt einen immer größer werdenden Platz in Göbels Leben ein. Während seiner Zeit als Wehrdienstleistender steigt die Menge immer weiter: „Da gab es jeden Tag Alkohol. Ab einem gewissen Punkt gewöhnt sich der Körper daran und du brauchst immer mehr“, sagt Göbel.
Der Eisen-Mann mit seinem eigenen Buch
Der Vortrag von Bernd Göbel heißt „Was haben Superhelden, dass wir nicht haben“. Als „Maskottchen“ hat er eine Iron-Man (Eisen-Mann) Spielfigur dabei. Sie symbolisiere einen Teil seines Lebens. Während seiner Erkrankung an Knochenmarkkrebs bekommt er ein Eisen-/Titangestell in den Rücken eingesetzt.
Die Präventionsarbeit ist ihm wichtig, liefert aber keine messbaren Ergebnisse. „Ich habe 140 Vorträge gehalten, weiß aber nicht, ob ich jemanden schon trockengelegt habe“, sagt Bernd Göbel.
Die Jugendlichen stellen im Anschluss oft ähnliche Fragen: „Wie erkennt man, dass man ein Problem hat?“ und „Wie kann ich helfen, wenn ich erkenne, dass jemand ein Problem mit Alkohol hat?“
Alkoholabhängig ist man, wenn man regelmäßig trinkt, einen Tag probeweise aussetzt und dann körperliche und psychische Veränderungen an sich feststellt, wie Zittern, schlechte Laune oder Stress.
Bernd Göbel hat über seine Lebensgeschichte ein Buch verfasst. Es heißt „Unheimlich – heimlich... habe ich getrunken“. Es kostet 8,95 Euro und ist im Blaukreuz-Verlag Lüdenscheid erschienen. Mehr Informationen unter www.goebel-bernd.de.
Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr kommt er an den Punkt „an dem ich Alkohol missbräuchlich eingesetzt habe.“ Er wird älter und verspürt eine zunehmende Leere, die er versucht mit reichlich Alkohol zu füllen. Und auch andere Probleme werden größer. Doch er habe nie gelernt, seine Probleme selber zu lösen. „Das haben immer meine Eltern für mich getan.“
Göbel greift zur Flasche: „Ich dachte, das Saufen hilft mir, die Probleme zu bewältigen.“ Er isoliert sich immer mehr: „Ich hatte keinen Bock auf meine Hobbys, die Arbeit und sogar auf meine Familie.“ Nur er und seine Flasche. Das Gemisch dadrin musste auch gar nicht mehr schmecken, „sondern einfach nur wirken“, erzählt Göbel.
Er selbst hält sich für einen „Normalo“. „Ich war nie im Knast, habe nie jemanden umgehauen oder etwas geklaut.“ Obwohl er so normal ist, hätten ihm die Menschen in seinem Umfeld seine Sucht nicht angesehen: „Als ich mich geoutet habe, sagten alle: ,Das kann nicht sein’.“ Verstehen könne er dies bis heute nicht. „Als ich 2005 zur Entgiftung ging, wog ich 166 Kilo. Es kann nicht sein, dass niemand das mitbekommen hat.“ Doch nicht nur seine Mitmenschen, auch er wollte seine langjährige Suchterkrankung nicht wahrhaben.
26.000 Euro Schulden
Mittlerweile hat er Frau und Kinder. Trinken tut er weiter – wenn aber auch heimlich: „Ich habe die Flaschen überall versteckt. Im Backofen, in der Spüle und sogar im Kleiderschrank meiner Tochter.“ Die findet sogar einige Flaschen und stellt ihn zur Rede. „Doch mir war es egal. Ich war noch nicht bereit aufzuhören.“ Und nicht nur Göbels Konsum wächst, auch sein Schuldenberg: „Ich habe 26.000 Euro versoffen.“ Auch das hält ihn nicht vom Trinken ab – sechs Bier und zwei Flaschen Wodka pro Tag sind es unterdessen: „ Ich brauchte den Alkohol, um zu leben.“
Noch immer Krank
Im Jahr 2005 dann sein persönlicher Tiefpunkt: „Ich musste ins Krankenhaus. Habe mich aber nach einigen Tagen selbst entlassen, weil es dort keinen Stoff gab.“ Zu Hause konnte Göbel dann in Ruhe trinken. Die Frau auf der Arbeit, die Kinder in der Schule. Seine Frau bittet ihn, Nudeln für das Mittagessen zu kochen. Er versucht es: Seine Frau findet ihn schlafend auf einem Stuhl mit einer Wodkaflasche in der Hand. Der Topf Nudeln steht auf dem Herd. „Nachdem sie dann sagte: ,Wenn du jetzt nicht aufhörst, bin ich weg’, ging ich zur Suchtberatung.“ Göbel wird in die Psychiatrie eingewiesen. Er unterzieht sich sechs Tage einer Entgiftung und bekommt Beruhigungstabletten. „Ich lag da eine Woche nur im Bett.“ Schlussendlich entsagt er dem Alkohol. Doch der Spuk ist für ihn damit nicht vorbei: „Alkoholismus ist eine psychische Erkrankung. Sie dauert ein ganzes Leben.“
Die Motivation, um aufzuhören
Göbels Vortrag „Was haben Superhelden, dass wir nicht haben“, hat zwei zusammenhängende Teile: Seine Geschichte und die Motivation, sein Leben verändern zu wollen. Mit Letzterem möchte er auch den anwesenden Jugendlichen Mut machen, sich schwieriger Lebenssituationen anzunehmen und sich so zu akzeptieren wie man ist. Dafür stellt er drei Maximen auf.
1. „Das Leben besteht aus Entscheidungen“, sagt Göbel. Sie richtig zu treffen, sei eine Grundvoraussetzung dafür, um auch das eigene Leben positiv zu beeinflussen. „Entscheidet euch immer für das Leben“, sagt er. So wie er es getan habe, als er sich für die Entgiftung, und gegen die Alkoholabhängigkeit entschließt.
2. „Kompromisslose Akzeptanz – steht dazu wer ihr seid. Ich bin Alkoholiker.“ Göbel fiel es lange Zeit schwer, sich seine Probleme einzugestehen. Erst als er sich in die Psychiatrie einweisen lässt und sich bewusst wird, dass er süchtig ist, verändert er etwas.
3. „Habt Persönliche Ziele“, ist Göbels dritter Leitsatz. „Die Präventionsarbeit, mein zweites Buch, das ich schreiben möchte und zu sehen, wie meine Kinder erwachsen werden, helfen mir dabei diesen Weg zu gehen.“
Alle Maximen würden viel Zeit, Kraft, Willen und Mut in Anspruch nehmen, gibt Bernd Göbel offen zu, aber dahinter warte ein anderes, besseres Leben. Hierfür sollten sich die Jugendlichen auch nicht scheuen, Hilfe von außen anzunehmen: „Arbeitet an euch selbst, habt aber auch die Bereitsschaft, euch von Leuten helfen zu lassen.“
Adrian, ein Jugendlicher aus dem Publikum, meldet sich nach Göbels Vortrag. „Muss ich das jetzt so verstehen, dass man sich akzeptieren soll, so wie man ist?“ Bernd Göbel antwortet: „Eben, du musst dich selber akzeptieren. Du bist kein Superheld, aber das brauchst du auch gar nicht sein, denn du bist gut so wie du bist.“