Drolshagen. . Es könnte die Zukunft der Mobilität auf dem Land sein: SAM ist ein vollautomatisierter Elektrobus - ohne Fahrer. Wir haben ihn getestet..
SAM wird von allen Seiten bestaunt. Menschen zücken ihre Handys, machen Fotos. Kein Wunder. SAM (Südwestfalen Autonom & Mobil) sieht aus wie eine Kreuzung aus Kleinbus und Skigondel – und stellt nichts Geringeres als die Zukunft der Mobilität in Südwestfalen dar. Zwei Tage hat der vollautomatisierte Elektrobus seine Runden auf der Gerberstraße in Drolshagen gedreht. Die WESTFALENPOST war mit an Bord. Wie es sich wohl anfühlt, im Bus zu sitzen, wenn der Fahrer fehlt?
Fast wie im Freizeitpark
Es ist ein bisschen wie in einem Vergnügungspark. Die Musik spielt, die Stimmung ist heiter bis übermütig, Menschen stehen in der Schlange, tummeln sich vor den Fahrgeschäften – oder besser: Vor dem einen Fahrgeschäft. Denn SAM ist hier heute die einzige Attraktion. Umso größer ist der Andrang, als sich die Türen endlich öffnen und die ersten Passagiere einsteigen dürfen. Panagiotis Loukaridis, der sich selbst nur Pana nennt, wartet schon im Innern. Er ist der Fahrbegleiter, passt auf, dass alles nach Plan läuft. Eine Art Joystick-Steuerung hängt um seinen Hals. „Die habe ich heute aber noch nicht gebraucht“, erzählt der Mitarbeiter des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ), das dieses Projekt in Drolshagen begleitet. „Im Notfall könnte ich SAM damit steuern.“
Der Name stammt von Josephine Kißmer
Der Name SAM (Südwestfalen Autonom & Mobil) stammt von J osephine Kißmer aus Menden. Sie gehört zum Jugendparlament „Utopia“ der Südwestfalen Agentur. Es wurden mehrere Vorschlägen eingereicht. Darunter auch „DINO“, Drolshagen Innovation Nahverkehr Option. Der Elektrobus des französischen Herstellers Easymile wurde bereits in Berlin eingesetzt. Dort hieß er „Emily“.
Diesen Notfall gibt es nicht. Die sechs Leute, die sich mittlerweile auf den Sitzplätzen niedergelassenhaben, wirken – trotz der fehlenden Polsterung – ganz entspannt. Immerhin fährt SAM heute zu Demonstrationszwecken mit gemütlichen 13 Stundenkilometer durch die Gegend. Ähnlich langsam und ähnlich geräuscharm wie eine Fahrt mit der Kinderwasserbahn im Freizeitpark. Allerdings ein bisschen zu gemütlich für die jüngeren Gäste. „Das ist schon komisch, dass der Bus so langsam fährt“, stellt der sechsjährige Jonas Rottmann fest.
Die sechs Sitzplätze sind seitlich angeordnet, jeweils drei rechts und links. Damit bleibt die Fläche in der Mitte frei. Also genügend Platz für Stehgäste, Fahrräder oder Rollstühle. Der Elektrobus hat auch eine Rampe. Diese fährt automatisch – wie könnte es auch anders sein – aus, sobald man den entsprechend gekennzeichneten Knopf innen oder außen betätigt. Über ein Touch-Display lässt sich zudem die Heizung oder die Klimaanlage steuern.
Ein kurzes „Ding“ ertönt. Vergleichbar mit den Warnsignalen auf dem Rummel, wenn sich das Fahrgeschäft in Bewegung setzt. Jetzt ändert SAM die Richtung und fährt die 400 Meter lange Strecke auf der Gerberstraße wieder zurück. „Der muss sich ja überhaupt nicht drehen“, ist Frieda Arens, neun Jahre alt, entzückt. Und recht hat sie. Bei SAM ist hinten gleich vorne, aufwendige Wendemanöver entfallen hier völlig.
Ohne Lenkrad und Fahrer
Ein Lenkrad gibt es nicht. Ebenso wenig wie einen Fahrerplatz. Das wäre auch überflüssig. Schließlich ist SAM vollautomatisiert. Auf einen Scheibenwischer wollte man aber trotzdem nicht verzichten. Einzig und allein für die Fahrgäste, die bestimmt gerne sehen wollen, was sich draußen abspielt. Aber wie funktioniert SAM nun? „Es gibt eine vorprogrammierte Route“, erklärt Pana. „Er fährt nach einer virtuellen Karte.“
SAM findet den Weg. Und er ist sich seiner Sache sicher. Sensoren helfen ihm dabei, sich zu orientieren. Doch so ganz ohne zu ruckeln kommt er nicht an sein Ziel. Aber das muss so sein. Denn egal ob Eichhörnchen oder älterer Herr – SAM erkennt Hindernisse. Bereits aus einem Abstand von 1,30 Meter wird er langsamer. 30 Zentimeter vorher kommt es zur Vollbremsung.
Zurück am Startpunkt in der Gerberstraße in Drolshagen. Pana öffnet die Tür. Die nächsten Fahrgäste warten schon draußen. Warten darauf, schon jetzt den ÖPNV der Zukunft testen zu können.
Probebetrieb in Drolshagen und Lennestadt geplant
Der zweitägige Demonstrationsbetrieb des Elektrobusses, der nun den Namen SAM trägt, war erst der Anfang. Der Zentralverband Personennahverkehr Westfalen Süd (ZWS) hat im Auftrag der beiden Kreise Olpe und Siegen-Wittgenstein beim Berliner Innovationszentrum Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.
Im Rahmen dieser Studie sollen unter anderem Routenvorschläge geprüft und die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung geprüft werden. Laut Geschäftsführer Günter Padt ist die erste Resonanz sehr positiv. Die Studien-Ergebnisse sollen noch in diesem Monat vorliegen.
Im Anschluss soll ein Probebetrieb auf zwei Strecken im Kreis Olpe und zwar in Lennestadt Meggen und in Drolshagen aufgenommen werden. „Damit schlagen wir einen Bogen zum Jahr 1895, wo die hiesige Industrie mit Erfolg Kapital in ein neues Produkt, den weltweit ersten Linienverkehr mit motorisierten Omnibus investiert hat“, so Verbandsvorsteher Andreas Müller. „Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich und herzlich bei unseren Partnern, den Firmen Mennekes, Krah und Bigge-Energie bedanken, die mit uns diesen Weg gehen wollen“, so Müller weiter.
Der Demonstrationsbetrieb wurde am Wochenende durch den Bürgermeister der Stadt Drolshagen, Ulrich Berghof, Landräte Frank Beckehoff und Andreas Müller, Dr. Dirk Günnewig, Abteilungsleiter aus dem NRW-Verkehrsministerium und Prof. Dr. Andreas Knie von der WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH offiziell eröffnet.
>>> Zum Interview mit Günter Padt vom ZWS.